Du sollst von dir auf andere schließen
Fotos: Pixabay.com, eigene Aufnahmen, Schlagwortwolke: www.wortwolken.com

Du sollst von dir auf andere schließen

Digitalisierungs-Relevanz Teil 1 Dein eigener Kompass ist das Maß aller Dinge in der Transformation

Jetzt kann ich´s ja mal sagen: Ich schließe von mir auf andere! Im digitalen Zeitalter fahre ich bestens damit und kann das nur jedem empfehlen. Denn das hier kennst du vermutlich auch: 10 Digitalisierungsveranstaltungen später, und man hat es wieder, das diffuse Gefühl der Überforderung im Sog der Transformation. Sich exponentiell beschleunigender Wandel, sich ständig ändernde Kanäle, Formate, Algorithmen KPI´s und Wordings und überhaupt der Datenschutz. Und schon bleiben Beherrschbarkeit und Gelassenheit (dchh18) im beruflichen Alltag Wunschdenken. Es gibt nichts mehr, woran wir uns sicher orientieren könnten: Keinen einzigen Erfolgshack, keine Killerapp keinen End-Algorithmus keinen allumfassenden Zukunftstrend… Oder vielleicht doch? Die gute Nachricht: Das, was wir brauchen, um Schritt zu halten, haben wir immer dabei: Den eigenen Kompass mit der eigenen Wahrnehmung. Und die gilt es jetzt zu stärken. Lasst uns ruhig mutig unser eigenes Gespür in den Mittelpunkt der Welt und es zum Maß aller Dinge machen. Hier sind 5 aktuelle Beispiele, wo uns die aufmerksame Selbstwahrnehmung und der Rückschluss auf andere Orientierung geben kann.

1.    Social Media Relevanz für die Reiseentscheidung

„Facebook, Twitter & Co sind als Informationsquelle für Reisende weniger wichtig als gedacht“, so wurde kürzlich ungefiltert in sämtlichen Branchennewslettern die IPK zitiert. Frage: Bist Du Facebook, Twitter & Co-Nutzer? Ja? Nutzt du diese Kanäle auch als Informationsquelle für deine Reiseentscheidung? Nein? Wenn du kurz innehältst und deine eigenen Informations- und Inspirationsquellen reflektierst, merkst du schnell, wie irrelevant die Aussage für die tatsächliche Bedeutung von Social Media für deine Reiseentscheidung ist. Ich habe zu meinem diesjährigen Reiseziel Kreta nach Flügen, Angeboten und Attraktionen für meine Jungs gesucht, mir Ortsbilder angesehen, geschaut, wie ich von A nach B komme sowie nach einer joggingtauglichen Strecke – aber doch nicht in Social Media. Wie ineffizient wäre das? INSPIRIEREN lasse ich mich dort jedoch in allen Interessensgebieten. Freunde, Verwandte, Bekannte als einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf die Reiseentscheidung – in Social Media zeigen sie mir, wo sie hinfahren. Und gegen die Posts ihrer magischen Reisemomente ist mein Inspirationsempfinden keinesfalls unempfänglich. In Studien und Marktforschungserhebungen wird „Inspiration“ leider immer wieder gerne unter „Information“ subsummiert, genauso wie „Information“ und „Buchung“ oft irreführend zusammengefasst werden. Im Ergebnis kommen dann so pauschal-bahnbrechende Erkenntnisse heraus, wie dass das Internet im Tourismus eine immer größere Bedeutung bekommt. Oder eben, dass Social Media als Informationsquelle wenig relevant sind…

2.    Relevanz von Instagrammability

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Für ein Drittel der Reisenden hat laut einer britischen Studie Instagrammability eine wesentliche Bedeutung für die Reiseentscheidung. Frage: Bist Du selbst ständig auf Instagram unterwegs? Dann bitte weiter mit Frage 3. Oder denkst du, du bist mit über 30 nicht mehr Zielgruppe, und wir haben es hier mit einem überzogenen Hype irgendwelcher Social Media Poser zu tun? Wenn Du das Wort „Instagrammabilty“ mal gleichsetzt mit „Urlaubsfotos“, dann bekommst du sofort ein Gespür für die Relevanz gelungener Urlaubsfotos (=ähnlich Instagrammabilty) für dein eigenes Urlaubserlebnis (61% der Deutschen teilen ihre Urlaubsfotos in Messengerdiensten). Auch dafür, dass das Phänomen zwar eine weit gewöhnungsbedürftigere Ausprägung angenommen hat, aber keineswegs neu ist. Und letztlich dafür, dass die Zuspitzung des Instagrammability-Bedürfnisses dir im Destinationsmarketing eine ganze Menge Kommunikationsansätze bietet. 

3.    Relevanz fremdsprachiger Destinationswebsites

Kürzlich wurde der fremdsprachige Webauftritt als eine zentrale Errungenschaft der Arbeit einer LMO in den letzten Jahren gerühmt. Frage: Warst du im Zuge deiner Reiseplanung ins europäische Ausland (z.B. Italien oder Polen) schon einmal auf einer deutschsprachigen Seite der DMO? Kaum je? Und wenn doch, als wie verlässlich, relevant und aktuell würdest du deutschsprachigen Content internationaler Destinationen einschätzen? Die Beantwortung dieser Fragen lässt schnell klarwerden, dass die Relevanz fremdsprachigen Contents weit geringer ist als der der deutschsprachigen. Bei der Textkorrektur unserer englischsprachigen Seiten für unseren bevorstehenden Relaunch tauchte Brandaktuelles auf, wie z.B. die Formulierung „der neue Berliner Hauptbahnhof“ (nicht Flughafen!) oder der Aufruf zur Beteiligung an einer Abstimmung des Wandermagazins über den besten Wanderweg in 2016. Keine Frage, fremdsprachige Websites sind wichtig, aber wenn man nicht wie wir der wachsenden Zahl an Expats in Berlin demnächst detaillierte und saisonrelevante Ausflugstipps geben will, dann reichen Basisinfos. Nie werden wir den Aufriss, den wir in unserer Landessprache betreiben auch in Fremdsprachen stemmen können. Die Webseiten-Integration von Übersetzungstools ist noch nicht ausgereift. Die Alternative ist es, schon jetzt mit Content in den Kanälen präsent zu sein, in denen sich unsere internationalen Personagruppen aufhalten. Genau wie wir selbst auch. Womit wir u.a. wieder beim Thema Social Media wären. Und dabei, dass wir aus unserer Selbstwahrnehmung hier allerhand hilfreiche Schlüsse für die Herangehensweise ziehen können.

4.    Disruption des Wordings (und der Verständlichkeit)

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Frage: Blickst du bei den ganzen Abkürzungen und Wordings des Online-Marketings noch durch? Kannst du zum Beispiel spontan definieren: Visits, Unique Visits, Impressions, Views – Kontaktchancen? SEM, SEO, SEA, SERP, SMM, SMO? Meaningful Interactions, Vanity Metrics, Engagement Baits? Falls es hier und da hapert, dann bist du in guter Gesellschaft. Also überlassen wir das doch besser den Online- und Social Media Kollegen. Aber Nein! Inzwischen machen wir doch permanent die Erfahrung, dass bei nächster Gelegenheit schon weitere Ungetüm-Rockstars auf uns warten: „Funnel“, „Rich Snippets“, „VUKA“, „Nudging“ oder einfach nur die abenteuerlichste Neuwortkombination mit H U B. Dass wir den Hub aus dem Flugbereich im Sinne von Drehkreuz und den USB-Hub im Sinne einer Art Mehrfachstecker kennen, hilft uns nur vage dabei, die Bedeutung aktueller Hub Highlights zu erfassen: Beratungs-Hub (LTV Brandenburg), Visual Hub (Zürich), Mountain Hub (Engadin) Digital Knowledge Hub (Tourismuszukunft), Touristen-Hub (Luzern), Influencer-Hub (Hamburg), Impact Hub (Stockholm), Destination-Hub (Neusta), Innovation Hub (Lufthansa) usw usw – mir fallen da weit mehr Beispiele ein als 27 😊. Aus welchem Antrieb dreht oder verknotet hier wer was von wo aus wohin? Und warum eigentlich sprechen wir noch von Knotenpunkt-Radeln und Tourist-Informationen statt von Hub-Cycling und Tourist Touchpoint Hubs? Fazit: Sich Anglizismen und Abkürzungen wegwünschen war gestern, kommen wir nicht drumherum. Wir dürfen unsere Selbstwahrnehmung aber auf gar keinen Fall abstumpfen lassen. Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit, Vereinfachung und Reduzierung müssen wir immer wieder lautstark einfordern. Wie alles andere im Tourismus auch ist die Digitalisierung eine Gemeinschaftsaufgabe, die wir gemeinschaftlich nur dann stemmen können, wenn wir die Komplexität nicht noch durch verständlichkeitsferne Wordings anfachen.

5.    Sprachsteuerung

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Laut Google erfolgen 2019 bereits 20% aller mobilen Websuchen sprachgesteuert. In drei Jahren werden es einer britischen Studie zufolge 50% sein. Frage: Tendiert der Prozentsatz deiner sprachgesteuerten Websuchen noch gegen 0 und hegst du eine gesunde Skepsis gegenüber Siri, Alexa und Co (sowie 55% der anderen Deutschen) ? Ist die Prognose somit schwer vorstellbar oder eine Sache, die eher deine Kinder betrifft, die damit aufwachsen? Über die 3 Jahre lässt sich sicherlich streiten. Wenn du aber kurz mal überlegst, findest ganz sicher auch du deine persönliche sprachgesteuerte Killerapp. Bei mir z.B. wäre das die Bedienung von Mietwagen. Nach gefühlten 200 verschiedenen Dienst-- und Mietwagen- Nutzungen, nervt es mich inzwischen nur noch, herausfinden zu müssen, wie beim aktuell genutzten Modell der Tankdeckel aufgeht, der Heckscheibenwischer angeschmissen oder das I-Phone connected wird. Wenn mir also irgendeine Audilexa flüstern würde, wo ick watt finde oder der Sprachbefehl gleich ausgeführt würde… Vor allem aber wäre sofort unser Gespür für potentiellen Anwendungsnutzen gestärkt. Wird also kommen. Ok, sagen wir in 5 Jahren 😊.

Du hast bis hier hin gelesen. Also darf ich wahrscheinlich davon ausgehen, dass du dich hier und da in meinen Beispielen wiedergefunden hast. Da wir dann schon zu zweit sind, liegt auch der Schluss von uns auf Weitere nahe. Und selbst wenn wir uns hier und da mal täuschen sollten mit dem Schluss auf andere, so bleiben wir die Gewinner. In der Mehrzahl der Fälle liegen wir nämlich richtig, und zudem stärken wir unsere Selbstwahrnehmung, was uns letztlich in allen Lebensbereichen nützt. Also lass es ruhig mal zu: Du sollst von dir auf andere schließen.

P.S. Das gilt nicht nur für uns als Individuum: Auch die eigene ReferenzGRUPPE bietet brachliegendes Orientierungspotenzial. Unternehmen, Seminarleiter, Eventveranstalter sollten die eigenen Mitarbeiter/Teilnehmer viel häufiger als wertvollsten Referenzrahmen verstehen und nutzen, der er ist. Egal zu welchem Thema: Ein Warm Up Einstieg, der mittels Live-Befragung per kahoot/sli.do/Mentimeter o.ä. eine Bestandsaufnahme zum aktuell behandelten Thema erhebt, ist ein Gewinn für alle Beteiligten: Bedient wird der Gamingreiz, es entsteht Transparenz für alle, wie das gesamte Teilnehmer-/Mitarbeiterfeld zu einem Thema steht oder aufgestellt ist, und für jeden Einzelnen wird noch dazu ein anonymer Benchmark geliefert, wo er selber im Vergleich zu allen anderen steht. Akteure/Unternehmen wiederum erhalten so die Möglichkeit, genau die Personengruppe, die sie ansprechen wollen, genau dort abzuholen, wo sie steht - statt daran vorbei zu referieren. 

Teil II meiner Serie zur Digitalisierungs-Relevanz unter der Überschrift „I C H und die Digitalisierung“ erscheint am 02. September.

Martin Fennemann

Destination Marketing and Internationalization

5y
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Jana Wieduwilt

Powerful marketing concepts for your business. My mission: Freedom for you and your business.

5y

Danke für den Beitrag, perfekte Argumentation! Das Thema Authentizität ist für mich auf allen "Kanälen" entscheidend. Je authentischer ein Post ist, desto mehr werden wir uns doch "beeinflussen" oder vornehmer ausgedrückt inspirieren lassen. Egal in welcher Digitalisierungs-Sprache. Ich liebe es, die Berichte anderer zu studieren und mir Anregungen zu holen. Das Medium ist mir dabei eigentlich egal. Aber wie ist hier Pinterest eigentlich einzuordnen? Ist das relevant?

Claudius Rajchl

TRAVELTV.at - Wir bewegen Reiseträume

5y

Danke Martin, in vielem bestätigst du erstens meine Wahrnehmung und zweitens meinen Fokus in der digitalen Weiterentwicklung für relevanten storytelling content.

Hans Lugten

100% Travel Content Creating

5y

habe gerade mein Digital-Deutsch richtig erweitert. Danke Martin. Es war aber auch wirklich interessant.

ich schau´s mir mal an......

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