KI im Engineering?
Vor kurzem kam hier auf LinkedIn eine Frage auf, ob es denn nicht möglich sei, Schaltpläne, die nur auf Papier vorliegen, durch eine KI direkt in digitale Pläne zu überführen. Der Anwendungsfall ist zwar nicht alltäglich, kommt aber durchaus oft vor in der Elektrokonstruktion. Ein interessanter Gedanke, über den es sich lohnt, nachzudenken. Für die allgemeine Betrachtung, was KI für die Ingenieure tun kann, lassen wir uns das Umfeld etwas genauer anschauen.
Was ist Engineering?
Engineering ist eine Medaille mit zwei Seiten. Diese sind
Während in der Projektierung bekanntes Wissen angewendet wird, hat die Entwicklung den Aufbau neuen Wissens zum Ziel. Projektierung ist ein repetitiver Prozess mit wiederkehrenden (manchmal auch stupiden) Aufgaben, die deshalb zur Automatisierung gut geeignet sein können. Die Entwicklung ist ein kreativer Prozess, der breites Fachwissen, den Blick über den berühmten Tellerrand aber auch Erfahrung braucht. Wiederkehrende Aufgaben sind dort, wenn überhaupt, dann höchstens in Test- oder Zertifizierungsverfahren zu finden. Daher hat hier Automatisierung wenig Chance.
Automatisierung der Konstruktion
Engineering bietet in der Projektierung das größte Potenzial, die Arbeit zu automatisieren. Es gibt schon seit vielen Jahren Anwendungen und Tools am Markt, die einen generativen Ansatz für automatisierte Planerstellung anbieten. Der Einsatz verspricht große Produktivitätssprünge für den Anwender. Auch das Interesse an solchen Lösungen hat in den letzten Jahren nicht nachgelassen.
Warum sich der generative Ansatz in der Projektierung noch nicht durchgesetzt hat, hat verschiedene Gründe. An den technischen Möglichkeiten liegt es jedenfalls nicht. Um den Status Quo und das Potenzial im Engineering in dieser Hinsicht besser darstellen zu können, lohnt sich ein gedanklicher Abstecher in die Welt der Softwareentwicklung.
Projektierung ist wie Anwendungsprogrammierung
Anwendungen sind heutzutage modular aufgebaut und bieten bestimmte Features in Modulen (add-on, plugin usw.) an. So wird die Anwendung konfigurierbar, was besonders im Marketing und Vertrieb positive Effekte bringt. Denn so kann beim Anwender der Eindruck erzeugt werden, er kauft ein maßgeschneidertes Produkt und bezahlt nur dafür, was er braucht. Der Code in den Modulen bleibt jedoch meistens anwendungsspezifisch.
Auch der Programmcode wird seit geraumer Zeit sehr modular aufgebaut. Seit Anfang der 90-er Jahre die objektorientierte Programmierung zu ihrem Siegeszug antrat, haben sich Best Practices sowohl in der Arbeitsweise als auch was den Code angeht, herauskristallisiert. Diese stellen heute eine wahre Schatzkiste erprobter, funktionsfähiger und optimierter Lösungen bereit. Nicht zuletzt der indirekte Druck der Open Source Community sorgte hier für den notwendigen Fokus auf das Wesentliche. Daraus resultierend sind Modularität und der Grad der Standardisierung sehr hoch. Die besten Voraussetzungen für eine Automatisierung.
Generative KI geht in der Automatisierung einen bedeutenden Schritt weiter. Sie bietet eine Möglichkeit, den Code beliebiger Module miteinander zu kombinieren und so die Anwendung automatisiert zu erzeugen. Der Anwendungsfall wird als Prompt an die KI beschrieben. In der Softwareentwicklung sind bereits generative KI-Lösungen im Einsatz, die das Schreiben von Programmcode zu einem mehr oder weniger großen Teil übernehmen.
Und wie sieht es im Engineering aus?
Zugegeben, die Konstruktion ist noch nicht ganz so weit. Mit der Analogie der Softwareentwicklung gesprochen steht Engineering in Sachen Automatisierung irgendwo kurz nach der Jahrtausendwende. Seit der 90-er Jahre liegen Planungsdokumente digital vor und auch deren Bearbeitung läuft schon lange digital. Es gibt schon vereinzelte und teils sehr weit fortgeschrittene Automatisierungslösungen. Diese betreffen aber nur das jeweilige Unternehmen und entfalten die positiven Effekte eben auch nur dort.
Ähnlich zu Entwicklung und Projektierung im Engineering, sind die beiden Seiten der Medaille auch in der Programmierpraxis als Entwicklung und Implementierung vorhanden. Die Projektierung ähnelt im Ansatz zur Implementierung, also zur Programmierung einer bestimmten Anwendung. Der dabei verwendete Code ist modular mit vielen Standardfunktionen.
Über Module, Standardfunktionen und was die Plangestaltung, also das Aussehen der Pläne angeht, herrscht im Engineering noch lange kein Konsens. Die Dissonanz geht manchmal so weit, dass einzelne Bereiche im selben Unternehmen uneinig sind. Das Ergebnis ist, dass Bestrebungen zur Standardisierung einen sehr schweren Stand haben und Initiativen für diesen Zweck daher oft nur als Pilotprojekte gestartet und als Testballons angesehen werden.
Pilotprojekte sind wie Partisan Aktionen. Sie fokussieren sich nur auf einen kleinen Bereich, sind mit Ressourcen nur begrenzt ausgestattet und haben einen Stichtag, wann das Ergebnis vorliegen muss. Als Folge fühlt sich der Projektleiter wie Don Quijote, der so lange gegen Windmühlen kämpft, bis das Projektbudget aufgebraucht ist.
Tragende Rolle der Unternehmensführung
Aus der Geschichte wissen wir, dass Partisan-Aktionen nur dann erfolgreich sein können, wenn sie organisiert verlaufen. Auch im Engineering sind Einzelaktionen immer problematisch, vor allem, wenn sie nur auf der technischen Ebene, also unter Ingenieuren ablaufen.
Um auf diesem Feld in die Offensive zu kommen, braucht die Konstruktion die Unterstützung der Unternehmensführung und die Führungsebene ein Konzept, eine Vision davon, wohin der Weg führt. Der Grund dafür ist vielleicht nicht offensichtlich, liegt aber auf der Hand.
Automatisierung verändert alle Prozesse um die eigentliche, automatisierte Aufgabe herum, oft sogar die Wertschöpfungsstruktur des Unternehmens. Für all das ist allerdings die Geschäftsführung zuständig. Die Auswirkungen der Automatisierung, die heutzutage auch Digitalisierung heißt, werden noch deutlicher, wenn diese im Kontext der KI betrachtet werden.
Voraussetzungen für den Einsatz der KI
Vom Einsatzgebiet einmal abgesehen, eine KI benötigt Trainingsdaten. Massenhaft. Zudem müssen die aus den Daten abgeleitete Modelle geeignete Ergebnisse für den jeweiligen Anwendungsfall erzielen. Um das zu erreichen, müssen in den Trainingsdaten die meisten bekannten und gewünschten Ergebnisse enthalten sein. Und hier liegt der Kern des Problems.
Konstruktionsdokumente (Pläne) sehen selbst dann sehr unterschiedlich aus, wenn sie technisch identische Konstruktionslösungen enthalten. Ingenieure sind sehr kreativ, auch darin, wie sie ihre eigene „Duftmarke“ in den Plänen hinterlassen können. Frage drei Ingenieure und du erhältst mindesten 6 Lösungen.
Wenn die bekannten Lösungen also viel zu unterschiedlich aussehen, was besonders auf das höchst individuelle Schaltplandesign zweifelsfrei zutrifft, ist es absehbar, dass der Nutzen von KI-Modellen enttäuschend sein wird.
Und wie geht’s weiter?
Einerseits kann sich Erleichterung einsetzen, denn KI hat demnach keine Chance einem Ingenieur die Arbeit wegzunehmen. Das gilt allerdings nur, solange alles so individuell bleibt, wie momentan. Es darf bezweifelt werden, dass die Ingenieure ihren Elfenbeinturm verteidigen können, wenn nur noch das Engineering im Unternehmen weiterer Produktivitätssteigerung im Weg steht. Der Druck zur Veränderung kann schnell ins Unermessliche steigen und die Landung auf dem Boden der Tatsachen sehr schmerzhaft sein.
Das Leben auf unserem Planeten ist eine Folge der Evolution und Evolution bedeutet ständige Veränderung und Anpassung auf die neuen Gegebenheiten. Die Frage ist also wieder nicht, ob KI jemals die Arbeit von Menschen erledigt, sondern nur, wann. Im Allgemeinen und auch in Bezug auf die Konstruktion bedeutet diese Veränderung jedoch keinen Weltuntergang.
Wie eingangs erwähnt, große Chancen zur Automatisierung im Engineering bestehen nur in der Projektierung. Diese besteht aus teils sehr zeitraubender Fleißarbeit. Wenn diese endlich automatisiert erledigt werden, werden viele Ingenieure keine Träne vergießen. Andere, die sehr gute Projektingenieure sind und legitimerweise zu nichts anderem die Lust verspüren, bekommen eine viel wichtigere Rolle. Sie werden die generierten Ergebnisse überprüfen und aufdecken, was dem Generator durch die Lappen gegangen ist.
Die letzte Instanz: der Mensch
Denn eine Maschine, eine KI und eine Anwendung tut nur das, was ihr Programm oder Algorithmus vorgibt. Damit sie ihre Funktion erfüllen, benötigen sie Eingangsdaten in einer bestimmten Form. Sie können die Vollständigkeit und Plausibilität dieser Daten nur bedingt überprüfen. Kommt es in den Eingangsdaten zu Abweichungen, die durch das System unerkannt bleiben, kann auch das Ergebnis fehlerhaft sein. Diesen Fall nennen Techniker „shit in, shit out“. Solche Fehler können schwerwiegende Folgen haben. Sei an dieser Stelle nur auf die bekannten Probleme beim autonomen Fahren verwiesen.
In der klassischen Projektierungsarbeit werden Informationen und Daten zwischen Menschen ausgetauscht. Wir sind sehr gut darin, Muster zu erkennen und uns fällt schnell auf, wenn etwas vom gewohnten Muster abweicht. Maschinen und Algorithmen können das nicht, sie sind auf die korrekte Form und Struktur der Daten angewiesen und können bestenfalls Fehler in einzelnen Werten erkennen.
In digitalen Prozessen sind die Daten an den Schnittstellen zwischen zwei digitalen Diensten für Menschen nicht sichtbar und meist gar nicht lesbar. Zur Kontrolle bleiben also nur die erzeugten Dokumente (Pläne) und wer kann darin am schnellsten den Fehler finden, wenn nicht diejenigen, die solche Pläne Jahre- oder Jahrzehntelang selbst erstellt haben.
Alles auf Anfang?
So schlimm ist es zum Glück nicht. KI kann uns unterstützen und Arbeit abnehmen, wir müssen aber auch einiges dafür tun. Das Kernproblem im Engineering liegt seit zwei Jahrzehnten immer noch am Mangel der Standardlösungen und der durchgängigen Modularisierung der Pläne. Nicht nur innerhalb eines Fachs, sondern interdisziplinär, also mechatronisch. Nicht nur innerhalb eines Unternehmens, sondern firmenübergreifend bspw. in einer Branche. Ob auch im Engineering eine Art Open Source Community den Ausschlag geben kann, bleibt abzuwarten.
Digitalisierung und KI sind kein Schicksalsschlag, sondern weitere Schritte in der Evolution. Wer das Heft selbst in die Hand nimmt und diese Veränderung aktiv mitgestaltet, hat auf jeden Fall die Möglichkeit, auf den Verlauf Einfluss zu nehmen und diese im eigenen Sinne zu lenken.
Lasst uns standardisieren!
Evolution durch die Abkürzung von Wegstrecken funktioniert leider nicht. Der Weg zur Automatisierung, Digitalisierung und auch zur KI führt durch die Strecke der Standardisierung durch konsequente Modularisierung, damit die Varianz der möglichen Module, in den Plänen immer kleiner wird.
Die Softwareentwicklung hat diesen Weg bereits hinter sich und dort arbeitet die KI schon heute mit. Wer gestalten will, sollte sich an die Arbeit machen und für den Weg gleichgesinnte suchen. Je mehr, umso besser. Also, lasst uns standardisieren!
Shares best practices for electrical and automation engineering & production
10moAngesichts des anhaltenden Mangels an technischem Personal müssen die technischen Prozesse weiter digitalisiert, standardisiert und automatisiert werden. KI wird meiner Meinung nach eine willkommene Ergänzung sein.
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10moHallo Ferenc, herzlichen Dank für die perfekte Aufarbeitung des Berichtes, den wir scheinbar beide interessiert gelesen haben; finde ich auch für ein sehr interessantes Thema. Aber ist das eine KI-Anwendung oder normale Software-Entwicklung, wie wir es die letzten 30 Jahre betrieben haben: es gibt eine Herausforderung - wir analysieren die Herausforderung - entwickeln in der effizientesten Umgebung eine Lösung, das ist es und war es immer schon, oder? Haben wir dann schon immer KI entwickelt 🤔🤔?? Ich mag meinen neuen Kollegen ChatGPT (Google Suche 4.0 🤗🤗) auch recht gern, aber von perfekter Usability hat der Typ nicht viel Ahnung, da darf ich mich mit 10 weiblichen Lehrkräften beschäftigen, was und wie die beste Möglichkeit ist, Noten für ihre 200 Kinder zu ermitteln, aber ich mach das ja sehr gern 🤣🤣🤣 und in Datenbank-Design kommt auch noch nicht viel raus, wie auch?! Ich würde einfach mit dem Ausdruck KI genauso vorsichtig sein, wie vor ein paar Jahren mit dem Thema Cloud, da war auf einmal auch jede simple Web-Anwendung eine Cloud-Applikation, einfach nur, weil jeder davon gesprochen hat.
CEO⚡Electrical Engineering for Industrial Automation 🚀 29K+ Followers 🎥 YouTuber 📣Content Creator 💡 Elektrokonstrukteur
10moEs wäre ja interessant mal eine "open source" Datenbank aufzubauen wo Leute ihre Pläne hochladen können um überhaupt mal eine Datenbasis zu bekommen. Wird aber sicherlich schwierig. Ich glaube übrigens dass die KI die Standardisierung nicht erzwingen wird sondern die Hersteller von Komponenten. In Zukunft wirst du nur noch "Funktionsmodule" kaufen. Z.B. du brauchst eine Wendeschaltung für einen 15KW Motor. Dafür wird es(gibt es ja schon) ein Modul geben mit allen Funktionen (IIOT) für uns als Elektrokonstrukteure wird das eine "Blackbox" sein mit einem Bus - Anschluss. Und wenn du dann die Funktion der Maschine in einen Prompt packst kann die KI dir auch die richtigen "Blackboxen" zusammen stellen. Ob man dann überhaupt noch einen Schaltplan braucht ❓️🤷
Engineering Process Improvement @ IDECI | Smart Customization, Change Management
10moNur wenn KI Lösungen hervorbringen kann, die deterministischer und reproduzierbarer sind als handwerkliche oder automatisch generierte technische Entwürfe, kann sie einen echten Mehrwert bieten. Solange dies nicht der Fall ist, wird die Herstellbarkeit unter der Variation leiden, die die KI innerhalb des ihr zur Verfügung stehenden Lösungsraums zulässt. Konkret bedeutet dies eine Variation innerhalb des Produktstandards und die damit verbundene Ineffizienz und Kosten