Manager sind nicht das Problem. Sie sind aber auch nicht die Lösung
Bildrechte: Niels Pfläging

Manager sind nicht das Problem. Sie sind aber auch nicht die Lösung

Das Interview mit Niels Pfläging führte Maria Poursaiadi 

Herr Pfläging, man könnte sie wohl als „Manager-Schreck“ bezeichnen. Sie sagen nämlich, Management sei „schädlich und verzichtbar“. Wie ist die erste Reaktion der oberen Management-Etagen, wenn Sie mit solchen Aussagen auftreten?

In der Frage steckt ein Missverständnis. Denn sie setzt Manager und Management gleich. Das sind aber zwei ganz unterschiedliche Dinge: Auf der einen Seite haben wir Manager, oft auch als „Führungskräfte“ bezeichnet. Sie sind nicht das Problem, wenngleich sie heute oft ganz falsche Dinge tun. Auf der anderen Seite haben wir Management – und hier liegt wirklich das Problem: Management ist eine Sozialtechnologie aus dem Industriezeitalter, derer wir uns bedienen, um in Organisationen und Arbeit das Denken vom Handeln zu trennen. Vor gut 100 Jahren, zu Zeiten Fords und Taylors, war das eine prächtige Idee. Inzwischen ist diese Idee jedoch toxisch geworden, weil Komplexität und Dynamik in heutigen Märkten eine Wiedervereinigung von Denkenden und Handelnden sozusagen erzwingen. Die Sozialtechnologie Management ist daher so etwas wie ein böser Geist, der in Organisationen steckt. Der im Denken von Managern ganz fest verankert ist, aber auch in der Vorstellungswelt der Mitarbeiter, die ja ebenfalls an die rigide Trennung des Denkens und des Handelns gewöhnt wurden. Jenen bösen Geist nun gilt es, aus Organisationen auszutreiben.

Manager sind nicht das Problem – sondern wie wir uns Organisationen bis heute denken. In diesem Sinne bin ich wohl, so hoffe ich, ein Management-Schreck, aber sicher kein Manager-Schreck. Ich sage Führungskräften immer: Ihr seid nicht das Problem. Aber das Problem steckt auch in euch drin.

"Wir sind verliebt in die Vorstellung von Helden und von Schuldigen!"

Glauben Sie wirklich, dass es in Unternehmen einer Führung nicht bedarf?

Auch das ist so eine Frage, bei der es auf jedes Wort ankommt. Sie sagten ja: „einer Führung“. Führung mit Artikel sozusagen. Dahinter steckt die Vorstellung, es brauche Führungskräfte. Führung sei die persönliche Aufgabe von Managern. Dieser Vorstellung nach braucht es die Helden an der Spitze, damit die führen. Diese Vorstellung von Führung ist aber, na ja, unterkomplex. Man könnte auch salopp sagen: Dass Führung durch Führende entsteht ist Kokolores. Führung ist, wie wir inzwischen wissen, ein soziales Phänomen, und nicht etwa eine persönliche Aktivität. Wir neigen zwar dazu, gelungene oder misslungene Führung einzelnen Helden oder Schuldigen zuzuschreiben – in Wirklichkeit aber entsteht Führung im Zwischenraum zwischen den Menschen. Immer. Es gibt nicht Führende und Folgende, sondern soziale Dynamiken, in denen Menschen um Problemlösung ringen. Dabei spielt soziale Dichte eine weitaus größere Rolle als individuelles Geschick. So wie historische Schlachten nicht wegen eines einzigen großartigen Heeresführers gewonnen wurden, so entsteht Erfolg in Organisationen oder sozialen Gruppen auch nicht durch Einzelne. Eigentlich ganz logisch. Aber wir begehen immer wieder diesen Zuschreibungsfehler: Wir sind verliebt in die Vorstellung von Helden und von Schuldigen!

"Unternehmen sind keine Tanker - mit Steuermann an der Brücke. Unternehmen sind keine Schiffe."

Aber irgendeine Struktur muss doch ein Unternehmen haben, damit es nicht im Chaos versinkt. Wie stellen Sie sich das vor?

Hätten wir nie aufgehört, uns die deutsche Gesellschaft als pyramidenhafte Struktur mit einer einzelnen Person an der Spitze vorzustellen – dann wären wir nie über´s Kaiserreich hinausgekommen. Staaten und Organisationen sind keine Pyramiden. Große Konzerne sind ebenfalls keine. Sie sind auch keine „Tanker“ mit einem Steuermann an der Brücke. Unternehmen sind keine Schiffe, keine Maschinen. Sie sind als Systeme auch nicht von innen heraus steuerbar. Um das zu begreifen hilft das Denken in lebendigen Systemen deutlich weiter als mechanistische Metaphern von Schiffen und Monarchien. Zunächst ist wichtig, dass Unternehmen ihre Steuerung bereits vor Jahrzehnten an die Märkte outgesourct haben: In den dichten, wettbewerbsintensiven Märkten der Gegenwart übernehmen externe Märkte – Kundenmärkte, Arbeitsmärkte, Kapitalgebermärkte - die Steuerungsfunktion. Manager werden damit zur Steuerung nicht mehr gebraucht... eigentlich eine tolle Sache.

Aber die meisten Manager glauben, ihre Organisationen weiterhin steuern zu können oder steuern zu müssen. Auch wenn das längst zu einer Illusion geworden ist. Und letztlich immer zu Fehlsteuerung führt. Für Gegenwart und Zukunft heisst das: Hierarchische Macht könnte und sollte sich darauf konzentrieren, die Gesetzmäßigkeit bzw. die Compliance zu gewährleisten. Denn es gibt noch zwei weitere Arten von Macht in jeder Organisation. Erstens sozialen Einfluss, der in der informellen Struktur jeder Organisation entsteht. Und zweitens Reputation: die Macht der Könner. Sie entsteht in der Wertschöpfungsstruktur einer jeden Organisation. Könnerschaft und Wertschöpfung folgen ebenso wie soziale Strukturen ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als Organigramm und formelle Struktur. Auch darum sind die Matrixstrukturen und die Reorganisationen der vergangenen Jahrzehnte in alle Regel weitgehend wirkungslos geblieben.

Niels Pfläging

In einer Organisation braucht es auch Kultur. Dafür sind Leitbilder notwendig. Wer soll als positives Beispiel vorausgehen, wenn nicht Manager?

Hier zeichnen sie wieder das Bild der Manager als heroische Leithammel. Besser als heroische Manager aber ist eine klare Identität der Organisation, verbunden mit wenigen, tatsächlich handlungsweisenden Prinzipien. Besser als hierarchischer Druck ist Gruppendruck innerhalb überschaubarer Teams. Besser als Fremdsteuerung ist marktliche, sozial dichte Selbststeuerung. Besser als einsame Helden an der Spitze sind verantwortliche, unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter überall. Das letztere kann aber dort nicht entstehen, wo weiter Fremdkontrolle und Hierarchie praktiziert wird: Die organisationale Pyramide kannibalisiert nämlich unternehmerisch-verantwortungsvolle Selbstorganisation. Das ist das Dilemma der tayloristisch geprägten Unternehmen in der heutigen Zeit. Die gute Nachricht: Eine ganze Menge Pionierunternehmen haben dieses Dilemma überwunden. Sie beweisen Tag für Tag, dass radikal dezentralisierte Netzwerkorganisation keineswegs eine Utopie ist.

"Die Komplexität heutiger Märkte erzwingt eine Renaissance der Unternehmensführung. Nicht, weil ich das sage, oder weil das irgendwie schöner wäre."

Folgendes Szenario: Wir schreiben das Jahr 2050. Wie sieht unser Arbeitsalltag aus? Wohin streben wir als Mitarbeiter? Was passiert mit den Eifrigen, den Strategen und den nach Macht Strebenden? Die werden ja nicht aussterben.

Organisationen sind in der Lage, das Beste und das Schlechteste aus den arbeitenden Menschen hervorzukehren. Viele der heutigen Unternehmen bringen eher das Schlechte hervor – das liegt in der Natur ihrer Organisationsmodelle, ihrer Systeme, die auf Angsterzeugung, Bürokratie, Individualisierung, Verrohung und hierarchische Abhängigkeit hin designt sind. Die Menschen in 2050 werden prinzipiell immer noch die gleichen sein: Fähig zu Egoismus wie auch zu Altruismus. Zur Solidarität wie auch zur Gier. Nur werden Organisationen andere Organsationsmodelle haben – da bin ich mir sicher. Sie werden soziale Dichte erzeugen – nicht Abhängigkeit von oben. Sie werden föderativ, dezentralisiert und ausgeprägt netzwerkhaft sein. Nicht etwa, weil ich das jetzt sage, oder weil das irgendwie schöner wäre: Sondern weil die Komplexität der Märkte diese Renaissance der Unternehmensführung erzwingt.

Sie werden dieses Thema demnächst auf den GULP ProMaDays näher beleuchten. Worauf kommt es Ihnen bei Ihrem Vortrag dort an?

Es kommt aufs Miteinander Denken an: Die Renaissance der Unternehmensführung, die ich gerade ansprach, bedarf zuallererst eines zeitgemäßen Denkens und neuer Vereinbarungen über die Natur unserer Organisationen und der darin herrschenden Glaubenssätze. Nicht zuletzt müssen wir auch Projektarbeit und Führung in Projekten neu fassen und mit Werkzeugen unterfüttern, die zur komplexen Natur der Projektherausforderungen passen. In dieser Hinsicht stehen wir in der Projektmanagementszene noch am Anfang. Die „agile Bewegung“ hat zwar viele Grundlagen gelegt und Entwicklungswege aufgezeigt. Aber gerade an der Nahtstelle zwischen Projektorganisation und Unternehmensorganisation entstehen nach wie vor enorme Probleme. Ohne Lust auf das „Miteinander Denken“ werden wir es nicht schaffen, die nötige Renaissance in Projektarbeit und Projektwirtschaft einzuleiten. Konferenzen und Tagungen können und müssen dazu einen Beitrag leisten.

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Dieses Interview führte Maria Poursaiadi für Gulp. Dort wurde es auch zuerst veröffentlicht. Eine komplette Übersicht der LinkedIn-Artikel von Niels Pfläging finden Sie hier. Im seinem aktuellen Buch Komplexithoden (gemeinsam mit Silke Hermann ) finden Sie mehr Stoff zu zeitgemässer Führung und ihren Werkzeugen.

Komplexithoden - von Niels Pfläging und Silke Hermann


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Niels Pfläging ist Unternehmer, Berater und Business-Vordenker mit Wohnsitz in Wiesbaden. Pfläging ist Autor von Bestsellern wie Führen mit flexiblen Zielen. Praxisbuch für mehr Erfolg im Wettbewerb (ausgezeichnet mit dem Wirtschaftsbuchpreis 2006), Organisation für Komplexität und Komplexithoden. Seine berufliche Laufbahn begann er als Controller, später war er Direktor des renommierten Beyond Budgeting Round Table und Gründer des BetaCodex Network – einer internationalen Open-Source-Community. Pfläging gründete ausserdem Red42 und den Lernanbieter qomenius GmbH.

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