Mangelhafte Übersetzungen – die rechtliche Dimension
Inspiriert von mehreren Beiträgen eines Anwalts, der seine Erfahrungen mit fehlerhaften Übersetzungen hier, hier und hier geteilt hat, wie auch den zahlreichen Reaktionen aus der Übersetzerzunft, dachte ich mir, es darf mal ein Artikel sein, der die rechtliche Seite näher beleuchtet und die abstrakt anmutenden gesetzlichen Regelungen konkret auf Übersetzungsleistungen überträgt. Darum geht es hier.
Nicht auflösen werde ich die sprachliche Fragestellung im Titelbild. Diese war eines der Beispiele, die gebracht wurden, um einen Fehler zu erläutern. Hier geht es mir aber darum, die vertraglichen Regelungen und Rechte, die eine Übersetzung mit sich bringt, verständlich und um Schaubilder ergänzt zu illustrieren. Let's go!
Die vertragliche Dimension
Ein Übersetzungsauftrag ist ein Werkvertrag. Bedeutet, dass ein Erfolg geschuldet wird, also ein verwendbares, „gebrauchsfertiges“ Ergebnis.
Im Schaubild ist
Zu den Aufgaben des Kunden gehört die sog. Abnahme. Das ist die Entgegennahme der Übersetzung, verbunden mit der Erklärung, dass diese als vertragsgemäß anerkannt wird. Hä? Seit wann sagt mir ein Kunde: "Ich nehme Deine Übersetzung entgegen und erkenne sie als vertragsgemäß an"? Tut er auch nicht. Denn das geschieht normalerweise nicht ausdrücklich, sondern stillschweigend (z.B. durch Ingebrauchnahme, Rechnungsbegleichung oder gesetzliche Fiktion gem. § 640 Abs. 2 BGB), und löst u.a. die Fälligkeit der Vergütung und Verjährungsfristen aus.
Die Rechte
Was ist nun bei Mängeln? Erst einmal zu den Begrifflichkeiten – die Rechte heißen:
Hierbei ist die sog. „Nacherfüllung“ vorrangig, also der erste Schritt. Das Gesetz sagt hierzu:
Der Unternehmer kann nach seiner Wahl den Mangel beseitigen oder ein neues Werk herstellen. (§ 635 BGB)
Heißt im Klartext: die Übersetzung entweder nachbearbeiten / korrigieren oder neu anfertigen. Letzteres tut sich praktisch niemand an, also wird der übersetzte Text überarbeitet. Wenn das fehlschlägt (oder verweigert wird), leben die anderen Rechte auf.
Exkurs: Abgrenzung zum Dolmetschen
Dolmetschen ist kein Werk-, sondern ein Dienstvertrag. Dieser hat weder einen Erfolg zum Gegenstand, noch ist er mit den genannten werkvertraglichen Rechten versehen.
Der Mangel
Zurück zur Übersetzung und den Begriff des Mangels. Das Gesetz sagt in § 633 BGB hierzu:
Das Werk ist mangelfrei, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk mangelfrei, wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.
Juristen sprechen auch gerne von einer „Abweichung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit“. Aber was ist denn bei einer Übersetzung die „vereinbarte Beschaffenheit“ oder ihre „vorausgesetzte, gewöhnliche Verwendung“? Na klar, wird jeder sagen, die Übersetzung muss „brauchbar“ sein und den Ausgangstext „sprachlich korrekt“ wiedergeben. Aber was heißt das? 1A Grammatik? Richtige Fachausdrücke? Keine Ungenauigkeiten? Keine Sinnentstellungen? Die Rechtsprechung nimmt all dies und sagt:
Eine Übersetzung ist mangelhaft, wenn sie den Sinngehalt des übersetzten Werkes unzutreffend wiedergibt. Hierbei sind auch Besonderheiten des jeweiligen Fachjargons zu berücksichtigen. Gleiches gilt, wenn der nach der Übersetzung neu gefasste Text sprachlich nicht korrekt ist. (AG Düsseldorf v. 12.09.2016, 14 C 13/16).
Man muss sich also jeden Einzelfall genau ansehen und gewichten. Während grammatikalische Fehler gut identifiziert werden können, verhält es sich mit Ungenauigkeiten und Fachausdrücken nicht immer einfach, insbesondere bei der Frage, ob diese eindeutig als falsch oder sinnentstellend eingestuft werden können. Bei Rechtsübersetzungen setzt das rechtliche, rechtssprachliche und rechtsvergleichende Kenntnisse voraus. Komme ich zum Ergebnis, dass Mängel vorliegen, Nacherfüllung nicht erfolgt oder fehlgeschlagen ist, so gibt mir das Gesetz folgende Richtschnur für eine etwaige Minderung:
Bei der Minderung ist die Vergütung in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert des Werkes in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. Die Minderung ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln. (§ 638 BGB)
Das ist im Hinblick auf Übersetzungsleistungen keine einfache Prozentrechnung. Auf der einen Seite können Fehler bzw. zu korrigierende Wörter natürlich gezählt werden. Insofern ist der Umfang ein Faktor. Auf der anderen Seite ist aber auch die Nutzung zu berücksichtigen, und ob der Inhalt für die Adressaten trotz des Fehlers noch sinnerhaltend vermittelt wird. Auch der für eine Korrektur zu veranschlagende Zeitaufwand ist zu bedenken, wobei Unverständlichkeiten und Sinnenstellungen schwerer wiegen als ein leicht anzupassender Fachjargon. Am Ende steht meist eine Schätzung. So gehen auch Gerichte vor.
Woran keiner denkt: der wandernde Ball
Übersetzungen sind häufig mit einem Zeitfaktor behaftet ("am liebsten bis gestern"). Deshalb gibt es ja auch "Eildienste" und Agenturen, die für einen einzelnen Übersetzer nicht zu bewältigende Textmengen "bewältigen" (dass sie das durch Aufteilung und Verteilung auf mehrere Köpfe machen – und was da alles passieren kann – soll hier nicht näher beleuchtet werden).
Es gibt jede Menge Übersetzungen, die zeitkritisch sind, also zum vereinbarten Termin da sein müssen (man denke nur an einen festen Termin für einen Geschäftsabschluss, zu dem womöglich Leute extra einfliegen; oder eine notarielle Beurkundung, mit der eine Frist gewahrt werden muss; oder, oder, oder). Das kann dazu führen, dass der Nacherfüllungsanspruch des Kunden, der zugleich ein Recht des Übersetzers ist, da er allem anderen vorgeht, nicht zum Tragen kommt. Hierzu folgendes zur Erinnerung:
Der Ball liegt zunächst im Feld des Übersetzers. Dieser muss Gelegenheit bekommen, nachzubessern. Es selbst in die Hand nehmen oder die Rechnung kürzen kann der Kunde erst, wenn er den Übersetzer unter Fristsetzung zur Nacherfüllung aufgefordert hat (es sei denn, diese ist bereits fehlgeschlagen oder verweigert worden).
Ist jedoch der Liefertermin so wesentlich, dass der Auftrag damit erkennbar steht oder fällt, kommt es darauf nicht an. Juristen nennen das Fixgeschäft (es gibt absolute und relative, aber diese Unterscheidung muss uns an dieser Stelle nicht interessieren). Der Ball wandert in das Feld des Kunden, der direkt andere Rechte geltend machen kann, also selbst vornehmen, mindern, usw.
Eine nicht unerhebliche Anzahl Übersetzungen dürfte in diese Kategorie fallen.
Warum ist die Banane krumm?
Am Ende steht noch die Frage nach dem auffällig ruhigen Fahrwasser, in dem wir uns bewegen. Warum hören wir eigentlich so selten von Problemen? Sind alle Übersetzungen prima? Gibt es nie Streit? Ist das von Anwalt Jun Geschilderte ein Einzelfall? Warum gibt es kaum Rechtsprechung zu diesem Thema? Herrscht zwischen Übersetzern und Kunden Friede, Freude, Eierkuchen?
Nun ja, rein logisch betrachtet kann es nicht so sein. Denn dann wären wir im Paradies. Es gibt aber Gründe für die relative Ruhe:
So spielt das Leben. Und KI wird immer mehr mitspielen. Hybride Übersetzungs-, Bearbeitungs- und Vergütungsmodelle haben sich bereits manifestiert. Haftungsfragen beim Einsatz von KI werden ein spannendes Thema in der Zukunft sein.
Nachtrag zu der im Titelbild zu findenden Übersetzungsfrage "Gewährleistung + Garantie = warranty + guarantee?"
Nun noch zur Terminologiefrage. Ich nähere mich in mehreren Schritten, um aufzuzeigen, dass es nicht ganz so einfach ist.
Schritt 1: Klärung der deutschen Begriffe
Schritt 2: Vergleich mit "warranty" + "guarantee"
Schritt 3: Schlussfolgerung
Was klar ist: da Gewährleistung + Garantie zwei verschiedene Paar Schuhe sind, benötigen wir auch zwei englische Begriffe. Für beides "guarantee" zu nehmen, wie das in der vom Anwalt dargestellten Agenturübersetzung (und bei DeepL) der Fall war, ist definitiv falsch. Wir benötigen eine Differenzierung, bei der die Unterschiede (gesetzliche Vorgabe gegenüber Freiwilligkeit) deutlich werden. Da gibt es nicht "die" Lösung. Jede Lösung, die verständlich vermittelt, worum es geht, ist akzeptabel. Vorgeschlagen wurden:
Hierzu folgende Überlegungen:
Conclusio
Nimm, was Dir gefällt (warranty oder guarantee), nimm aber bei der Gewährleistung etwas hinzu, was auf den Gesetzescharakter hinweist ("statutory", "legal", "by law"). Die Garantie kannst du dann "nackt" (also ohne Zusatz) lassen oder – besser noch – ergänzen ("additional", "commercial", "manufacturer's").
Diverse Möglichkeiten also, warranty + guarantee durch Ergänzungen zu konkretisieren und so hinzubiegen, dass sich die Bedeutung erschließt.
Geschäftsführer bei Top Communica
8moSehr guter Artikel. Vielen Dank dafür.
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8moDanke, lieber Patrick, für diesen Beitrag :-)
Interessanter Beitrag! Von Ihnen aber auch von Herrn Jun. Es ist nicht alles Gold, was glänzt 😂 . Liebe Grüße
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8moIch übersetze in die andere Richtung und will mich daher nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich hätte Garantie auch nicht mit guarantee übersetzt , sondern mit express warranty und die Gewährleistung mit statutory warranty.