Und am Ende machen sie es doch…
Admir Kulin fragt... Quo Vadis Digital Health?

Und am Ende machen sie es doch…

Dass die Regierung an der KHZG-Pönale wie geplant festhalten will, überraschte die Branche im Mai – genauso wie Lauterbach mit seinen neuen Vorschlägen für die Klinikreform. Die kommenden Monate und Jahre könnten ungemütlich werden.

Redlichkeit, Fleiß, Pflichtbewusstsein und Pünktlichkeit sind nur einige der Tugenden, die den Deutschen nachgesagt werden. Aber offensichtlich ist es damit nicht weit her, wenn man sich anschaut, womit sich das Gesundheitswesen in Punkto Digitalisierung im Mai vorrangig beschäftigt hat. Wenn man es bösartig formulieren will: mit der eigenen Unpünktlichkeit.

Ich erinnere mich noch an das Berater-Panel auf unserer Smart Health Evolution Vol.1 in Köln im vergangenen November. Dort wurde hitzig diskutiert, dass die Kliniken durch Inflation, steigende Energiekosten und die insgesamt schwierige wirtschaftliche Lage ganz andere Problem hätte, als die im KHZG festgeschriebene Pönale, die ab 2025 fällig wird, sollten Projekte nicht fristgerecht bis 2024 umgesetzt werden. Der einstimmige Tenor damals: Die machen das nicht. Das geht gar nicht. Die Pönale wird ausgesetzt, alles andere wäre unverantwortlich.

Doch so, wie es jetzt aussieht, machen „sie“ es doch – die Verantwortliche auf Bundesebene –, auch, wenn die Krankenhaus-Lobby dies mit intensiven Gesprächen noch zu verhindern versucht. Die deutsche Krankenhausgesellschaft schlägt etwa vor, die Fristen „mindestens für das Jahr 2025, eventuell auch noch für das Jahr 2026“ zu verlängern.

Eine Frage der Perspektive

Dass die Pönale nun doch wie geplant kommen könnte, scheint die Digital Healthcare Branche derzeit in hellen Aufruhr zu versetzen. Denn am Ende ist es eine Weitergabe von Druck, der auf Bundes-, respektive Länderebene auf die Kliniken ausgeübt wird – auch durch teilweise sehr spät bewilligte Förderbescheide –, und den diese wiederum versuchen, an die beauftragten IT-Dienstleister weiterzugeben. 

Es ist allerdings auch ganz klar eine Frage der Perspektive. Denn letztendlich ist das KHZG ja „nur“ als Accelerator gedacht, ein finanzieller Digitalisierungsbeschleuniger im Gesundheitswesen. Die Fördergelder sind keine lückenlose Finanzierungszusage. Demnach dürfte die Digitalisierung der Klinikwelt nicht davon abhängen, wann die Stempel auf die diversen Bescheide, Förderzusagen und Vergabeverfahren gesetzt wurden. In der Theorie – oder sagen wir lieber in einer idealen Welt – müsste sie trotzdem voranschreiten. Und mit einer soliden, langfristig aufgestellten Strategie könnte man somit gelassen auf bevorstehende Strafen blicken. Sie betreffen einen dann nämlich nicht.

Wir alle wissen jedoch, dass die Realität derzeit etwas anders aussieht, vor allem auch, weil die Ressourcen knapp sind und mit dem KHZG zusätzlich eine gewisse Goldgräberstimmung in der Digital Healthcare Branche entstanden ist, sodass sich nicht nur viele Kliniken vor den Strafen fürchten, sondern auch einige der Dienstleister die ehrgeizigen Ziele vermutlich nicht werden halten können.

Ein Unheil kommt selten allein

Und dann ist es ja so, dass – wenn es einmal läuft – es meist auch richtig „dicke“ kommt. Genau das könnte natürlich passieren, wenn Bundesgesundheitsminister Lauterbach auch seine Klinikreform so umsetzt, wie sie aktuell diskutiert wird. Dass er in seinem Vorgehen konsequent ist und sich um die eigene Popularität eher wenig kümmert, dürfte er bislang allen Skeptikern bewiesen haben.

Und der aktuelle Stand von Ende Mai lässt Sorgen tatsächlich begründet erscheinen. Demnach soll das Kliniknetz künftig in drei Versorgungsstufen eingeordnet werden, in die wohnortnahe Grundversorgung, eine zweite, erweiterte Stufe und dann die Maximalversorgung überwiegend vertreten durch Universitätskliniken. Das hieße im Umkehrschluss: Von den rund 1.700 Klinikstandorten in Deutschland wären fast zwei Drittel „nur noch“ auf Level 1 der Grundversorgung, knapp 700 davon sogar nur noch eine Art Gesundheitszentrum ohne Notfallversorgung und stationäre Leistungen, de facto also keine Klinik mehr. Vom „Entzug der finanziellen Lebensgrundlage“ sprechen einige Experten bereits für die Häuser auf unterster Versorgungsstufe.

Es wird eine schmerzhafte Umbauphase geben

Was die Themen, die den Mai bestimmt haben, verdeutlichen: Der Umbau des deutschen Gesundheitswesens könnte sich zu einer schmerzhaften Therapie entwickeln. Es wird Einschnitte und Verluste geben. Was heute noch nicht absehbar ist: Ob die Schmerzen es wert sind, weil am Ende ein zielführendes und zukunftsfähiges Ergebnis steht.

Wir sind uns im Prinzip ja alle einige, dass ein „weiter so wie bisher“ kein gangbarer Weg ist. Was sich jedoch auch immer mehr herauskristallisiert: Die einzelnen Akteure – Kliniken, Niedergelassene, IT-Betreiber, Digital-Health-Unternehmen – müssen sich mehr auf die eigene Kraft und Stärke konzentrieren und sollten sich weniger auf das Außen verlassen, also Fördermittel, Gesetze, Reformen und Regulierungen. Was an vielen Stellen fehlt – und das ist der bisherigen Struktur geschuldet: ein gewisser Unternehmergeist. Der beinhaltet nämlich den Mut zur Veränderung, Weitblick, Vision und auch die Bereitschaft, zum Scheitern, um am Ende erfolgreich zu sein.

Denn was sich nun als Fehler herausstellt, ist vor allem die Annahme, dass „sie es schon nicht tun“, wenn es eng oder schwierig wird. Denn am Ende tun sie es nun wahrscheinlich doch. Und all diejenigen, die sich auf Aufschub, mehr Zeit oder auch mehr Geld verlassen haben, müssen jetzt in kürzester Zeit umdenken – was fast unmöglich ist.

Mit Blick auf die KHZG-Pönale möchte ich an dieser Stelle gar nicht bewerten, ob ein Festhalten am ursprünglichen Zeitplan fair oder unfair ist. Ich möchte vielmehr die Gedankenanregung geben, dass wir unabhängig vom KHZG oder gesetzlichen Vorgaben eigentlich schon gar keine Zeit mehr haben. Andere Unternehmen – vor allem Apple, Google und Co., und Länder sind schon so viel weiter. Wir haben eigentlich nur die Möglichkeit, Vollgas zu geben. Und wenn es schwierig wird und/oder die Umstände widrig werden, dann um so mehr. Denn die Historie hat gezeigt: Eigentlich können wir es doch!

Katharina Wachter

🧭 Director Business Development @ Denovo | ✨ Zusammen von der Idee zum digitalen Produkt | 🤝 talking h2h (human2human) | 💻 Hochqualitative Individualsoftware aus Graz | | #appdevelopment #webapplications #gernperDu

1y

Interessanter Beitrag! Es ist wichtig, die Herausforderungen des Umbaus anzugehen, um eine zukunftsfähige Lösung zu erreichen. Ich freue mich darauf, mehr über deine Analyse des aktuellen Status Quo zu erfahren.

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Jeremy Dähn

CEO and digital healthcare expert

1y

Die lustige Frage ist nur, Kliniken Geld geben, die morgen nur noch Level 1i sind oder besser durch Inflation oder der Reform zum Opfer fallen. Zudem müssen sie, wenn sie noch leben, ggf. die Fördergelder zurückzahlen und Pönalen einstreichen. Zudem stehen weitere Pönalen außerhalb KHZG bereit, wenn ich nicht ein gewisses Maß an Digitalisierung biete. Nichtsdestotrotz machen wir es, dass wir unnütz Steuergelder ausgeben, nur mit dem Ziel dass Kliniken schließen. Mit der größeren Gefahr, dass es die Kliniken sind, die wir eigentlich nicht schließen wollen (ländlicher Raum).

Dr. Pascal Grüttner

Leiter IT @ Hospitalvereinigung der Cellitinnen GmbH

1y

Es ist bedauerlich, dass dem Gesetzgeber (erneut) nichts Klügeres eingefallen ist, als eine Pönale. Man hätte auch für gute Leistungen in der digitalen Transformation belohnen können.

Rolf Stuppardt

Inhaber StuppardtPartner und Herausgeber/Editor sowie Chefredakteur bei WELT DER GESUNDHEITSVERSORGUNG

1y

Ja, lieber Admir, wir müssen ehrlich und schonungslos Klartext sprechen und wohl an die eigene Kraft möglichst über den Tellerrand hinaus appellieren. Warten und lamentieren nutzt nichts. Wir müssten eigentlich gestern schon da gewesen sein, wo wir ohne Courage vermutlich übermorgen noch drauf warten.

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