Die Behauptung, die gestiegenen Strompreise in Deutschland hätten mit dem Atomausstieg zu tun, ist kaum totzukriegen. Im Jahr 2024 wird sie zusätzlich „begründet“ mit der Beobachtung, dass Deutschland tatsächlich eine Rekordmenge Strom importiert hat.
Daher habe ich eine Auswertung aus dem letzten Jahr aktualisiert: die Grafik zeigt die Entwicklung der Strompreise im Großhandel (grün) sowie der Kosten von Gasverstromung (orange). In Letztere fließen sowohl die zwischen 2015 und 2024 um den Faktor ~2,5 gestiegenen Gaspreise ein sowie die im selben Zeitraum um den Faktor ~8 gestiegenen CO2-Preise.
Der unmittelbare Zusammenhang der Kosten von Gasverstromung und Strompreisen sticht ins Auge. So muss es auch sein, da die sogenannte "Merit Order" für genau diese Kopplung im Markt sorgt. Einen Zusammenhang mit den Abschaltzeitpunkten deutscher AKW kann man nicht erkennen. Studien hatten im letzten Jahr einen Preiseffekt von 0,2-0,3 ct/kWh ermittelt.
Es wäre schön, wenn wir von den oft politisch motivierten Falschaussagen wegkämen und uns darauf konzentrieren könnten, wie wir die tatsächlich erheblichen Herausforderungen bei den nächsten Schritten der Energiewende optimal gestalten: Digitalisierung, bessere Ausnetzung der Stromnetze und Netzausbau sowie die Entfesselung neuer Geschäftsmodelle rund um Speicher und Flexibilität. Auch die Nachfragesteigerung über Elektromobilität und Wärmepumpen gehört dazu. All das muss vorankommen, wenn wir den endlich wieder angeschobenen EE-Ausbau mit hohem Tempo aufrecht erhalten, Stromkosten senken und Klimaziele erreichen wollen. Ständige Scheingefechte um die Atomkraft bringen da herzlich wenig.
P.S: die fehlende Korrelation der Strompreise mit den AKW-Abschaltungen ist auch unabhängig von den Parteienkonstellationen, die zum jeweiligen Zeitpunkt die Regierungsverantworten getragen haben (siehe Farbcode).
P.P.S: mit den letzten 3 AKW im Dauerbetrieb wären die Deutschen Stromimporte in diesem Jahr sicherlich geringer ausgefallen – vermutlich aber auch nicht null. Genau ausgewertet habe ich das allerdings noch nicht. Klar wären in Importstunden die Importe geringer ausgefallen, in Exportstunden wären diese aber ebenso größer geworden – wir hätten ja noch mehr Produktion im Land gehabt. Das Kernproblem unseres aktuellen Stromsystems ist, dass es zu starr ist. Auch das zeigt die Grafik sogar in dieser Auflösung: die Volatilität der Strompreise hat massiv zugenommen. "Flexibilisierung ist King". Starre Erzeugung hilft da nicht.