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Mögliche EU-Aufrüstung Scharfe Kritik an Barleys Atomwaffen-Vorstoß

Die SPD-Politikerin Katarina Barley hält die EU für unzureichend geschützt und bringt neue Atomwaffen ins Gespräch. Gegenüber dem SPIEGEL lehnen mehrere Abgeordnete den Vorschlag entschieden ab, auch aus den Reihen der Ampel.
Katarina Barley bei der Europadelegiertenkonferenz der SPD in Berlin (im Januar)

Katarina Barley bei der Europadelegiertenkonferenz der SPD in Berlin (im Januar)

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Kay Nietfeld / dpa

Kann sich die Europäische Union (EU) ausreichend verteidigen, sollten die USA einmal nicht bereitstehen? Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, bezweifelt das – und kann sich die Anschaffung eigener EU-Atomwaffen zur Abschreckung vorstellen. Doch ihre Einlassung im »Tagesspiegel« stößt auf entschiedene Kritik aus dem Bundestag.

Die Äußerung lasse »an ihrem politischen Verstand zweifeln«, empörte sich der CDU-Außenexperte Johann Wadephul gegenüber dem SPIEGEL über Barley. »Ist das etwa die Position der Bundesregierung und der SPD? Wie soll das angesichts der völkerrechtlichen Bindung Deutschlands überhaupt realisiert werden? Ist das mit Frankreich, das ja schon Atomwaffen besitzt, abgesprochen?«, fragte der Unionsabgeordnete. Die bisherige Abschreckung amerikanischer Waffen könne kaum durch ein vergleichbares EU-Arsenal ersetzt werden. »In dieser internationalen Krisenlage brauchen wir rationale Entscheidungen und keinen Alarmismus«, sagte Wadephul.

»Brandgefährlich und verantwortungslos«

Ähnlich kritisch äußern sich auch Ampelpolitikerinnen und Ampelpolitiker. Der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner warnt davor, »auf Gedeih und Verderb« aufzurüsten, »schon gar nicht im nuklearen Bereich«. »Weder sollten wir so tun, als ob Trump schon gewählt sei – die amerikanische Bevölkerung ist ja nicht zur Dummheit verpflichtet – noch so, als ob wir jetzt die Rolle der USA übernehmen könnten«, sagte Stegner dem SPIEGEL. Allerdings springt der Sozialdemokrat der Lesart seiner Parteikollegin bei, dass Europa mehr in seine gemeinsame Sicherheitspolitik investieren muss – gerade, falls US-amerikanische Sicherheitsgarantien wegfallen sollten. »Aber nukleare Aufrüstung ist nicht Realpolitik in der Zeitenwende, sondern im Gegenteil brandgefährlich und verantwortungslos.«

Die Chefin des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hält eine gemeinsame abgestimmte Verteidigungspolitik für wesentlicher als EU-Atomwaffen. »Die EU selbst braucht keine eigenen Atomwaffen – sie hat ja nicht einmal eigene Streitkräfte«, sagte die FDP-Abgeordnete dem SPIEGEL. Sollte die USA als Schutzmacht ausfallen, habe Frankreich einen atomaren Schutzschirm. Strack-Zimmermann drängt darauf, dass es einen EU-Kommissar für Verteidigungsfragen geben müsse, der künftig die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern koordiniert.

»Wir sehen am Beispiel der Ukraine, dass atomare Abschreckung hochrelevant ist«

Grundsätzlich pflichtet sie Barley bei, dass Atomwaffen ein Aspekt von Schutz sein können: »Wir sehen am Beispiel der Ukraine, dass atomare Abschreckung hochrelevant ist«, so Strack-Zimmermann. Man dürfe davon ausgehen, dass die Ukraine nicht von Russland angegriffen worden wäre, hätte sie ihre Atomwaffen nicht abgegeben. »Übrigens nur, weil die Russen versprochen hatten, die Ukraine zu schützen.«

Die grüne Verteidigungspolitikerin Sara Nanni warnt vor neuer globaler Aufrüstung als Folge eines EU-Atomwaffenprogramms. »Sollte sie gemeint haben, dass man die französischen und die britischen zusammenlegt: Das ist naiv. Das würde keine der Nationen tun«, sagte Nanni. Die Grüne appelliert stattdessen an eine gemeinsame europäische industrielle Basis für konventionelle Rüstungsgüter.

Auch der Grünenabgeordneter Anton Hofreiter sieht viele offene Fragen. »Wie soll eine Kommandostruktur aussehen und wer entscheidet über den Einsatz? Eine eigene europäische Nuklearstreitmacht würde einen riesigen Integrationsschritt in der Außen- und Sicherheitspolitik voraussetzen«, sagte Hofreiter dem SPIEGEL. Eine gemeinsame EU-Armee ist aber noch lange nicht in Sicht. Hofreiter drängt allerdings ähnlich wie Barley auf eine stärkere Zusammenarbeit in Nuklearfragen – nur unter anderen Vorzeichen. »Was wir brauchen, ist eine engere europäische Abstimmung innerhalb der Nato

Barley hatte die Überlegungen zur EU-Atombombe nach den jüngsten Nato-kritischen Äußerungen von Ex-Präsident Donald Trump angestrengt. Dieser hatte bei einer Wahlkampfveranstaltung gesagt, er würde Nato-Ländern bei einem Angriff nicht zu Hilfe kommen, die nicht genug für Verteidigung ausgäben. Er würde dann Russland sogar ermutigen mit ihnen zu tun, »was immer sie wollen«.

Neben der CDU und den Grünen hatte auch Linkenchef Martin Schirdewan Barleys Aussage kritisiert, der SPD warf er »Säbelrasseln« vor. »Die richtige Antwort auf Trumps Unsinn ist nicht atomare Aufrüstung, sondern eine Politik der Deeskalation und zivilen Konfliktlösung«, sagte Schirdewan, der Linken-Spitzenkandidat für die Europawahl ist, der Nachrichtenagentur AFP. »Mehr Atombomben machen die Welt nicht sicherer«, sagte Schirdewan. »Im Gegenteil, mit allen Atombomben, die es derzeit gibt, kann man die Welt mehr als 50 Mal auslöschen.« Statt »über mehr Atombomben nachzudenken, sollte Deutschland unter einer SPD-Regierung nun den endlich den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen«, sagte der Linkenchef.

mrc/cte/kor/sev/ham/csc/joss/flo
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