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Wall Street verliert an Schwung – Europa holt auf
Die amerikanische Wirtschaft überzeugt weiterhin durch ein robustes Wachstum. Im vierten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA aufs Jahr hochgerechnet um 3,3 Prozent zu und übertraf damit die Konsenserwartungen der Volkswirte. Und eine Rezession scheint nicht in Sicht. Im Gegenteil: Schon seit Monaten entstehen außerhalb der Landwirtschaft mehr neue Arbeitsplätze als erwartet. Allein im Januar entstanden 353.000 neue Jobs und damit fast doppelt so viele wie vorhergesagt.
Bislang konnten die USA den konjunkturellen Schwung aus dem alten ins neue Jahr mitnehmen. Die Wachstumsdynamik dürfte mindestens noch in der ersten Jahreshälfte anhalten, bevor sich dann das Momentum abschwächen könnte. Unterm Strich sollte das amerikanische BIP im Gesamtjahr um bis zu knapp drei Prozent zulegen. Davon können die Deutschen nur träumen.
Die Bundesrepublik, die größte Volkswirtschaft der Eurozone, befindet sich in der Rezession. Fürs Gesamtjahr ist hier nur mit einem Mini-Wachstum zu rechnen. Auch dadurch dümpelt die Konjunktur in der Eurozone vor sich hin. Hier ist insgesamt 2024 nur mit einem Plus von weniger als einem Prozent zu rechnen. Auch die britische und die japanische Wirtschaft sind im vierten Quartal des vergangenen Jahres in die Rezession gerutscht.
Die unterschiedliche wirtschaftliche Dynamik spiegelt sich auch in den Aktienkursen wider. Der S&P 500 ist auf Sicht eines Jahres um satte 27 Prozent gestiegen. Der Euro Stoxx 50 schaffte im selben Zeitraum zwar auch ein ansehnliches Plus von 14 Prozent, blieb aber – wie so häufig – deutlich hinter der Wall Street zurück. Diese Entwicklung lässt sich jedoch nicht ohne weiteres so fortschreiben.
Zinserhöhung in den USA lässt auf sich warten
Im weiteren Jahresverlauf könnte es durchaus eine Trendwende geben. In den USA dürfte sich die Hoffnung auf eine baldige Leitzinssenkung der Fed zunehmend in Luft auflösen. Sie war einer der wesentlichen Motoren für die Rally der zurückliegenden Monate. Laut Fedwatch Tool der CME Group beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen ersten Zinsschritt auf der nächsten Sitzung der amerikanischen Notenbank am 20. März nur noch drei Prozent. Eine erste Lockerung der amerikanischen Geldpolitik dürfte es somit frühestens zur Jahresmitte geben. Dafür spricht auch die zuletzt unerwartet hohe Inflation in den USA.
Gleichzeitig macht der wachsende Schuldenberg zunehmend Sorgen. Das Haushaltsdefizit dürfte in diesem Jahr bei sage und schreibe 8,8 Prozent liegen. Das engt den Spielraum in Washington weiter ein. Zwar hat die Wall Street während der Präsidentschaft von Donald Trump kräftig zugelegt. Und auch in der bisherigen Amtszeit von Joe Biden ist der S&P 500 deutlich gestiegen. Aber die rasant gestiegene Staatsverschuldung dürfte den künftigen US-Präsidenten zu unwillkommenen Maßnahmen zwingen.
Gewinnt Trump die Wahl, ist mit massiven Ausgabenkürzungen zu rechnen. Unter Biden sind dagegen Steuererhöhungen wahrscheinlich. Beides dürfte den Aktienanlegern nicht schmecken. Dazu kommt, dass vor allem die gehypten Tech-Konzerne mittlerweile sehr hoch bewertet sind, was allerdings für die kleineren Unternehmen sehr viel weniger gilt. Hier sind weiterhin interessante Einstiegsgelegenheiten zu finden.
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Rahmenbedingungen für Europa bessern sich
Während an den US-Börsen Feierlaune herrscht, befindet sich die Stimmung an den europäischen Handelsplätzen in einem tiefen Tief. Dabei ist die Lage besser als es scheint. Auch die europäische Wirtschaft profitiert von der robusten Konjunktur in den USA.
Gleichzeitig könnte sich China wieder erholen. Auch das käme der europäischen Wirtschaft zugute. Insgesamt zeichnet sich das Ende der weltweiten Industrierezession ab, unter der vor allem Exportländer wie Deutschland leiden. Die globalen Einkaufsmanagerindizes fürs Verarbeitende Gewerbe haben bereits nach oben gedreht.
Zwar werden im laufenden Jahr in Europa die Bäume sicherlich nicht in den Himmel wachsen. Doch die sehr niedrigen Erwartungen ans Konjunkturwachstum könnten zumindest leicht übertroffen werden. Dazu kommen noch die deutlich günstigeren Bewertungen an den europäischen Aktienmärkten.
Unterm Strich sind Aktien in den USA weiter unterzugewichten. Dasselbe gilt für Japan, wo sich die Rahmenbedingungen zuletzt spürbar verschlechtert haben. Die europäischen Aktienmärkte verfügen dagegen über weiteres Aufwärtspotenzial, auch, weil bislang das Sentiment der Anleger noch angeschlagen ist. Für die Schwellenländer gibt es ebenfalls insgesamt positive Aussichten. In China liefern Käufe des Staatsfonds sowie Aktienrückkäufe der Unternehmen Unterstützung.
Über den Autor:
Reinhard Pfingsten ist seit Oktober 2023 Investmentchef der Apobank. Dort verantwortet er auch die Vermögensverwaltung und das institutionelle Anlagegeschäft. Zuvor ist er in der gleichen Position bei der Bethmann Bank tätig gewesen. In der Vergangenheit war Pfingsten außerdem für Hauck & Aufhäuser, Sal. Oppenheim, Deka Asset Management und die Allianz-Gruppe aktiv.