1. Jahr Bundestag - Das längste, kürzeste Jahr meines Lebens
Foto: Anne Hufnagl

1. Jahr Bundestag - Das längste, kürzeste Jahr meines Lebens


Ein Jahr nach meinem Einzug in den Deutschen Bundestag muss ich feststellen, es war das längste und kürzeste Jahr meines Lebens. Das längste, weil so unglaublich viel passiert ist — gleichzeitig war es das kürzeste, weil es nur so vorbei gerauscht ist. Es hat sich eher nach Tagen und Wochen als nach ganzen zwölf Monaten angefühlt. Heute möchte ich mit Euch meine 5 Learnings des letzten Jahres teilen:


1. Digitalisierung und modernes Arbeiten ist im Bundestag Fehlanzeige. 


Bereits am zweiten Tag bekam ich meinen Dienstlaptop, samt einem ganzen Ordner Papier und vieler, vieler Unterschriften um auch wahrlich alles abzusichern. Soweit so deutsch, aber das war es dann auch. Standardprogramme für die digitale Zusammenarbeit (Videokonferenzen, Dokumentenbearbeitung, Cloudspeicher, Messenger) waren nicht nur nicht vorhanden, sondern auch nicht zu installieren. Kein Wunder, das Politik oft langsam und digital unbeholfen wirkt. Hier gibt es echten Nachholbedarf.


2. Ein langer Weg für unsere CDU


Mit dem Wechsel zu Friedrich Merz änderte sich auch der Elan in der Oppositionsarbeit. Klar und bestimmt im Auftreten wurden nach wochenlangem Zögern des Kanzlers die Waffenlieferungen an die Ukraine durchgesetzt und dafür gesorgt, dass die 100 Mrd Euro Sondervermögen auch wirklich nur für die Bundeswehr ausgegeben werden. Und dennoch ist gerade die öffentliche Darstellung der Union aus meiner Sicht noch zu sehr auf den Vorsitzenden ausgerichtet. Es braucht langfristig mehr Köpfe in der Fraktionsspitze, die für ein Spezialgebiet auch medial nach außen kompetent auftreten und echte Gegenspieler zu den Ministern der Ampel werden. 


3. Effizenz in der Entscheidungsfindung ist ein Fremdwort 


Dass die Mühlen in der Politik langsam mahlen, war mir ja schon länger klar. Doch, dass Prozesse oft eher wegen Eitelkeiten und nicht wegen relevanten Sachfragen verzögert werden hat mich schockiert. Nehme ich nur meine Themen in den Ausschüssen musste ich lernen, dass jetzt bereits 10 (!) mal die Entscheidung vertagt wurde, ob Deutschland das europäisch ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Kanada unterzeichnet. Auch intern musste ich leider zusehen, wie der von uns erarbeitete Antrag zum EU-Kandidatenstatus der Ukraine und Moldau über Wochen verzögert wurde, bis er durch die EU-Kommissionsempfehlung quasi wertlos war. Wir sind langsam. Und wir werden uns die Frage stellen müssen, ob wir uns diese Langsamkeit in Zukunft noch leisten können - denn Sorgfalt darf nicht zur Trägheit werden.


4. Ein Hangeln von Krise zu Krise 


Als ich Weihnachten letzten Jahres ein paar Tage der Ruhe genoss, dachte ich mir: Nach diesem bescheidenen Jahr für die CDU, können wir 2022 beginnen wieder Substanz zu gewinnen und neue Konzepte zu erarbeiten. Denn wir waren vor allem auch wegen fehlendender Ideen und Programme für die Zukunft abgewählt worden. Doch dann kam der 24. Februar 2022 - ein Tag der die Welt veränderte. Als Ukraine-Berichterstatter im Europaausschuss folgte eine wahnsinnig arbeitsreiche Zeit und es blieb bisher die Arbeit am neuen Narrativ und neuen Konzepten der CDU mal wieder auf der Strecke - das wurmt mich!


5. Junge Kollegen bringen parteiübergreifend einen neuen Spirit


Zum Glück setzt sich der Schlagabtausch zwischen den Fraktionen nicht auf der persönlichen Ebene fort. Denn wo man abends zusammen ein Bier trinkt, über die kleine und große Politik oder auch nur das letzte Bundesligaspiel spricht, da sind die Parteigrenzen schnell vergessen. Denn eins verbindet tatsächlich besonders uns junge, neue Abgeordnete: Niemandem von uns hilft der ständige Blick zurück. Wir haben Ideen, wollen etwas verändern, etwas bewegen und geben uns nicht mit der ‚das haben wir schon immer so gemacht‘-Mentalität zufrieden. Dieser Antrieb, dieser gemeinsame Spirit, macht die Zusammenarbeit hinter dem Vorhang so besonders und ich hätte vor einem Jahr vermutlich nicht gedacht, dass man mit Grünen genauso gut diskutieren und das Land neu denken kann wie mit FDP’lern? 


Wir jungen Wilden haben in unserem ersten Jahr mit Sicherheit nicht alles verändert, aber wir haben gelernt, vernetzt und an manchen Stellen eine Stimme gefunden. Damit machen wir auch in den nächsten Jahren weiter. Denn Deutschland braucht mehr #Zukunftsmacher.

Mario H.

Sounds good visually too.

2 Jahre

Ein bisschen triefendes Selbstmitleid, dazu noch wenig von dem Zeug, das man Unschuld nennt. Zwölf Monate gehen so schnell vorbei. Wie lange hat man als MdB eigentlich Welpenschutz? Die eigentliche Frage ist doch: Hätten Sie die Zeit, die Sie für diesen belanglosen Aufsatz aufgewendet haben, nicht dazu nutzen können, konkret etwas zu bewegen? Sorry, die Info, dass Sie nach zwei Tagen "Ihren" Laptop erhalten haben, ist komplett unerheblich. Wichtiger wäre gewesen, wann Sie den Stahlhelm von der Lambrecht erhalten haben. 🙄

Esther Haß

DiplPäd bei Jüd.Gem. und DIG und Stadträtin

2 Jahre

Ehrlich!

Timo Hatzenbühler

Be yourself or be no one

2 Jahre

Glückwunsch mein Lieber. Du machst tolle Arbeit.

Gerrit Wernke

Head of Berlin Office @VATM | #digitalInfrastructure | #connectivity | #technology & #innovation | #wettbewerbverbindet

2 Jahre

Nichts für ungut, aber der erste Punkt ist leider absolut verkehrt! Da mag ich auch mal gerne eine Lanze für die große Behörde Bundestag brechen, die aufgrund ihrer Trägheit halt so ist, wie sie ist. Nach LP-Wechsel mit neuem Laptop ausgestattet, waren gleich mehrere "standardmäßige" Programme für das digitale Arbeiten vorinstalliert (dazu, Webex, Zoom, Wire, etc.),... jedenfalls bei mir. Es ist richtig, dass haufenweise Unterschriften abgegeben werden müssen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich insbesondere seit und während der Pandemie enorm viel getan hat. Wenn man ein wenig auf Zack ist, kriegt man auch ratzfatz die nötige Infrastruktur aufgestellt, inklusive Cloud oder kollaboratives Arbeiten (was bei der einen Fraktion übers Intranet scheinbar deutlich(!) besser läuft als bei anderen ;). Aufgrund sicherheitsspezifischer Vorgaben, die in diesem Hause halt dazu gehören, muss man halt einen Meter extra gehen. Und btw: Hybride Sitzungen mit Top-Equipment stehen in verschiedensten Sitzungsräumen zur Verfügung. Man muss sich nur einmal briefen lassen, dann geht es ganz schnell. Der Deutsche Bundestag ist deutlich digitaler (geworden), als man glaubt. Aber richtig ist auch, dass man es immer noch besser machen kann.

Henri Bohnet

Policy Advisor Subsahara Africa, Media and Political Parties, Konrad-Adenauer-Stiftung

2 Jahre

Danke für die Insights Tilman. Digitalisierung: eine anhaltende Herausforderung! Btw: Remember 🇬🇷 and Pierrakakis?!

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