#10 | Einfach mal laufen lassen
Mittlerweile ist Reisetag 319 erreicht und es geht um eine Frage, die eine gewisse Konstante auf meiner Reise ist. Denn ich begegne immer wieder Menschen, die mich fragen:
Sebastian, warum läufst du so viel? Ist doch voll anstrengend! Und dann noch bei dieser Hitze…
Ich möchte der Transparenz halber zu Beginn bemerken, dass ich wahrlich weder Sportexperte noch Mediziner bin, sondern eher Autodidakt. Ich erzähle hier entsprechend von meiner Erfahrung. Wenn du Ergänzungen oder Anregungen hast, lass mich das aber gerne in den Kommentaren wissen.
Einstiegsfrage: Welchen Sport machst du und warum?
Ja, ich gehe also regelmäßig laufen. Warum aber ist mir Sport so wichtig? Gute Frage, denn das war freilich nicht immer so. Und genau wegen dieses Kontrasts kann ich dir erzählen, wie wichtig heute insbesondere Laufsport für mich ist. So wichtig, dass ich ihn auch während der Reise praktiziere.
Früher, in Bamberg, lief ich auch relativ regelmäßig. Bis ich nach einer Fußverletzung in 2017 eine längere Pause machen musste. Nur eine Pause, dachte ich. Die Wahrheit ist, ich fing nie wieder an. Es sollte mir eine Lehre sein. Damals war mir nicht klar, wie gut der Sport für mich ist. Fakt ist, einige Jahre bin ich nicht besonders fürsorglich mit mir und meiner Gesundheit umgegangen. Und so habe ich durch meine Reisen und erst in Berlin zurück zum Laufen gefunden. Lass mich dazu kurz ausholen.
Es ist der 25. September 2022. Ich bin vor drei Wochen nach Berlin gezogen. Nun stehe ich inmitten zahlreicher Menschen am Brandenburger Tor und warte. Ich hatte meinem niederländischen Freund, den ich zu Beginn meiner Reise in Mexiko Anfang Mai kennengelernt hatte, versprochen, dass, sollte er tatsächlich antreten und sollte ich tatsächlich nach Berlin ziehen, ich ihm beim Berliner Marathon anfeuern würde. Natürlich hielt ich Wort. Schon bei Kilometer 10 und 21 hatte ich ihm zugejubelt. Jetzt erwartete ich seinen Zieleinlauf und sah dabei zu, wie ein Läufer nach dem anderen erst das Brandenburger Tor und dann die Ziellinie durchlief. Die ganze Atmosphäre rund um den Lauf inspirierte mich. Ich sehe die erschöpften, aber lächelnden Gesichter der Läufer und Läuferinnen, spüre die positive, motivierende Energie der Zuschauer. Ich habe Gänsehaut und fühle es deutlich: Ich will auch wieder laufen, will auch an einem solchen Event teilnehmen.
Drei Wochen später, am 15. Oktober, laufe ich das erste Mal wieder. Seit über fünf Jahren. 5,5 km. 6’35”-er Pace. Es fühlt sich gut an und ich setze mir ein Ziel: Der Berliner Halbmarathon in sechs Monaten. Erst später bemerkte ich, welch besondere Bedeutung sogar das Datum für mich hatte. Der Lauf würde ein würdiger Meilenstein sein und das Ende eines verdammt wilden Jahres markieren. Aber erst einmal muss ich wieder in Form kommen. Viele meiner Trainingseinheiten laufe ich so, dass ich am Brandenburger Tor ende. Ich lasse, aus Prenzlauer Berg kommend, den Fernsehturm links liegen und jogge Unter den Linden entlang auf das ikonische Tor zu, sehe die Siegessäule im Hintergrund erscheinen und stelle mir vor, ich hätte den Halbmarathon geschafft. Und so visualisiere und manifestiere ich mein Ziel.
Ob im Sport oder im Business: Welche Erfahrung hast du mit dem Visualisieren von Zielen?
Als ich am 2. April 2023 tatsächlich über die Ziellinie laufe, rollen mir Tränen über die Wangen. Ich bin überglücklich. Und mir wird klar, dass ich auf gar keinen Fall aufhören sollte. Und so laufe ich weiterhin. Zwei, drei Mal die Woche. Bevor ich im Dezember 2023 aufbrach, war ich insgesamt fünf Mal die Halbmarathon-Distanz (21,097 km) gelaufen. Weil Laufen in der Zeit für mich ein integraler Bestandteil geworden ist, beschließe ich, meine Laufschuhe mit auf meine Weltreise zu nehmen. Denn das Gute am Laufen ist ja, dass man – außer ein paar Schuhen – nichts braucht. Ich kann es also grundsätzlich überall und jederzeit machen. Einfach Schuhe an und los. Seit diesem ersten Lauf in Berlin bin ich nun über 1.000 km gelaufen, über 300 km davon in 9 Ländern auf dieser Reise.
Bevor ich noch ein paar Anekdoten vom Laufen während meiner Reise erzähle, möchte ich dir noch kurz vier Argumente mitgeben, warum grundsätzlich Ausdauersport im Allgemeinen und Laufsport im Speziellen gut unter anderem für die mentale Gesundheit ist.
1. Reduktion von Stress und Stimmungsverbesserung:
Beim Laufen werden Endorphine, Dopamin und Serotonin ausgeschüttet. Dies verbessert die Stimmung und baut Stress ab, denn diese Hormone wirken wie natürliche Stimmungsaufheller und helfen dabei, sich entspannter und ausgeglichener zu fühlen. Endorphine sind körpereigene Schmerzmittel, manchmal Glückshormone genannt, die bei körperlicher Aktivität – und so auch beim Laufen – freigesetzt werden. Sie erzeugen ein Gefühl von Wohlbefinden und Euphorie. Dopamin wiederum ist ein Neurotransmitter, der für Motivation, Belohnung und Vergnügen zuständig ist. Serotonin reguliert die Stimmung, den Schlaf, das Gedächtnis und das allgemeine Wohlbefinden und hilft somit, Angst und Depressionen zu vermindern.
Ich merke zum Beispiel, dass ich unzufrieden werde, wenn ich längere Zeit nicht laufen kann. So kann es während meiner Reise immer wieder passieren, dass ich aus verschiedenen Gründen nicht zum Joggen komme. Nach einem Lauf geht es mir aber immer gut und ich fühle mich sehr energetisch. Auch wenn ich eigentlich eher der Typ Nachteule bin, sind Runden zum Sonnenaufgang ein wahnsinnig geiler Start in den Tag. Und gerade bei tropischer Hitze bietet es sich an, die kühlen Morgenstunden zu nutzen.
2. Angst- und Depressionsminderung:
Laufen kann Symptome von Angst und Depression lindern, da es hilft, das Gehirn auf positive Gedanken zu fokussieren und die Produktion von Stresshormonen zu verringern. Die regelmäßige Bewegung schafft außerdem ein Gefühl von Kontrolle und Zielstrebigkeit, was psychisch stabilisierend wirkt. Hier spielen unter anderem Noradrenalin und Cortisol eine Rolle. Noradrenalin erhöht die Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit, indem es den Körper in einen „Kampf-oder-Flucht“-Modus versetzt. Cortisol ist ein Stresshormon, das bei Belastungen wie intensivem Training freigesetzt wird. Regelmäßiges Laufen kann helfen, die Cortisolwerte langfristig zu regulieren und so den stressbedingten Anstieg zu verringern, was wiederum zur mentalen Entspannung beiträgt.
Mir hilft Laufen beispielsweise immer, wenn ich eine Phase habe, in der ich mich gerade super verloren und planlos fühle. Ich hatte in Episode #05 schon mal erzählt, wie ich in Hongkong festsaß und wie Laufen mir hier half, eine Entscheidung zu treffen. Es ist tatsächlich so, dass – habe ich den inneren Schweinehund erst einmal bezwungen – ich mich immer sehr gut fühle, insbesondere wenn ich zum Beispiel trotz Regen oder im Winter bei Kälte mein Training durchziehe. Diese Energie und dieser Fokus helfen mir in der kurzfristigen Situation. Aber ich glaube auch, an mir festgestellt zu haben, dass ich seit ich regelmäßig laufe auch langfristig entspannter geworden bin. (Könnte aber natürlich auch daran liegen, dass ich weniger Schlips und dafür mehr Badehose trage 😉)
3. Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit:
Laufen schafft messbare Erfolge. Sei es durch längere Strecken, schnellere Zeiten oder einfach die Tatsache, dass man sich bewegt. Diese Erfolge stärken das Selbstwertgefühl und fördern die Überzeugung, schwierige Aufgaben bewältigen zu können.
Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich vor fast zehn Jahren auf der Bamberger Erba-Insel das erste Mal die 10 km geknackt habe. Das war einfach unglaublich zu sehen, wie ich mir ein Ziel setzte, daran arbeitete und es erreichte. Auch noch weiß ich, wie ich damals diese Haltung mit in meinen Job nahm, als ich am Beginn meiner Laufbahn stand. Mein erster Halbmarathon war dasselbe. „Wenn ich das schaffe, dann kann ich noch ganz andere Dinge erreichen“, war damals meine Reaktion. Ich bin nun schon mehrfach über die 21 km gelaufen. Nicht immer war das ein Zuckerschlecken. Aber ich habe gelernt, meine Grenzen besser zu kennen. Ich habe auch gelernt, dass mein Kopf viel eher aufgibt als mein Körper. Und ich habe gelernt, dass eben auch Schmerz und Erschöpfung vergänglich sind.
4. Achtsamkeit und Entspannung:
Insbesondere beim Laufen im Freien, vor allem in der Natur, fördert Joggen das Gefühl von Achtsamkeit. Es gibt dem Geist die Möglichkeit, abzuschalten und sich zu regenerieren. Viele Menschen empfinden das Laufen als meditative Tätigkeit, die hilft, den Kopf frei zu bekommen.
Mir geht es auch so. Nicht bei jedem Lauf, das wäre gelogen. Aber auch ich habe das sogenannte Runner’s High, das für mich meditativen Charakter hat, schon erlebt. Auf anderen Läufen – ich gehe unten noch einmal darauf ein – lege ich mehr Wert darauf, meine Umgebung zu erkunden und zu genießen.
Wie regulierst du dich am besten zum Beispiel nach einem stressigen Arbeitstag? Was trägt dich durch eine anstrengende Projektphase?
Ich hoffe, dieser Teil war für dich hilfreich. Vielleicht hast du ja auch Lust bekommen, dich wieder mehr zu bewegen. Was du genau machst, wie du dabei aussiehst und welche „Leistung“ du ablieferst, ist da doch völlig egal. Du machst das doch für dich, oder? Ein Akt der Selbstliebe sozusagen. Lass mich gerne wissen, wenn du hiernach aktiv wurdest. Falls du noch immer haderst, lass mich dir abschließend noch drei Anekdoten vom Laufen auf meiner Reise zur Inspiration mitgeben.
Wie bereits oben gesagt, ist das Schöne am Laufen, dass man es einfach machen kann. Und so eignet es sich für mich unter anderem besonders gut, um die Gegend zu erkunden. Ein Sightseeing-Run, wenn man so will. Es ist für mich immer wieder eine Freude, wenn ich einfach drauflos laufe und schaue, wo es mich hintreibt. So zum Beispiel zuletzt in Kuala Lumpur. Ich lief hier einfach los und orientierte mich an den Hochhäusern der Stadt wie den berühmten Petronas Twin-Towers, dem markanten KL-Tower und dem Merdeka 118, dem zweithöchsten Gebäude der Welt. So erlief ich mir in 15 km einen ersten Überblick über diese Metropole. Solche Läufe machen Spaß und es ist immer auch ein bisschen aufregend, weil ich oft nicht genau weiß, wo ich bin und was mich in der nächsten Straße erwartet.
Manchmal setze ich mir allerdings auch eine konkrete Destination. In Pai, im Norden von Thailand, lief ich beispielsweise zu einer Buddha-Statue, die sich auf einem Hügel etwas außerhalb der Stadt befindet. Auf dem Weg dorthin lief ich durch einige Gassen und Feldwege, die ich sonst nie gesehen hätte. Oben bei der Statue machte ich eine Pause, genoss den Sonnenuntergang und lief in der Dämmerung zurück zu meiner Unterkunft. Was ein geiler Abschluss für den Tag.
Wie gut kennst du eigentlich deine Stadt oder Umgebung? Was gibt es wohl bei dir zu entdecken? Hast du dir deine Stadt schon mal erlaufen oder erradelt?
In Nong Khiaw, hoch im Norden von Laos, lief ich einfach der einzigen Straße folgend, 4 km raus aus der kleinen Stadt. Ich lief durch malerische Berglandschaften und kam auch durch ein paar kleine Dörfer. Allein die Aussicht war schon purer Genuss. Ich habe außerdem die Laoten als ein wahnsinnig entspanntes, herzlichen und gastfreundliches Volk kennengelernt. Und dies wurde auch hier wieder deutlich: Als ich durch die Dörfer joggte, riefen mir Kinder „Sabaidee!“ zu und winkten lächelnd. Ein kleines Mädchen rannte sogar schnell über die Straße, um mir ein High-Five zu geben. Auch ältere Menschen hatten ein Lächeln für mich übrig, manchmal sogar einen Daumen hoch, und ich winkte gerne zurück. Eine wunderbare Erfahrung.
Die einzige Herausforderung – neben dem Finden einer Laufroute – ist eigentlich nur die Wäsche. Denn das ist nicht immer so einfach. Immerhin verfüge ich nicht über meine eigene Waschmaschine, sondern bin auf Waschsalons, Wäscheservice oder eine Waschmaschine im Hostel angewiesen. Und so kann es schon mal sein, dass die Laufsachen nur schnell handgewaschen und in der Sonne getrocknet werden können. Bislang konnte ich zum Glück verhindern, dass es in meinem Rucksack unappetitlich roch. Denn wenn das Reisen mir eins lehrt, dann, dass es immer für alles eine Lösung gibt. Auch für stinkende Laufsocken.
Zum Abschluss: Bei mir darf Laufen also nicht fehlen. Was darf bei dir auf Reisen nicht fehlen?
Roam free, live bold!
Sebastian
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e-mobilio || Head of Ecosystem Development
1 MonatVielen Dank Sebastian fürs Teilen. Sport (egal auf welchem Intensitätslevel) ist so viel wichtiger für den Kopf als für den Körper. Ich mag Laufen vor allem weil es soooo einfach ist. Man braucht nichts außer halbwegs geeignete Schuhe, die aber nicht teuer sein müssen. Sie passen in fast jedes Gepäck und damit hat man seinen mentalen Ausgleich quasi immer mit dabei. Sollte auch mal wieder die Schuhe schnüren. Jetzt in der dunklen Jahreszeit kann es total helfen eine laufgemeinschaft zu haben.
🎒🗺️ Travel the world | Vagabond vibes: Roam free, live bold!
2 MonateKleine Zugabe, Katharina: Vielerorts gibt es Running Clubs oder ähnliche Laufevents, wo man häufig for free teilnehmen kann. Eine tolle Möglichkeit, um neue Leute und die örtlichen Gegebenheiten kennen zu lernen. 💪🏃♀️🏃💨