4-Tage-Woche auch im Top-Management: Utopie oder realistische Forderung?

4-Tage-Woche auch im Top-Management: Utopie oder realistische Forderung?

Die Frage nach der Arbeitszeit wird beim Recruiting von Führungskräften immer relevanter. In diesem Artikel erfahren Sie, worauf KandidatInnen bei Neueinstellungen Wert legen und wie Work-Life-Balance im Top-Management praktiziert werden kann. 

Drei Tage-Woche nach Keynes

"Drei Stunden am Tag sind genug." 

Das spekulierte der berühmte Ökonom John Maynard Keynes in seinem Essay aus dem Jahr 1930 "Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder". 

Er prognostizierte, dass die wirtschaftliche Entwicklung es den Menschen ermöglichen würde, mit nur drei Stunden Arbeit am Tag auszukommen, um gut von den Einnahmen leben zu können. 

Ein faszinierender Weitblick: 

Jetzt sind es die Ur-Enkel, die im Arbeitsleben stehen. Die vorhergesagte Tendenz jedoch scheint sich zu bestätigen. Zumindest, was die Wünsche angeht. 

Der Irrtum:

Die Produktivität hat sich den Vorhersagen von Keynes nicht entsprechend gesteigert. 

Die schwierige Frage der Zeit ist nun: 

Wie können die Wünsche nach weniger und flexiblerer Arbeitszeit mit den Realitäten der Wirtschaftlichkeit von Unternehmen in Einklang gebracht werden? 

Meiner Meinung nach gibt es dafür verschiedene Lösungsansätze. Meine favorisierte Lösung stelle ich am Ende des Artikels vor. Erst einmal gehe ich auf eine derzeit in der Öffentlichkeit viel diskutierte Variante ein: 

Vier-Tage-Woche im Realitätscheck

Immer wieder lese ich Erfolgsmeldungen von Firmen, die die 4-Tage-Woche eingeführt haben. Die Effizienz und Produktivität der Mitarbeitenden sei gestiegen. Die Arbeitszufriedenheit ebenfalls. 

Bei mir mehren sich allerdings die Zweifel, dass dies nur kurzfristige Wasserstandsmeldungen sind. Oder gar Imagekampagnen. 

Ich bin in Kontakt mit mehreren Unternehmen, die sich intensiv mit der 4-Tage-Woche auseinandergesetzt haben. Ein Unternehmen hat sie sogar eingeführt und möchte sie jetzt wieder rückgängig machen. 

Die positiven Effekte wehrten nur kurz. Letztendlich stieg die Produktionszeit, Auslieferungen verzögerten sich, Endkunden wurden unzufrieden. Diese Unzufriedenheit hat sich wiederum auf die Mitarbeitenden ausgewirkt. 

Innerhalb des Unternehmens gibt es nun große Tumulte zwischen Befürwortern und Gegnern der 4-Tage-Woche. Bislang hat es in dem Traditionsunternehmen nie einen Betriebsrat gegeben. Jetzt gründet sich einer, der für den Erhalt der 4-Tage-Woche kämpfen will. 

Dieses Beispiel soll nicht belegen, dass eine 4-Tage-Woche grundsätzlich unmöglich ist. 

Aber: Eine grundsätzliche 4-Tage-Woche ist mit Vorsicht zu genießen. 

Es gibt sicherlich Unternehmen, vor allem in der Dienstleistungsbranche, die damit gut fahren. Auch kenne ich Führungskräfte, die eine 4-Tage-Woche praktizieren. Das geht. Skeptisch bin ich, wenn die 4-Tage-Woche komplett in einem Unternehmen eingeführt wird. 

Ich bin ein großer Fan von flexiblen Arbeitszeitmodellen. Wie ich später zeigen werde, liegt für mich darin die Lösung. 

Top-Job-Sharing: Teilzeit im Managment?

Früher undenkbar, heutzutage gelebte Realität. Es gibt wirklich interessante Modelle, wie Teilzeit auch im Top-Management möglich ist. 

Ich habe sogar erlebt, dass zwei Kandidatinnen sich eine Führungsposition geteilt haben. Die beiden kannten sich vorher, wussten, dass sie gut zusammenarbeiten können und ergänzen sich nun perfekt. Stichwort Top-Job-Sharing. 

 

Im Zuge der Work-Life-Balance und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird es künftig zunehmend darum gehen, verschiedene Formen von Teilzeit-Modellen auch in Führungsetagen anzubieten. 

In die gleiche Richtung geht die von mir vorgeschlagene Lösung: 

Meine Lösung: Flexiblität

“Je länger du arbeitest, desto wichtiger bist du.” 

Ich bin immer wieder überrascht, wie tief diese Anschauung in unserer Gesellschaft verankert ist. Dabei ist völlig klar: 

Es kommt nicht auf die Dauer der Arbeitszeit an, sondern auf das Ergebnis! 

Lustige Anekdote: Ich erinnere mich an Mitarbeitende, die abends Licht im Büro angelassen haben, damit es so aussieht, als ob sie noch arbeiten. 

Solche Gaukeleien sind glücklicherweise viel seltener geworden. 

Das Bewusstsein über den persönlichen Rhythmus steigt. 

Meine präferierte Lösung ist es, unterschiedliche Arbeitszeiten im Unternehmen anzubieten. Es ist völlig okay, wenn die eine Führungskraft einen 40-Stunden-Vertrag hat, die andere 35 oder auch nur 25. 

Weiterhin dürfen und sollen sich die Führungskräfte diese Arbeitszeit selbst einteilen, wie es für die Arbeit und ihr Freizeitverhalten am besten passt. 

👉Unternehmen, die (so weit es die Rahmenbedingungen erlauben), auf Selbsteinschätzung und Selbstverantwortlichkeit setzen, haben die motiviertesten und produktivsten Mitarbeitenden. 

Wenn ich mich durch den Tag schleppe, bin ich vielleicht 8 Stunden am Arbeitsplatz, aber nicht produktiv. 

“Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.” Diese Volksweisheit empfinde ich als veraltet und ehrlich gesagt auch nicht klug. 

Viel besser ist es, Menschen zu einer Selbstverantwortlichkeit zu motivieren. Ich habe damit bislang auch immer wieder gute Erfahrungen gemacht. 

Ganz wichtig und oft missachtet: Führungskräfte, die sich selbst ausbeuten, sind negative Vorbilder für die Crew. 

Pilze sammeln und Staubsaugen wirken sich positiv auf Produktivität aus

Der Chef, der sagt, ich gehe jetzt mal Pilze sammeln, um danach wieder konzentriert meinen Aufgaben nachzugehen, ist ein gutes Vorbild! 

Wenn ich nicht weiterkomme, gehe ich eine Runde um den Block oder sauge meine Wohnung. Das mache ich nicht versteckt, sondern kommuniziere dies bewusst in meinem Team. Damit ermutige ich das Team ebenso zu verfahren. 

Danach kann ich wieder mit neuer Energie und klarem Kopf an die Aufgaben gehen. 

👉 Die optimale Arbeitszeit für Führungspositionen ist flexibel, individuell, variabel und selbstverantwortlich. 

Welche Arbeitszeit halten Sie für gesund? 

Wie schaffen Sie es als Führungskraft, sich regelmäßig Pausen zu genehmigen? Haben Sie Rituale, von denen die Community profitieren kann? Spannend sind vor allem Erfahrungen mit außergewöhnlichen Arbeitszeitmodellen.  

LinkedIn™ lebt vom Austausch. Deshalb freue nicht nur ich mich, sondern auch die Community über Ihre Erfahrungen, Kommentare, Likes oder die Weiterleitung dieses Artikels! Vielen Dank dafür!

Iris Gauder

HR Professional I Systemischer Business Coach

10 Monate

Liebe Elke Rössler-Ebeling, danke für diesen differenzierten Blick auf das Thema und fürs Promoten des Top-Sharings. Dieses wunderbare Arbeitsmodell fristet leider noch immer ein Mauerblümchen-Dasein. Aus langjähriger persönlicher Erfahrung als Personalleiterin im Tandem ergänze ich hier sehr gerne ein paar Punkte: Von einem gut eingespielten Tandem profitieren gleichermaßen # das Unternehmen durch zwei Köpfe, die sich mit ihrer Erfahrung und ihren Ideen einbringen und nebenbei noch eine perfekte Vertretungssituation sicherstellen # das Team durch das Feedback zweier Führungspersönlichkeiten und zwei fachliche Sparringspartner mit unterschiedlichen Kompetenzen und Schwerpunkten # die Tandem-Partner durch den intensiven und ehrlichen Austausch zu Fach- wie Führungs- und Organisationsthemen. Ein Boost für die Persönlichkeitsentwicklung, den ich nicht missen möchte! Danke Andrea Heidrich 😊 Das Wirken im Top-Sharing ist natürlich noch wesentlich komplexer. Wer mehr dazu erfahren möchte, vernetze sich gern 😊.

Sascha Neubauer

Geschäftsführer / Managing Director

10 Monate

Sehr gute Einschätzung - Flexibilität und Agilität sind entscheidende Faktoren. 👍

Dirk Sikora

Ich helfe Entscheidern, die sich aufgrund einer Krise auf beruflicher Talfahrt befinden, wieder Erfüllung und Sinn zu finden, indem ich ihnen die entscheidenden Mittel an die Hand gebe. +200+ glückliche Klienten.

11 Monate

Herzlichen Dank für diesen wertvollen Beitrag. Es ist durchaus valide, dass jüngere Menschen nach diesen Modellen fragen. Ich halte es auch für zwingend erforderlich, dass sich Unternehmer darüber Gedanken machen, wie sie solche oder ähnliche Modelle für die Zukunft anbieten können. Ich behaupte mal, dass es sich bei diesen Bedürfnissen nicht um Modeerscheinungen handelt. Es ist auch unerheblich, ob man das gut finden muss oder nicht. Fakt ist, wenn ein Arbeitgeber in der heutigen Zeit derartige Trends ignoriert, wird er relativ bald das Nachsehen haben. Haben Sie denn derartige Szenarien durchgespielt oder haben Sie solche Ansätze bereits?

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen