Agilität in der Bildung
1. Agilität in der Bildung ist im letzten halben Jahr noch aktueller geworden – dies könnte noch zunehmen.
2. Was Agilität in der Bildung meint, ist allerdings nicht neu, sondern tief und ursprünglich im Kern von Bildung und Lernen verankert.
3. Die Gretchenfrage: Wie funktioniert das konkret – diese «agile Bildung»?
1. Die Massnahmen angesichts des neuen Corona-Virus haben der Digitalisierung (oder vielleicht auch nur: der Nutzung digitaler Technologien) Schub gegeben. Dieses Virus-Thema wird noch eine Weile bleiben – und dann früher oder später wieder in den Hintergrund treten. Allerdings: Weitere Überraschungen werden kommen: Nicht nur Schwieriges, auch positive Neuigkeiten können unsere Lebens- und Arbeitssituation überraschend ändern und uns zu Anpassungen herausfordern.
Dieser beschleunigte und volatilere Wandel wird uns aber nur zuerst erschrecken. Dann werden wir lernen, dass das das «neue Normal» ist – und aber auch sehen, dass es uns neue Kompetenzen, ja sogar neue Identitäten abverlangen wird. Der Impact auf das Bildungssystem liegt dann nicht einmal so sehr darauf, neue Technologien zu nutzen, sondern Menschen für ebendieses «neue Normal» auszubilden – und natürlich als Bildungssystem selbst mit diesem «neuen Normal» klar zu kommen. Oder noch lieber als bloss «klar kommen»: In diesem neuen Normal Chancen entdecken und es mitgestalten.
Es könnte sein, dass uns all das auch zu zentralen und schönen Seiten des Menschseins zurückführen wird: Freude am Lernen im Sinne von Entdecken, Verbundenheit unter Menschen (was etwas anderes ist als «Vernetzen», aber dieses dann doch auch umfasst), Verantwortung übernehmen, Schaffenskraft.
2. Damit sind wir dann bei Kernpunkten der Bildung: Ob bei Sokrates, Kant, Humboldt, aber auch in grossen Bewegungen wie dem Feminismus – Ziel ist, dass Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen dürfen und können. «Dürfen» heisst Rahmenbedingungen mit echten Freiheiten, Privatsphäre ebenso wie Mitbestimmungsmöglichkeiten, echte Demokratie. «Können» heisst echte Bildung: Fähigkeiten, Dispositionen, Identitäten aufbauen, die helfen, eigene Aktivitäten ebenso wie Verbundenheiten bewusst und frei zu gestalten – in der Arbeit wie im Privaten, und ebenso aktiv in der Politik. Dies braucht Begegnung mit gemeinsamen Wissens- und Denkbeständen; also klassischer Wissensaufbau; aber mehr als das noch die Fähigkeit, sich jeweils das Wissen zu holen, das man dazu braucht. Dies braucht Begegnung mit sich selbst und der eigenen Unterscheidungsfähigkeit («kritisches Denken»): Wo sehe ich Dinge anders als andere? Wie bin ich, ja, wer bin ich? Wer möchte ich sein? Hier geht es auch um Resilienz gegen Manipulation, zugleich um kreatives Denken. Auch und gerade dazu kann und soll Bildung beitragen – und zwar zentral, nicht nur am Rande. Denn mitten in einer so bewegten Welt ist der Bezug zu sich selbst und eine gewisse relative Ruhe mit sich selbst von grosser Bedeutung. Und ebenso von grosser Bedeutung ist, dieses «Selbst» offen halten zu können für Entwicklung. Das ist kein Widerspruch, hängt vielmehr eng zusammen: Je mehr man mit sich selbst im Kontakt ist, desto offener kann man Veränderung begegnen. Bildung, die dazu beiträgt, ist also aktuell besonders gefragt – aber eigentlich in der Bildungsgeschichte ohnehin tief angelegt.
3. Wie kann man das anpacken? Für sich selbst, indem man schaut, wo man solche Art von Bildung findet: Wo werden Menschen in ihrer eigenen Entwicklung unterstützt und Beschäftigung mit Wissensbeständen ist Mittel und Beitrag dazu – nicht umgekehrt? Wo ist Bildung und wo sind Bildungsinsitutionen selbst offen für Entwicklung und lassen sich ein auf Veränderung in unserer Welt – nicht zuletzt, indem sie versuchen, diese mitzugestalten?
Die Frage: «Wie kann man das anpacken?» stellt sich für Menschen, die im Bildungssystem arbeiten – «Lehrende» aller Stufen –, noch zusätzlich von der anderen Seite: Wie kann ich Bildung so gestalten, dass die Lernenden auf diesem Weg gestützt werden? Wie kann ich sogar «Grundlagenvermittlung» so aufbauen, dass dies Entwicklung befördert? (Im Bild zu sehen ist ein Smartphone-basierter Visualizer im Probeaufbau, wie er seither oft genutzt wird als Pinwand für Grossgruppen: Die Teilnehmendnen beschreiben in Gruppen Kärtchen im Visitenformat und bringen sie zum Visualizer.)
Wie kann ich gezielt «kritisches Denken» fördern – und wie kann ich damit leben, dass ich dann notwendigerweise kritisiert werden werde, und das dann auch noch positiv sehen soll? Wie kann man im Bildungssystem Persönlichkeitsentwicklungsprozesse stützen und echte Selbstreflexion? Und nach alledem die Gretchenfrage nochmals zugespitzt: Wie könnte ich das heute Nachmittag in meinem Unterricht tun? Zugegeben, das sind grosse Fragen! Die gute Nachricht allerdings ist: Uns Lehrenden gelingt das durchaus immer wieder. Wir können dies jeweils bei uns selbst beobachten, und daraus weitere Ideen entwickeln. Und vor allem: Wir können auf unsere Lernenden schauen, und aufmerksam bemerken, was von dem, was wir tun, dazu beiträgt. Nur schon diese besondere Aufmerksamkeit selbst ist meiner Erfahrung nach eine kraftvolle Veränderung der Zusammenarbeit zwischen mir als Lehrendem und den mir anvertrauten Lernenden.
Klar, es geht bei der Agilität in der Bildung stark um Haltung und Identität: Was bedeutet es für mich, Lehrende:r zu sein? Natürlich gibt es daneben auch die Seite der Techniken: Welchen (didaktischen) Methoden helfen? Auch dazu lässt sich viel entdecken. Weiterbildung dazu kann inspirieren. Ausprobieren lohnt sich – und darüber austauschen, mit Kolleg:innen, mit den Lernenden.
Being authentic means being at peace with your imperfections.
4 JahreHfab generell - und Studium Lehrer*innen Zyklus 1+2 = WOW!!!