Alle mal hersehen, bitte!
Personal Branding unter New Talents – Pflicht zur Selbstvermarktung?
Soziale Karrierenetzwerke wie LinkedIn haben vielfachen Nutzen: Noch nie war es so einfach seine professionellen Kontakte zu pflegen, immerzu über die neuesten Trends in der Business Community informiert zu sein, Inspiration zu finden oder bestimmte Zielgruppen kanalgerecht anzusprechen. Auch für die Jobsuche sind die Netzwerke eine attraktive Anlaufstelle. Gleichzeitig erlauben sie einem jeden Einzelnen, sich Gehör zu verschaffen. Entsteht dadurch ein impliziter Druck, seine eigene Person aktiv in den Newsfeed einzubringen und sich auf den Plattformen zu positionieren?
I. Professional Public
In den Medien wurde vor kurzem diskutiert, ob CEOs bekannter großer Konzerne in sozialen Netzwerken aktiv sein sollten. Es ging dabei neben dem ob überhaupt auch darum, zu welchen Themen ein Vorstandsvorsitzender denn auf Plattformen wie Twitter öffentlich Stellung beziehen darf. Zwar standen im Mittelpunkt der Debatte bekannte Führungspersonen, der zu beobachtende Trend professioneller Onlinepräsenz lässt sich jedoch bei weitaus mehr Persönlichkeiten aus dem Berufsleben beobachten. In den professionelleren Onlinenetzwerken, insbesondere LinkedIn und Twitter, scheinen sich immer mehr Menschen auffällig aktiv zu beteiligen. Ein Effekt der modernen beruflichen Anforderungen?
Ein Eindruck ist, dass sowohl erfolgreiche Manager aber auch junge Nachwuchstalente online vermehrt als fürsprechende Botschafter ihrer Arbeitgeber auftreten. Sie scheinen dieser Rolle aktuell zudem besonders gerne nachzukommen. Ein Großteil der in den Netzwerken geteilten Beiträge behandelt populäre und positive Themen aus den Bereichen Organisationen und Wirtschaft. Auf LinkedIn steht auffallend häufig und nicht überraschend der Mensch im Fokus. Es geht um Unternehmenskultur (#Diversity), neuste Innovationen, sehr oft auch um Digitalisierung. Allesamt Themen, die von den Unternehmen mitgestaltet werden und sich optimal zu deren Positionierung auf der jeweiligen Plattform eignen. Der Auftritt solcher Unternehmensbotschafter (Ambassadors) und deren aktive Teilnahme am Stakeholder-Dialog allein beschreibt jedoch kein neues Phänomen. Die Aktivitäten in den Online-Netzwerken erweitern diese traditionelle Funktion allerdings um einen entscheidenden Faktor: Sie finden in einem (semi-) öffentlichem Raum statt. Das digitale Engagement kann somit eine mehr oder weniger unbeschränkte Reichweite und folglich große Aufmerksamkeit für die Unternehmen generieren (Shared Media-Effekt).
Besonders auffällig: Manch bekannter Konzern scheint auf den digitalen Plattformen derzeit überdurchschnittlich präsent. Auch ohne ihm aktiv zu folgen, begegnet man früher oder später den Profilen besonders mitteilungsfreudiger Mitarbeiter und stößt auf diesem Wege letztendlich auch auf Unternehmensinhalte. Manchmal entsteht dabei der Eindruck, die Präsenz in den Netzwerken sei zentraler Arbeitsinhalt dieser Mitarbeitenden, die nischt allzu selten revolutionäre Jobtitel tragen, wie Digital Aspiration Manager oder abgewandelte, gleichwohl ähnlich exotische Titel. Sie berichten euphorisch vom ereignisreichen Firmenevent oder der unvergleichbaren Unternehmenskultur.
II. Positionierung durch Botschafter (The Firm’s View)
Wer zweifelsohne von den in die weite Welt getragenen Unternehmensbotschaften profitiert – obgleich der Mitarbeitende dies als professionellen Bestandteil seines Jobs versteht oder aus rein persönlicher Überzeugung handelt – sind die Unternehmen. Die Wirkungsweise gleicht der des Influencer-Marketings, nur dass in einem Karrierenetzwerk wie LinkedIn potenziell berufsbezogene und karriererelevante, zum Teil auch politische Inhalte, anstatt Produktwerbung oder Lifestyle-Content geteilt werden. Wir begegnen ihnen tagtäglich: Eine Managerin verbreitet selbstbewusst strategische Unternehmensbotschaften, ein Auszubildender teilt stolz die neuen Herausforderungen seines Arbeitsalltags mit der Online-Community. Mitarbeitende jeglicher Hierarchien oder Abteilungen bereiten relevante Themen auf diese Art und Weise kanalgerecht auf und leihen ihnen eine glaubwürdige Stimme. Dieses digitale Engagement schafft ein wertvolles Kommunikationsprodukt für die Arbeitgeber, die durch ihre Meinungsmacher Sichtbarkeit bei wichtigen Stakeholdern erlangen – allem voran potenziellen Nachwuchstalenten.
Die vielfältigen Chancen die sich den Unternehmen durch den neuen Trend bieten, sind sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis bereits erkannt worden und finden sich etwa in Angeboten für Manuals oder Beratungsleistungen (aka „Wie Sie LinkedIn optimal für Ihr Employer Branding nutzen!“) wieder. Tatsächlich aber sind es nicht nur die Unternehmen, die sich hier mit tatkräftiger Unterstützung durch ihre Arbeitnehmer indirekt positionieren. Viel stärker noch stehen im Zentrum der sozialen Netzwerke einzelne Individuen. Durch ihr digitales Engagement erreichten und erreichen einige von ihnen bemerkenswerte Bekanntheit innerhalb besagter Plattformen aber auch darüber hinaus.
Anlass genug, einmal genauer zu betrachten, was der beschriebene Trend der professionellen Öffentlichkeit eigentlich für den einzelnen Nutzer bedeutet. In diesem Fall noch konkreter: Wie wirkt sich die ständige Onlinepräsenz im Berufskontext auf junge Nachwuchstalente aus, insbesondere mit Blick auf die berufliche Zukunft und den damit verbundenen Social-Media-Aktivitäten. Müssen junge Talente für eine erfolgreiche Karriere im Umfeld von Management und Kommunikation heutzutage zwangsläufig in sozialen Netzwerken aktiv sein? Oder kann auch exzellente Arbeit leisten, wer nicht ständig online über seine Tätigkeiten und Erfolge berichtet – sein Berufsleben also nicht für alle Welt sichtbar macht?
III. Self Branding als Pflichtmaßnahme (The Talent’s View)
Genauso trendy wie das being-public selbst scheint der Aufruf und die Ermutigung dazu, sich im Netz zu inszenieren: „Das Netzwerk ist deine Bühne“, „Communities sind die perfekte Chance zur Selbstvermarktung“ oder „Nichts ist schlimmer als im Web nicht gefunden zu werden!“.
Vor nur wenigen Jahren galt bereits als „höchstprofessionell“, wer sich der Risiken der Onlinewelt bewusst war und beispielsweise die Privatsphäre-Einstellungen seines Facebook-Accounts beherrschte. Die Vermeidung von Imageschäden allein genügt heute offensichtlich jedoch nicht mehr aus, um den Anforderungen der Digitalkommunikation gerecht zu werden. Stattdessen mahnen Karriereratgeber davor, es würde in der Bedeutungslosigkeit versinken, wer online nicht auffindbar sei und sich die Chancen zur Positionierung nicht zu Nutze mache. Aber ist das tatsächlich so?
Wie eingangs beschrieben, treten gefühlt immer mehr Menschen öffentlich als Botschafter oder Experten auf und teilen ihr Wissen mit der wissbegierigen Community. Der Hype stetiger Onlineaktivität, angetrieben von erfolgreichen Vorbildern aus der Berufswelt, gepaart mit den Ratschlägen, diese Bühne auch für sich selbst zu nutzen, scheint einen impliziten Druck bei vielen jungen Talenten zu erzeugen: Bereits im Studium, spätestens aber mit dem Berufseinstieg, bemühen sich auffällig viele aktiv um ihre Auffindbarkeit im Web – Vertreter aus dem Kommunikations- und Marketingumfeld (ein Stück weit meine „Bubble“) scheinen ganz vorne mit dabei: Eifriges kommentieren neuester Brancheninfos, informieren über einen weiteren erfolgreich absolvierten Online-Fortbildungskurs. Einige fokussieren sich auf die Positionierung zu einem speziellen Thema; besonders oft vermarktet wird Expertise im digitalen Bereich. Sichtbarkeit ist augenscheinlich alles. Durch die Netzwerke hat nicht nur jeder die Gelegenheit etwas beizutragen – erstaunlich viele nehmen diese Möglichkeit auch wahr.
Im Internet finden sich sogar Karrieretools, die einem beim strategischen Management der eigenen Kanäle helfen sollen. Während des Durchscrollens seines Newsfeeds mag einem da gelegentlich die Metapher vom Rattenrennen in den Sinn kommen... Ob man sich zur Teilnahme daran verpflichtet fühlen sollte, hängt vielleicht von der Antwort auf die entscheidende Frage ab: Ist die Positionierung in Online-Netzwerken inzwischen nicht mehr nur eine Option, sondern Voraussetzung für die erfolgreiche Karriere?
IV. Digitales Engagement – Konkurrenzdenken, Anerkennung, oder zeitgemäßer Leistungsindikator?
Besonders interessant wäre es zunächst einmal, zu ergründen, was den Nachwuchs eigentlich bei seinem eifrigen Online-Engagement antreibt. Drei denkbare Motive:
1) Wettbewerb mit anderen Talenten (War of between Talents)
Ein Antrieb besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit im indirekten Konkurrenzkampf zwischen den Talenten. Das Wettrüsten um Kompetenzen und Qualifikationen, beispielsweise durchs fleißige Sammeln von Praktika, dafür ist die Generation bereits bekannt. Umso besser, wenn alle anderen auch direkt sehen können, was man schon alles geleistet hat. Der öffentlichen Inszenierung eigener Erfolge ist auf den Plattformen keine Grenzen gesetzt. Möglicherweise ist dies auch ein Symptom des „War of Talents“, der aktuellen Entwicklung hin zu einem Arbeitnehmermarkt: Wenn Unternehmen händeringend nach neuen Nachwuchstalente Ausschau halten, dann ist die Präsenz auf digitalen Karrierenetzwerken ein, mit dem traditionellen Sich-Bewerben verglichen, unaufwändiger Schritt, um die suchenden Unternehmen auf sich aufmerksam zu machen. Dieses Auf-sich-aufmerksam-machen scheint eine logische Konsequenz der neuen Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt und demzufolge ein potenzielles Motiv für vermehrte Positionierung im Netz.
2) Anerkennung und Status
Möglicherweise ist die professionelle Öffentlichkeit aber auch nur logische Konsequenz unserer bereits im großen Stil öffentlich zelebrierten Privatleben à la Instagram und somit eine simple Ausdehnung dahin, auch unserem professionellen Umfeld positive Beobachtungen und Erlebnisse aus dem Karriereleben mitzuteilen. Ganz am Zahn der Zeit verbreiten wir jetzt nicht nur unsere privaten Lieblingsmomente, sondern auch die unseres Berufslebens unter all den anderen da draußen, je nach Privatsphäre-Einstellung sogar in der ganzen Welt. Da es auch in den Berufsnetzwerken möglich ist, digital-soziale Anerkennung in Form von Likes oder Zustimmung auszudrücken, mag die Intention hinter den Ambitionen auch sozialpsychologischen Ursprungs sein.
3) Erwartungen potenzieller Arbeitsgeber
„Wer sich im digitalen Zeitalter erfolgreich selbst vermarktet, der wird auch meinem Unternehmen bei seinen Herausforderungen helfen können!“, so vielleicht die Logik mancher Arbeitgeber. Um deren Erwartungen also zu erfüllen, wird fleißig in die persönliche Online-Reputation investiert. Welche Fähigkeiten derzeit auch vom Markt gefragt sind, im Netz lassen sie sich perfekt inszenieren. Social-Media-Kenntnisse sind für alle Manager und Kommunikationsprofis heutzutage unbestritten eine wichtige Voraussetzung – demonstrieren lässt sich die Digitalkompetenz am besten anhand der persönlichen Onlineaktivität. Spannend zu erfahren wäre, ob das digitale Engagement konventionelle Leistungsindikatoren wie die Hochschulabschlussnote für bestimmte Stelleanforderungen bereits ersetzt oder zumindest relativiert. Falls Ja: Bin ich als Kommunikator oder Manager dann in Zukunft für den Arbeitsmarkt besonders wertvoll, wenn ich bereit bin, in der ersten Reihe zu stehen? Die zu beobachtende Bereitschaft, als digitaler Ambassador aufzutreten, ist augenscheinlich nützlich und ein stückweit erforderlich. Aber wie bedeutend ist sie im Verhältnis zu traditionellen aber nach wie vor relevanten Kompetenzen im Job? Werden diese von ihr ersetzt oder nur ergänzt?
Ein Kommunikationsmanager beispielsweise erbringt tagtäglich verschiedene immaterielle Leistungen, die sich nicht so einfach öffentlich inszenieren lassen. Expertenwissen und Auszeichnungen lassen sich prima in den Berufsnetzwerken präsentieren. Andere wichtige Fähigkeiten, allem voran interpersonale sowie Beratungskompetenzen, hingegen deutlich schwieriger. Hinzu kommt, dass das Branding persönlicher Arbeitsleistungen nicht in jedem Beruf oder auch bei jedem Arbeitgeber immer ohne weiteres möglich ist. So zählen zum Beispiel zu den Aufgaben eines Kommunikationsverantwortlichen das Ghostwriten von Interviews oder die Entwicklung von Konzepten – Arbeitsergebnisse, welche gegenüber der Öffentlichkeit schwierig als Eigenleistung zu vermarkten sind. Speziell im direkten Vergleich mit den spannenden Jobeindrücken des selbsternannten selbstständigen Motivationscoaches.
Tatsächlich sind viele beruflich erfolgreiche Menschen, die mir während meiner Berufslaufbahn begegnet sind und mich inspirierten, entweder gar nicht in sozialen Netzwerken aktiv oder beschränken ihre Aktivität dort auf ein professionelles Minimum. Für mich ein Indiz dafür, dass große Karrieren nach wie vor auch ohne große Positionierungsmaßnahmen gelingen. Nicht jeder für das Unternehmen geleistete Beitrag lässt sich am Ende schließlich auch unter eigenem Namen auf dem Corporate Blog oder eben auf LinkedIn publizieren – auch wenn der Eindruck bisweilen ein anderer ist. Karrierenetzwerke sind ohne Frage sehr nützlich. Aber klar ist auch: Nicht immer kann und muss man selber in der ersten Reihe stehen.
V. Karriere? Ja. Social Media-Star? Optional.
Die eingangs zitierte Debatte, ob und schließlich auch inwiefern digitale Positionierung empfehlenswert ist, lässt sich abschließend wahrscheinlich nicht eindeutig beantworten. Als Folge eines immer stärkeren Zusammenwachsens von Berufs- und Privatleben müssen wir uns nicht nur der Frage nach räumlichen, sondern auch nach inhaltlichen Grenzen zwischen unserer professionellen und unserer persönlichen Identität stellen. Fraglich ist schließlich zudem, wie viele der Ambitionen letztlich in die Arbeitszeit fallen und wie viele wir on top in unserer Freizeit verrichten. Wer als freiwilliger Botschafter für seinen Arbeitgeber auftritt, sollte außerdem hinterfragen, wer am Ende mehr vom Engagement profitiert. Im Optimalfall der Symbiose profitieren der Arbeitgeber von Expertenstatus und Reichweite der einzelnen Mitarbeitenden, diese durch ihre Unternehmenszugehörigkeit wiederum vom Nachrichtenwert der geteilten Inhalte für den eigenen Newsfeed. Apropos Inhalte: Während sich die Wortbeiträge exponierter Persönlichkeiten und Experten meist durch Fachwissen und Status legitimieren, mangelt es manch anderer Mitteilung zum Thema Beruf und Karriere in den Netzwerken inzwischen leider zunehmend am Relevanzgehalt – ein Nebeneffekt des wachsenden Mitteilungsdrangs. Deshalb ist es zu guter Letzt auch nicht unwichtig sich sicher zu sein, für welche Themen man öffentlich mit seinem Namen stehen will. Denn gerade bei der Positionierung in einem professionellen Umfeld ließe sich hinsichtlich der Inhalte im Zweifel auf die bewährte Devise ‘Qualität statt Quantität’ vertrauen. Zur Beteiligung verpflichtet fühlen, sollte sich jedenfalls keiner – denn die Beobachterperspektive hat ja schließlich auch ihren Reiz.
Vielen der in dem Artikel aufgeworfenen aber unbeantworteten Fragen ließe sich durchaus wissenschaftlich nachgehen. Denkbar wären zum Beispiel Befragungen zu den Erwartungen der Arbeitgeber: Welche Bewerberprofile suchen sie und welchen Stellenwert hat dabei das digitale Engagement. Gleichermaßen spannend zu untersuchen wären die tatsächlichen Motive der Protagonisten. Wie auch immer sich das Online-Verhalten rund um unser berufliches und privates Ich auch entwickeln wird. Interessant ist dieser Trend wie ich finde allemal!
Literaturtipp
«Die Perfektionierer» von Klaus Wehrle (Campus Verlag)
Director | People & Transformation @FTI Consulting
5 JahreBin ganz deiner Meinung, vor allem in zwei Punkten: Es handelt sich um einen interessanten Trend, den es zu beobachten gilt, und Relevanz sowie Qualität sollten auch (bzw. vor allem) auf beruflichen Plattformen immer im Fokus stehen! 👍