Alles dematerialisiert – oder nur marginalisiert? Zukunft der Arbeit - Teil 2
Arbeiten an der Plattform - Eigene Aufnahme

Alles dematerialisiert – oder nur marginalisiert? Zukunft der Arbeit - Teil 2

Dematerialisierung ist das große Schlagwort der Verfechter der Plattformökonomie, Robert Tercek spricht sogar von einer Vaporisierung (Robert Tercek, Vaporisiert, Weinheim 2017). Sie sehen darin die neue einzig wertschöpfende Wirtschaftsform, zu der sich zu entscheiden, über Sieg oder Untergang im Wirtschaftsleben entscheidet.

Was mit Blick auf Musikstreaming gegenüber der physischen CD/DVD noch einsichtig erscheint, ist in vielen anderen Fällen, in denen sich die neue Plattformwirtschaft als Vorreiter einer dematerialisierten Ökonomie feiert, reine Augenwischerei.

Anbieter wie Uber oder Airbnb dematerialiseren nichts, sie verändern lediglich die Regeln der Wertschöpfung und verdrängen die materialisierte Wirtschaft an deren Rand. Die Leistungen, die sie lediglich vermitteln, benötigen weiterhin reale Produkte wie Taxis oder Wohnungen und realer Menschen und ihrer Arbeitsleistung. Der Unterschied ist nur, dass diese Anbieter uns suggerieren, dies ist nun nichts mehr wert. Wir haben es also nicht mit einer dematerialisierten Wirtschaft zu tun, sondern lediglich mit einer Marginalisierung der materiellen Wirtschaft. Tatsache ist vielmehr, gäbe es die materielle Leistung nicht, hätten solche Anbieter rein überhaupt nichts zu vermitteln.

Wir haben es also - von Ausnahmen abgesehen - nicht mit einer revolutionär neuen Wirtschaftsstufe zu tun, sondern mit einer großen Umverteilungsdebatte. Dem Taxifahrer oder Pizzabäcker wird lediglich eine Drohkulisse aufgebaut: du bekommst keine Taxifahrt, keine Pizza mehr verkauft, wenn du dich nicht anschließt und uns dafür eine Schutzgebühr überlässt. Allein jemanden durch seine Monopolstellung damit zu drohen, dass man ihm den Marktzugang unterbindet oder zerstört, daran ist nun weiß Gott nichts Revolutionäres. Das ist eigentlich dann nur Mafia 4.0.

Wenn die reale Leistung nichts mehr wert ist, dann führt dies zu prekären Arbeits- und Herstellungsverhältnissen. Auch verschwinden die realen materiellen realen Güter nicht, die da »nur« noch vermittelt werden. Sie müssen weiterhin hergestellt, ggf. gewartet und dem Kunden zur Verfügung gestellt werden.

Was sich dadurch verändert, könnten auf lange Sicht auch die Eigentumsverhältnisse sein. Wenn nämlich die realen Leistungserbringer so marginalisiert sind, dass sie ihre Produktionsmittel nicht mehr aus eigener Kraft finanzieren können, dann stellt sich langfristig die Frage, ob dann auch parallel eine Monopolisierung des Eigentums erfolgt?

Bei Airbnb erleben wir heute schon, dass entgegen der ursprünglich geäußerten Idee einer privaten Übernachtungsvermittlung immer mehr kommerzielle Anbieter auf der Plattform auftreten. Wenn die Zukunft der Mobilität als Dienstleistung verstanden wird, die wir beliebig buchen können, dann steht schon die Frage im Raum, wem gehören dann die Fahrzeuge? Dies ließe sich auf alle Branchen ausdehnen, die Ziel der Plattformökonomie werden.

Wir haben heute die Situation, dass den globalen Finanzkapitalgesellschaften über gigantische Milliardenbeträge verfügen, für die sie keine lukrativen Anlageformen finden. Die Plattformwirtschaft (die ja auch ganz wesentlich von diesem Kapital gefördert wird) liefert somit strategisch eine Steilvorlage und bereitet den Boden, hier neue spekulative Investments zu finden.

Um dies klarzustellen, es geht nicht darum, Plattformen generell als schlecht zu verurteilen. Sondern nur da, wo sie die Absicht oder auch nur die Möglichkeit haben, Machtverhältnisse in den Märkten radikal zu verändern. Gerade in meinem Spezialbereich der Logistik haben Plattenformen, die darauf abzielen, Fracht und Fahrzeuge miteinander zu verbinden, um Leerfahrten oder geringe Fahrzeugauslastungen zu vermeiden, einen sehr hohen Wert. Sie nutzen allen Beteiligten und haben darüber hinaus den gesellschaftlichen Nutzen, dass sie dabei helfen, dass LKW ohne Ladung den ohnehin schon angespannten Straßenverkehr belasten und dabei auch noch unnötig Schadstoffe ausstoßen. Gleichzeitig sehen sie sich als Vermittler, nicht als Wertschöpfungsmonopolisten.

Anknüpfend an meinen Beitrag »Zukunft der Arbeit – Eine Debatte mit vielen Schwachstellen« möchte ich hier die Frage vertiefen, wollen wir dies? Die Frage nach einer zukünftigen Digitalwirtschaft ist auch eine der Werte, die wir zukünftig teilen wollen.

Letztlich wir nicht die Digitalisierung über die Zukunft der Arbeit entscheiden, sondern die Interessenverhältnisse mit der wir unsere zukünftige Wirtschaftswelt ordnen. Dieses den Big Players zu überlassen, ist eine Option, die andere ist, ein wünschenswertes Regelwerk plural auszuhandeln. Dies ist der Grundtenor, den das Forum »Für Verantwortung in der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft« (siehe dazu das »Positionspapier«, letztes Jahr in meinen LinkedIn-Beiträgen veröffentlicht) leitet. In der Digitalisierung steckt das Potential, dass entweder viele oder eben wenige davon profitieren. Zukunft der Arbeit, bedeutet nicht, wie wir auf Displays schauen, sondern findet auf einer anderen Ebene statt.

Plattformökonomie, trägt elementar auch das Risiko, dass der Mensch, der die tatsächlichen Leistungen erbringt, mit seinen Interessen und seinen Bedürfnisse dematerialisiert - oder wie Tercek schreibt - vaporisiert wird. Und genau dies empfinde ich zutiefst zynisch, menschenverachtend.

Dies hat auch nichts mehr mit Digitalisierung zu tun, vielmehr mit einer ökonomischen und gesellschaftlichen Umverteilung. Mit digitaler Innovation kann sehr viel Nützliches erreicht werden. Sie kann aber auch als Hebel zu einem Machtmissbrauch dienen. Wenn ich in meinem voran gegangenen Betrag die Notwendigkeit angesprochen habe, hier gestaltend aktiv zu werden, dann wird dies wohl ein ganz zentrales Thema werden, weil die zentrale Frage nicht lautet Mensch oder Maschine, sondern wer hat die Macht über die Technologieentwicklung (vgl. u.a. Bernhard Irrgang, Technik als Macht, 2007, und Philosophie der Technik 2008).

Deshalb sollten wir nicht einfach nur lamentieren oder abwarten, wie sich Entwicklungen durchsetzten, sondern auch in Gestaltung und Regulierung aktiv eingreifen. Was ich in meinem voran gegangen Beitrag erläutert habe. Was gegenwärtig notwendig ist, die richtigen Prioritäten zu setzen.

Hinter der Magie der Plattform-Ökonomie steckt auch der höchst reale Verteilungskampf um Daten, unseren Nutzerdaten. Dies wirft die Frage auf, ob wir überhaupt noch als »Arbeiter« gesehen werden, oder nur als Datenlieferanten. Dann wäre nicht mehr unsere Arbeitskraft, sondern unsere Datenkraft maßgeblich.

Sigrun Strunk

Auteur de livres documentaires, actuellement surtout l'histoire et le tourisme régional. Écriture d'articles de blog.

7 Jahre

Ein guter Artikel. Ich glaube, dass Wölfi Neumann recht hat. Er ist für viele Menschen schwer verständlich. Doch nicht wegen der Fachausdrücke, sondern weil fast niemand hinter die Kulissen sieht. Die Mehrzahl der Menschen hat ein erstaunlich naives Verhältnis zum Internet und zur Digitalisierung. Viele sagen: "Macht nichts wenn man meine Daten sammelt. Ich habe nichts zu verbergen." Irgendwann müssen sie dann ihre Mailadresse ändern, weil pro Tag 200 Spams ankommen. Sogar einige Airbnb-Anbieter wissen nicht, wie hoch die Kommission der Plattform ist. Übrigens hat auch das Musikstreaming sehr negative Auswirkungen. Die Satirezeitung "le Canard enchainé" brachte letzte Woche einen Artikel, der eine direkte Verbindung zwischen den Einnahmeverlusten der Musiker durch Streaming und den immer teureren Konzerten herstellt. Der neue Besitzer des Privatsenders Canal+, Vincent Bolloré hält im Moment die Tantiemen von Künstlern zurück, weil er das Geld lieber in der eigenen Tasche hat. Offenbar hat er noch nicht bemerkt, dass er langfristig keine hochwertigen Sendungen mehr anbieten kann, wenn keiner mehr da ist, der sie produzieren kann oder will.

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