Leistung in der digitalen Ökonomie
Vor dem Hintergrund der Corona-Krise und den wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen ist erst kürzlich die Kritik aufgekommen, Beschäftige könnten sich ihrer Leistungsverantwortung entziehen (vor der Gewöhnung an ein Leben ohne Arbeit wurde da gewarnt). Damit wird das Leistungsprinzip erneut von politischer Seite als Eckpfeiler unserer Gesellschaft betont[i].
Wer dem bisherigen „Diskurs über Leistung folgt, bekommt das Gefühl, es handle sich um eine omnipotente Kraft, nach politischer Couleur entweder für alle gesellschaftlichen Segnungen verantwortlich oder eine auf dem Rücken des neuen Millenniums geschwungene Geißel“[ii]. Mit der Entwicklung der gegenwärtigen Digitalökonomie verändert sich diese Front aber grundlegend, denn sie hat einen neuen Leistungsbegriff formuliert, der nach ihren Vorstellung der einzig maßgebliche sein soll: Nicht mehr der Mensch ist demnach der zukünftige Leistungsträger, sondern allein die technische Kommunikation, die über die digitale Plattformen angeboten werden.
Genauso ergibt es keinen Sinn, diejenigen als Leistungsträger auszuweisen, die allein durch die Bündelung von Gewinnen von vielen Unternehmen auf die eigene Plattform[iii] oder durch reine Finanzspekulationen Gewinne und Kapital in gigantischen Größenordnungen akkumulieren können.
Dementsprechend hat sich die Plattformökonomie als den einzigen wertschöpfenden Sektor der Ökonomie überhöht. Dies ist in den Selbsterklärung immer wieder wie ein Zentraldogma zu finden. Damit positionieren sie sich gegenüber Industrie, traditionellem Handel[iv], Handwerk und Dienstleistungen, die in diesem Sinne nicht mehr wertschöpfend sind, damit auch im eigentlichen Sinn keinen Anspruch auf Gewinne haben. Diese grundlegende Neuorientierung der Wertzuordnung hat aber auch unmittelbar Auswirkung auf die überwiegende Zahl der Beschäftigten. Wie soll Leistung mess- und erfahrbar sein, wenn ihr von der neuen, digitalen Wirtschaftsordnung kein Wert mehr zugeordnet wird?
Plattformen an sich funktionieren mit einem Minimum an Personal, dass für den technischen Betrieb der digitalen Anlagen und die Weiterentwicklung der Tools und Apps benötigt wird. In der Logik der einzigen Wertschöpfung durch die Hoheit über digitale Kanäle. Fällt der Mensch als Beschäftigter hinten über. Er kann noch so sehr zur Anstrengung ermahnt werden, Leistung zu erbringen. Am Ende bleibt dann immer nur ein andauernder Zustand der Anstrengung bis zur Erschöpfung, weil er mit aller Anstrengung doch keinen Wert mehr beiträgt.
Dies zeigt sich auch in den Strategien vieler Unternehmen, den Zustand der Arbeit(-sbereitschaft) zunehmend zu entgrenzen[v]. Dies zeigt auch einerseits die Euphorie um das Home-Office, das einen massiven Einbruch in die Privatsphäre bringt und eine erlebbare Unterscheidung zu persönlicher Zeit, zu Freizeit immer mehr verschwinden lässt auch schon im alten Büros hat sich längst eingebürgert, dass immer mehr Beschäftigte auf ihnen gesetzlich zustehende Pausenzeiten zu verzichten, im Home-Office werden „Arbeitspausen“ dann schnell zu Zeiten persönlicher Hausarbeit (z.B. Kinderbetreuung). Auch hier übernehmen digitale Kommunikationskanäle die Struktur der Arbeit und des Einzelnen.
Es wird in der aktuellen Debatte um die Leistungsgesellschaft auch immer wieder eingeworfen, das der einzelne sich und sein Leben wie ein Selbstunternehmer organisieren müsste, dabei zeigt das Grundprinzip der Plattformökonomie, das Unternehmertum an sich keinen Wert mehr hat, also auch keine Leistung mehr ausdrückt, wenn man nicht selbst zu diesem kleinen elitären Kreis gehört. Damit beginnt auch das Leitbild des Selbstunternehmers für eine Sinnstiftung zunehmen zu bröckeln und sich zu entwerten.
In all dem haben bisherige Vorstellungen von persönlicher Leistung keinen Raum mehr. Es ergibt dementsprechend auch keinen Sinn, gerade nicht auf politischer Ebene, an historische Leistungsideale anzuknüpfen, die mit einer politischen Förderung der neuen digitalen Ökonomie aus den Angeln gehoben werden. Was ist also eine Leistungsgesellschaft, die der menschlichen Leistung keinen ökonomischen Wert mehr beimisst? Wir beginnen vielmehr in einer Anstrengungsgesellschaft zu leben, die eine nach oben offene Skala ausweist, deren Grenzen sich wohl eher in Burnout und Depressionen, schließlich in Wunsch nach einem grundlegenden Ausstieg aus dieser Spirale zeigen[vi].
Unsere Ökonomie hat sich in der Vergangenheit immer mehr von einer Realwirtschaft zu einer Finanzwirtschaft transformiert, die erstere nur noch als Mittel zum Zweck oligopolartiger Kapitalmehrung benutzt (wie es sich im Fall von Boeing beispielhaft zeigt), wobei niemand mehr sicher sagen kann, für was solche Kapitalanhäufungen, die sich in immer größeren Umfang nicht mehr fundiert investieren lassen und damit zu immer mehr Spekulationen führen, einschließlich deren negativen Exzesse (siehe Wirecard, Kryptowährung OneCoin, FinCEN, usw.).
Wer heute eine Rückbesinnung auf die Leistungsgesellschaft anmahnt, muss daher auch der Leistung wieder einen Wert zukommen lassen, der im Bereich der kommerziellen Arbeit aber immer weiter verschwindet.
[i] Was Leistung im ökomischen Sinn ist, kann angesichts der Breite öffentlicher Diskussionen kaum abschließend beantwortet werden. Der vorliegende Beitrag handelt daher ausschließlich von der Leistung als Maß für anerkannte menschliche Arbeit und der Frage, ist Leistung ohne gesellschaftliche, politische und ökonomische Anerkennung (Gegenwert) eine funktionelle Leitgröße?
[ii] Lars Distelhorst: Leistung. Das Endstadium der Ideologie, Bielefeld 2014, S. 11
[iii] Letztlich machen die meisten Plattformen nichts anderes. Das globale Finanzkapital verfügt über immer mehr Barmittel, die keine adäquaten Anlageformen bieten, die Plattformen, die etwa durch die Beherrschung des Handels, von Restaurants, von Werbetreibenden oder der Erschließung privater Wohnungsvermietungen, etc. Gewinne in Geschäftsformen überführen, die anlagerelevant sind, bedienen letztlich nur den Finanzsektor der Ökonomie.
[iv] Dies gilt in diesem Sinn auch für Amazon, das zwar auch Handelsfunktionen wahrnimmt, aber vor allem, um bestehende Handelsstrukturen zu zerstören, dazu werden andere Händler als bloße Zulieferer letztlich auf die digitalen Plattformdienste gezwungen (in der Vergangenheit waren dies u.a. Dumpingpreise bei der Zustellung oder das Preisdiktat, nirgendwo günstiger anzubieten wie auf der Amazon-Plattform), es werden auch immer wieder prekäre Arbeitsbedingungen und Lohnverhältnisse in den Amazon-Logistikbereichen angeprangert.
[v] In Der Vergangenheit waren dies z.B. Bestrebungen, dass Beschäftigte auch in Freizeit und Urlaub per Mail oder andere Kanäle für die Unternehmen verfügbar sein sollten,
[vi] Es dürfte wohl kein Zufall sein, dass sich in der coronabedingten Zwangspause, deutlich mehr Menschen dafür entschieden haben, das bisherige Arbeitsleben so nicht mehr fortsetzen zu wollen, stattdessen neue Wege in Ehrenamt oder gemeinwohl-orientiertem Engagement suchen, in dem nicht-monetäre Werte im Mittelpunkt stehen.
Starker Beitrag Andreas Seidel, der sehr zum Nachdenken anregt. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass einer der häßlichen Hydraköpfe des Kapitals (die Plattformökonomie) jetzt eine der wichtigsten Antriebsquellen - die menschliche Leistungsbereitschaft- frißt, da die individuelle Leistung keine adäquate Anerkennung mehr findet.
(Privat)
4 JahreGuter Begriff: #Anstrengungsgesellschaft "Wir beginnen, statt in einer #Leistungsgesellschaft, vielmehr in einer Anstrengungsgesellschaft zu leben, die eine nach oben offene Skala ausweist, deren Grenzen sich wohl individuell in #Burnout und Depressionen als auch gesellschaftlich im #Klimawandel, in der Erschöpfung unserer natürlichen Ressourcen ausdrücken."