Andreas Lechner belebt in "Heimatgold" die Sportlerkarriere seines Großvaters Passauer Neue Presse: Alexandra von Poschinger
Löwenstark in bewegter Zeit
Andreas Lechner belebt in "Heimatgold" die Sportlerkarriere seines Großvaters
Passauer Neue Presse: Alexandra von Poschinger 23.08.2019
Es ist eine Geschichte von Erfolg und Niedergang, von mutigem Widerstand, vom Lieben und vom Leiden, von Stadt und Land. Die Geschichte einer Familie, eingebettet in die Historie Münchens, Bayerns und der Welt. "Heimatgold" ist so humorig wie traurig, so rasant wie gemächlich, mondän, verklärend, ehrlich und echt – und sticht wohl gerade deshalb so tief ins Herz.
Der Musiker und Schauspieler, Regisseur, Produzent und nun auch Buchautor Andreas Lechner erzählt die Geschichte seines Großvaters Josef Straßberger, geboren 1894, aufgewachsen in Kolbermoor, abgewandert nach München – und aufgestiegen zum stärksten Mann der Welt.
Vorkriegszeit im ländlichen Bayern: Während die Industrialisierung Einzug hält, stemmt der Bauernbub Josef jeden Tag Mehlsäcke in der Dachkammer über der Sägemühle seines Großvaters. Gewichtheber will er werden, und nichts kann ihn von diesem Ziel abhalten. Josef zieht in den Ersten Weltkrieg, überlebt ihn traumatisiert, aber nicht gebrochen – und krönt seinen Ehrgeiz mit der Aufnahme in die schwerathletische Sparte des TSV 1860 München.
Josef Straßberger gewinnt Titel um Titel. Mehrfach wird er Deutscher Meister, Europa- und Weltmeister, Weltrekordhalter – und darf 1928 zu den Olympischen Spielen nach Amsterdam. Mit der Goldmedaille kehrt das Schwergewicht nach München zurück, um sich fortan feiern zu lassen wie ein Popstar. Doch nicht nur seine sportlichen Leistungen bringen ihm wirtschaftlichen Erfolg, die Goldenen Zwanziger fügen das Übrige hinzu. Als Gastronom und mit Rennpferden häuft Straßberger ein sattes Vermögen an – bis in der Weltwirtschaftskrise die alten sozialen Spannungen wieder aufbrechen, in der politischen Radikalisierung münden und letztlich im Weltenbrand gipfeln.
Andreas Lechners "Heimatgold" ist ein turbulentes Buch. Das spannende Panoptikum einer bewegten Zeit, eine kraftstrotzende Hommage an die vergessene Sportlerkarriere des Großvaters – und gleichzeitig: ein Buch voller Stille. Gerade sie vermag in der Geschichte das Ursprüngliche zu öffnen, das Unhörbare zu verlautbaren und gleichwohl das Lärmende mit Zartheit zuzudecken. Indem Lechner das Schweigen zwischen die Zeilen komponiert, gelingt ihm eine spezielle, vielleicht urbayerische Art der Kontemplation. Dann wandelt sich das Grantlerische in Selbstversenkung, das Geschäftige in Rhythmus und das Sittenlose in bescheidene Demut.
"Heimatgold" ist löwenstark, ein Narrativ in Sprache und Konstruktion. Und eine großartig fabulierte Opa-Enkel-Geschichte sowieso. Sentimental, aber zum Glück ohne Gefühlsduselei.
Alexandra von Poschinger
Andreas Lechner, Heimatgold, 288 Seiten, Volk Verlag München, 22 Euro.