Bekenntnisse eine Präsenztrainers
Nein, Führungskräfte-Entwicklung online durchführen, dass geht nicht wirklich. Da fehlt der persönliche Kontakt, die Begegnung „in Echt“.
Es ist schon interessant, wie schnell die eigenen Glaubenssätze ins Wanken geraten, wenn der Sense of Urgency nur stark genug ist. Viel größer kann die Notwendigkeit gerade auch nicht sein. Es ist ja nicht so, dass wir nicht auch vor dieser Zeit bereits eine veritable Debatte über den steigenden Einsatz von Online-Formaten in Trainings, Coachings und Workshops gehabt hätten. Ich erinnere mich, dass ich Anfang des Jahres an einer Online-Befragung zum Thema Digitalisierung von Coaching teilgenommen hatte. Ich war damals ziemlich zurückhaltend in meiner Einschätzung. Eine gute Ergänzung, eine Beimengung ja, aber mehr nicht. Sorry, falls ich Eure Daten ruiniert habe.
15+ Jahre bin ich ja auch so ganz gut gefahren, habe meine Strategien verfeinert und bewege mich souverän auf dem Beratungs-, Trainings- oder Coaching-Parkett – im physischen Raum. So hätte es auch noch 15 Jahre weitergehen können. Hätte!
Die erste Gewissheit, die fiel, war dann auch die Überzeugung, dass Coaching nicht so gut online ginge. Geht es doch! Meine Lernkurve ist gerade immens steil, exponentiell (keine Corona-Referenz!) geradezu, und das finde ich toll. Mein absolutes Erweckungserlebnis hatte ich mit einer Teilnehmerinnengruppe aus dem sozialen Bereich. Die Kolleginnen waren größtenteils noch wenig bis gar nicht in Kontakt mit Zoom, Teams und Co. Wir haben es trotzdem geschafft, an 2 Tagen 12 Coaching-Sessions durchzuführen. Ich denke, der Lerneffekt war beidseitig hoch.
An manchen Punkten stelle ich mir zudem die alte IT-Frage: „Is it a bug or is it a feature?“ Dazu ein Beispiel: In den meisten Kollaborations-Tools sieht man sich ja auch selbst. Nicht notwendigerweise, aber per default. Einerseits absorbiert das Energie, weil man versucht ist, sich permanent selbst zu checken (und zu inszenieren). Andererseits aber, wann erhalte ich schon mal im Prozess Feedback über meinen eigenen Ausdruck? There's always two sides to it. Für manchen Klienten ist die Distanz durch das Medium möglicherweise auch nützlich, wenn dadurch die Hürde, sich einzulassen weniger hoch erscheint. Im Präsenz-Coaching ist man sich ja in der Regel sehr schnell sehr nah. Das passt nicht zu jedem/jeder. Gab es nicht sogar den Hinweis, 2020 würde durch Corona zum "Jahr der Introvertierten"?
Formate mit mehr als 2 Menschen sind sicherlich noch mal eine andere Nummer. Aber auch da spüre ich beinahe physisch, wie sich alte Glaubenssätze verflüssigen. Ich glaube mittlerweile fest, dass jedes meiner Seminarthemen (u.a. #Führungskräfte #Entwicklung, #Kommunikation, #Zeitmanagement, #Moderation) sich auch virtuell machen lässt. Alle aktuellen Erfahrungen weisen in diese Richtung. Aber natürlich nicht 1 zu 1. Ein zweitägiges #Kommunikationstraining einfach genau so online durchzuführen, das hält kaum einer aus. Da braucht es #Kreativität, Einfallsreichtum und Improvisation.
Wie wäre es z.B. mit Folgendem:
a) Das Seminar startet morgens mit einer Einheit (90 Minuten, Get Going, Einstieg ins Thema, Sammeln von Fragestellungen der TN, erster Impuls + Anwendungsübung). Dann gehen die TN an ihre tägliche Arbeit und beobachten sich aus den Perspektiven des Seminarthemas (z.B. Wann / wo nehme ich echte Wertschätzung wahr?) oder probieren mal was aus (z.B. Mehr fragen als Sagen; Aktives Zuhören). Anschließend trifft sich die Gruppe am Nachmittag und reflektiert die eigene Learning Journey im Alltag. Und schon hat man aus dem scheinbaren Makel („Wir können nicht einen ganzen Tag in einer Zoom-Konferenz sitzen!“) einen Nutzen gemacht (Überwinden der Transferhürde). Das kann man, wenn man mag, dann am darauffolgenden Tag wiederholen und ggf. die ganze Woche. Ich wette, da passiert eine Menge Lernen.
b) Oder statt ein #Leadership-Development-Programm 1 zu 1 zu virtualisieren, könnte man auch mehr in curricularen Strukturen denken, indem man die Module aufbricht in kleinere Lerneinheiten (online-verdaulich). Also statt 4 mal 2 Tage Präsenz je Gruppe, z.B. 20 Online-Sessions (90 – 120 Minuten) zu in sich abgeschlossenen Themenblöcken. Jede Session bietet man innerhalb der Laufzeit des Programms mehrfach an, zu unterschiedlichen Wochenzeiten, und jede*r Teilnehmende bucht sich selbstständig seinen Programmplan zusammen. Maximale Flexibilität gepaart mit hoher Vernetzung aller Programmteilnehmenden (nicht nur der eigenen Lerngruppe) und ebenfalls guter Möglichkeit der Anwendung / des Ausprobierens des Erlernten im Alltag. Der Rest der Zeit wird in #Coaching-Slots individuell gearbeitet oder selbstorganisiert in virtuellen Peer Groups.
Mir ist natürlich sehr klar, dass jede Didaktik auch blinde Flecken hat. Und so sehr ich überzeugt bin, dass viel Nutzen gestiftet werden kann, sehe ich auch die Grenzen. Und ich will auf Dauer nicht auf den persönlichen Kontakt verzichten und denke, viele meiner Klienten und Teilnehmenden auch nicht (ein weiterer Glaubenssatz). Der Nutzen liegt aber ebenso klar auf der Hand: Unternehmen erhalten flexiblere Formen der Weiterbildung und sparen Nebenkosten. Teilnehmende, Berater und Trainer sparen Reisezeiten. Wir Professionellen erhalten Zugang zu einem viel größeren Markt ohne Reichweiteneinschränkungen. Und wir alle profitieren von weniger reisebedingtem CO2-Ausstoß. Die Aussicht auf Letzteres spornt mich gerade besonders an. Ganz allgemein kann man mit von Foerster sagen „es ist besser, mehr Möglichkeiten zu haben als weniger“ (sehr frei).
Schon vor Corona wollten viele Personalentwicklungsabteilungen mehr online haben. Um neue Reize zu setzen, um zu flexibilisieren und schlicht auch, um zu verkürzen und Kosten zu sparen. Verständlich, an vielen Stellen auch machbar, aber an anderen Stellen ein Nullsummenspiel, denn echte Spareffekte entstehen ja nur da, wo wir auf Verzichtbares verzichten können. Daher sehe ich in Zukunft – mit all den neuen Möglichkeiten, die wir uns gerade erarbeiten – einen noch stärkeren Bedarf an präzisem Contracting. Was soll erreicht werden und welche Mittel können wir dafür sinnvoll nutzen.
Zum Glück ist es mitnichten eine Entweder-oder-Abwägung. Die Anforderung wird sein, präsente Formate intelligent mit Online-Formaten zu kombinieren. Da fühle ich mich voll im Saft und darüber freue ich mich!
Darüber hinaus freue ich mich auf Feedback und Austausch! Viele Grüße!
Der Autor:
Alexander Pauly ist Geschäftsführender Gesellschafter von trainsform. Er ist Experte für nachhaltige und ressourcenschonende Change-Architekturen, sowie kreative Workshop- und Training-Designs. Alexander fühlt sich magisch angezogen von allem, was mit Kulturwandel und funktionstüchtigen Organisationen zu tun hat. „Agil lange bevor aus agil ‚agile‘ wurde“.