Berliner Senat beschließt nach 31 Jahren Planung am 23.08.2023 einen Rahmenplan zur Bebauung am Molkenmarkt (Eine Polemik)
Berlin

Berliner Senat beschließt nach 31 Jahren Planung am 23.08.2023 einen Rahmenplan zur Bebauung am Molkenmarkt (Eine Polemik)

Diese Meldung lässt aufhorchen! In mehrerlei Hinsicht. Zunächst denke ich bei mir: Endlich geht es los! Rahmenplan, nice! Dann meldet sich ein leiser, aber wachsender Zweifel: War nicht erst 2016 ein Bebauungsplan Molkenmarkt in Kraft getretenen? Verwirrung.


Kurze Rekapitulation des mich mein komplettes Berufsleben als Architekt (!) begleitendenten „Projekts“: 1992/94 Planwerk Innenstadt; 1998 Workshop Verfahren; 1999 Senatsbeschluss Planwerk Innenstadt; 2003 Bebauungsplan 1-14B Molkenmarkt/Klosterviertel; 2004 Bezirksentwicklungsplan Berlin-Mitte; 2004-05 Workshopverfahren; 2005 Masterplan Molkenmarkt; 2008 Workshopverfahren; 2009 Städtebauliches Leitbild Senstadt; 2010 Planwerk Innere Stadt; 2014 Berlin Strategie 2030; 2016 Bebauungsplan 1-14;  2021 Städtebaulicher Wettbewerb; 2023 Rahmenplan; 2024* Gestaltungshandbuch; es werden weitere einzelne Wettbewerbe und Entwürfe folgen zur konkreten baulichen Umsetzung. (*angekündigt)


Ausgangssituation nach dem Kriegsende


Inzwischen gelten für das Areal parallel ein Bebauungsplan und eine sogenannte „Charta Molkenmarkt“ mit  Rahmenplan und Gestaltungshandbuch. Die Planungen kommen und gehen. Die Konjunktur ebenso. Während am Alexanderplatz kein Bedarf an umwälzenden Änderungen der Planung aus den 1999-2000er Jahren gesehen wurde, sollte wohl am Molkenmarkt ein Exempel ganz im Stimmann’schen Sinne der Stadtrekonstruktion statuiert werden. Die Senatsbaudirektoren werden nicht müde, die Entwürfe als eben jenes NICHT zu verkaufen. Auf der Höhe der Zeit will man sein, modern und kleinteilig will man bauen, die klimaresiliente Stadt will man verwirklichen, die partizipative Demokratie jenseits der Eigentumsfragen will man vorbildhaft durchsetzen. Um es kurz zu sagen, eine gründerzeitliche und gleichzeitig „grüne“ Stadt-Idylle weitgehend in Gemeinschaftseigentum. Inzwischen ist auch wirklich Jede/r zu dem Thema befragt worden.


Architekten Kay und Weber 1992


Jedoch unterscheidet sich das Ergebnis nach diesen 31 Jahren Planung nur in minimalen Nuancen vom Leitbild des Planwerk Innenstadt Hans Stimmann’s! Wie kann das sein? Und hätte alles nicht längst dort stehen können? Die ostdeutsche Stadtplanung wollte den mittelalterlichen Stadtgrundriss auflösen, die Senatsbaudirektoren Stimmann, Lüscher und Kahlfeld ihn in Abstufungen zurück „interpretieren“. Frei machen wollte sich davon bisher keine/r. Ein epischer Kulturkampf!


Senatsbeschluss Planwerk Innenstadt


Sicherlich sehen heute die Fassaden und Grundrisse der Häuser anders als im Jahr 2000. Zum Glück! Aber vor 20 Jahren gab es auch keine Smartphones und Tablets. Jedoch neu interpretierte Nutzungsformen wie etwa „Kultur“, „Co-Working/Co-Living“, „urban gardening“ und „nachhaltige Mobilitätsangebote“ bereits als herausragende „andere“ und transformative Lösungen vorzustellen, mutet in etwa so an, als ob man den Garten des mitelalterlichen Grauen Kloster oder den Friedhof der Parochialkirche damals bereits als „ökologische Ausgleichsfläche“ vermarktet hätte.


Bebauungsplan (rechtskräftig)


Nein, es sind keine herausragenden oder wegweisenden oder zukunftsfesten Lösungen aus all diesen Planstücken zu erwarten - schon weil die Stadt einen immerwährenden Wandel bedeutet. Es ist vielmehr so, dass der Senat sich hier selbst eine Lesehilfe im überregulierten und zu Teilen in sich widersprüchlichen gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Gesamtregelungswerk für das Bauen (und Leben) in Deutschlands Hauptstadt geschaffen hat. Insofern ist „nach dem Rahmenplan“ natürlich „vor dem Quartiersplan“ - es gibt immer noch eine stärkere Leselupe, die en Passant zusätzliche - in den gesetzlich vorgeschriebenen Bebauungsplänen noch nicht erfassten - Details regulieren können. An den städtebaulichen Zielen wird sich nichts ändern.


Rahmenplan / nach Werkstattverfahren


Das man mit einem derartig dichten Geflecht an Regelungen nicht nur den Missbrauch (aka „Miethaie“) verhindern kann, sondern auch jegliche Kreativität abwürgt, dass ist im Berliner Straßenbild leider nur allzudeutlich manifestiert. Die Alltagsarchitektur durchschnittlicher privater Bauherren (die „Berliner Zivilgesellschaft“) kann längst nicht mehr als Ausdruck individueller Lebenswege und -vorstellungen dienen. Ein Gestaltungshandbuch (Senat-approved) ist eher das Gegenteil von gebauter Individualität, die den mittelalterlichen Stadtgrundriss jedoch überhaupt erst ermöglicht hatte! Und um „gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen“ geht es hier schon lange nur noch ganz weit am Rande. Berlin ist eine lediglich mitteldichte und sehr grüne Metropole.


Insofern spreche ich mich ganz klar für ein verordnungsrechtliches Abrüsten aus, Mut und Vertrauen der Verwaltung gegenüber dem Bauen der eigenen Bürger und Institutionen (die stadteigenen Immobilien sind ebenfalls betroffen). Letzten Endes hat die Stadt alle Werkzeuge und Verfahren seit Jahrzehnten in der Hand: Gestaltungsbeirat zur direkten Einflußnahme und Bebauungspläne zur generellen Beschreibung der städtebaulichen Ziele.


Mehr braucht es nicht, den die Stadt ist niemals fertig!

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