Bist Du es? - Predigt zum 3. Advent
Bist Du es? Mit diesen zweifelnden, hoffenden, bangenden drei Worten formuliert Johannes der Täufer die Frage nach dem Sinn seines Lebens, als er im Gefängnis sitzt und seinem sicheren Tod entgegenblickt. Er fragt nach dem Sinn seiner gesamten Existenz, wie er gelebt, was er geglaubt, wie er gehandelt hat. War es richtig? Ob sein Leben sinnvoll war, entscheidet sich für ihn daran, wer Jesus ist. Deshalb muss er Jesus diese Frage stellen und sie sich von ihm selbst beantworten lassen. Er wendet sich über seine Anhänger also an Jesus und Jesus beantwortet seine Frage. Nicht indem er einfach sagt: „Ja, ich bin es!“. [Jeder charismatische Führer könnte eine solche Behauptung von sich aufstellen. Damit muss sie aber noch lange nicht wahr sein. Wer Retter ist, zeigt sich nicht daran, dass er es behauptet oder dass andere es von ihm behaupten.] Jesus verweist als Antwort auf Johannes‘ existenzielle Frage vielmehr auf Geschichten, genauer: Heilungsgeschichten, auf Geschichten erfahrener Rettung, erfahrenen Heils, sodass Johannes sich selbst ein Urteil bilden kann. Jesus lässt also das, was durch ihn geschieht, für ihn sprechen. Jesu Taten haben die Wirkung, dass Gottes Heil erfahren wird, dass Gottes Reich, das Himmelreich bereits hier und jetzt erfahrbar ist. Das ist, was ihn legitimiert, das zeigt, wer er ist: Der verheißene Retter. Denn die Erfahrung des Anbruchs des Reiches Gottes selbst ist es, was durch den Retter geschieht, wie wir auch bei Jesaja hörten.
Mir ist an dieser Stelle ein Punkt aufgefallen, den ich für bedeutsam halte. Im Evangelium heißt es: Johannes „hörte […] von den Taten des Christus“ (Mt 11,2). Und dennoch war er sich unsicher, ob Jesus der Retter ist. Warum? Weil es nicht die Taten an sich sind, die Jesus als Retter ausweisen, sondern die Wirkung der Taten Jesu. Es scheint bedeutsam zu sein, hier zwischen Tat und Wirkung zumindest analytisch zu unterscheiden, auch wenn beides natürlich nicht vollständig voneinander zu trennen ist bzw. zusammengehört. Aber indem wir eine Handlung nicht mit der Wirkung gleichsetzen, lassen wir einen Raum zwischen beiden, einen Möglichkeitsraum. Und dieser Raum ist der unverfügbare Ort Gottes freien Handelns. Jesus macht nicht das Himmelreich und auch wir in der Nachfolge Jesu Stehenden machen nicht das Himmelreich, weil es nichts in unserer menschlichen Macht Stehendes ist. Es geschieht vielmehr aus Gottes Macht heraus, weil Gott selbst es durch Jesu Taten bewirkt. Durch Jesus, in ihm und mit ihm ist das Himmelreich da, weil in ihm Gott selbst da ist und wirkt. Weil Gottes Reich, die heilende Herrschaft Gottes, Gott selbst durch Jesus erfahrbar wird, ist er der Retter, ist er es.
Durch das erfahrene Heil bestätigt sich, wer Jesus ist und dadurch auch zugleich, wer Johannes ist. Weil durch, mit und in Jesus wirklich Gottes Reich anbricht, geschieht, erfahrbar wird, begegnet uns in ihm der Retter, ist er der Retter und Johannes damit auch wirklich sein Bote und Johannes Rede vom nahen Himmelreich wahr. Deshalb können die Jünger des Johannes zu diesem mit einer für ihn frohen Botschaft zurückgehen. Sie müssen nicht einmal mehr hören, was Jesus über Johannes selber sagt, damit Johannes mit seinem Leben versöhnt in Frieden seinem drohenden Tod entgegentreten kann.
Jesus spricht aber noch zu der Menge über Johannes, um diesen Menschen zu verdeutlichen, warum zunächst Johannes nachzufolgen durchaus sinnvoll war. Johannes ist wichtig, weil er nicht nur verkündet hat, dass „das Himmelreich […] nahe“ (Mt 3,2) ist, sondern als ein im Glauben Standhafter und jenseits der Schaltstellen der Macht wirkender Bote jenem den Weg bahnte (vgl. Mt 11,10), jenem Raum gab, der das Himmelreich allein zu verwirklichen vermag: dem rettenden Gott selbst, der uns in Christus nahekommt.
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Gott und damit Gottes heilender Herrschaft Raum zu geben, ist das Größte, was jemand aus menschlicher Kraft, als Mensch (nichts anderes soll „von einer Frau Geborene“ heißen), tun kann. Das, was dadurch möglich wird, der Anbruch des Reiches, der heilenden Herrschaft Gottes im Hier und Jetzt, ist jedoch noch viel größer als alles, was wir aus menschlicher Kraft vermögen. Wo Gott selbst am Wirken ist, da ist Reich Gottes, da geschieht Größeres als alles, was wir für groß halten. Daher ist der Kleinste im Himmelreich selbst größer als Johannes (vgl. Mt 11,11).
Vielleicht können wir das in unseren Alltag mitnehmen: Gott in unserem Leben wirklich Raum zu geben. Die Adventszeit will ja genau das sein: Zeit der Erwartung, des Raumgebens, des Offenseins dafür, dass Jesus in diese Welt kommt und mit ihm Gottes rettende Herrschaft erfahrbar wird. Johannes kann uns daran erinnern, wie wichtig es ist, Gott den Weg zu bahnen, Gott selber Raum zu geben, ohne zu meinen, es selber zu sein. [Das kleine Bild mit einem Werk des Künstlers Thomas Zacharias kann uns daran erinnern.] Ob es wirklich Gott selbst ist, dem wir dann Raum geben, erkennen wir an dem, was durch dieses Raumgeben ermöglicht wird, was dann Gestalt gewinnen, was wirken darf. Sind es Geschichten erfahrenen Heils, die wir dann zu sehen und zu hören bekommen? Halten wir also nach den Geschichten erfahrenen Heils Ausschau, wenn wir wissen wollen, ob das, woran wir uns orientieren, ob das, dem wir Raum in unserem Leben geben, wirklich das Wahre ist. Sie zeigen uns den, an dem uns auszurichten unser Leben wirklich sinnvoll macht. Fragen wir, wenn wir uns unsicher sind: Bist Du es, Jesus? Und lassen wir Jesus antworten. Amen.
© Dr. Alexandra Lason