Bist du unersetzbar?
Darauf kann es meiner Ansicht nach nur widersprüchliche Antworten geben.
Da wir bei let’s lead das Spannungsfeld zwischen Mensch und System(theorie) so schätzen, biete ich dir hier zwei Perspektiven zum Nachdenken und selbst Positionieren an.
Perspektive 1: Wenn ich ersetzbar bin, mache ich einen schlechten Job.
Es ist folgerichtig und klug, dass du dich für deine Organisation unentbehrlich machen willst. Das verbessert zum einen deine Verhandlungs- und Karriereoptionen. Zum anderen empfinde ich diese Aussage als ehrlich. Denn wenn eine Führungskraft sagt, dass sie sich als “Diener:in” der Mitarbeitenden sieht und dem alles unterordnet, dann halte da Großteils für einen koketten Mythos. Der Wunsch, anerkannt und gebraucht zu werden, ist tief in uns Menschen verankert.
Dazu kommt, dass viele menschliche “Egos” es lieben, unersetzbar zu sein. Dazu passen Sätze wie “Das muss ich selbst übernehmen, sonst läuft das nicht.”, “Wenn man/frau nicht alles selbst macht ...” oder auch “Das ist meine Aufgabe als Führungskraft: Vorbild sein, als erste:r kommen als letzte:r gehen”. Das menschliche Ego ist per se nichts Schlechtes. Es ist halt da, macht sein Ding und nimmt sich wichtig.
Vielleicht kannst du ja auch wirklich etwas, was sonst niemand so in der Organisation kann. Vielleicht bist du fachlich so ein:e Könner:in, dass ohne dich die Wertschöpfung leiden würde. Vielleicht hast du bei Problemen oft Ideen, denen andere folgen. Und bist eine der (wenigen) Führungskräfte, denen es gelingt, wirklich wirksame Meetings zu gestalten.
Die Wertschöpfung vieler Organisationen wird immer komplexer. Unternehmen müssen sich immer schneller den wechselnden Marktbedingungen anpassen. In den satten Märkten von heute geht es um Innovation und um Ideen. Die haben nur Menschen – und zwar solche mit Talent und Können. Eine Maschine kann das (noch) nicht. Entsprechend brauchen Organisationen mehr “einzigartige” nicht ersetzbare Könner:innen.
(Achtung: Nicht jede:r ist ein:e Könner:in – auch wenn die Egos das natürlich manchmal vehement verneinen.) 😉
Perspektive 2: Unersetzbar zu sein ist eine Utopie.
Stell’ dir vor, dein Team oder die Organisation, für die du arbeitest, könnte ohne dich NICHT existieren. Willst du das wirklich? Was würde das mit dir machen? Hier hilft ein Ego-Check. Damit meine ich nicht, dass du dein Bedürfnis, gebraucht zu werden und wirken zu wollen, verdrängen oder loswerden sollst. Lerne es zu beobachten, anzunehmen und sprich mal darüber mit wertvollen Menschen. Wo hilft dir dein Bedürfnis? Wo schadet es dir und der Wertschöpfung?
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Die Systemtheorie betrachtet Organisationen als eigenständige LEBEwesen. Und das Leben will nur eins: leben. Abhängigkeiten von Mitarbeitenden sind da (über)lebensgefährlich. Die Organisation möchte also gerne, dass jede:r ersetzbar ist. Welche Menschen bei dem Spiel Organisation mitspielen, ist dem sozialen System der Organisation schnuppe. Ein zentraler Vertreter der Organisation ist beispielsweise die Geschäftsführung. Sie hat die Aufgabe darauf zu achten, dass die Organisation überlebt – unabhängig von Einzelschicksalen.
Ja, was denn nun? Wie immer helfen bei komplexen Fragestellungen keine Patentrezepte.
Ich halte es für klug, all diese Widersprüche anzusprechen. Sie zu enttabuisieren. Sie besprechbar und bearbeitbar zu machen. Gemeinsam darüber zu schmunzeln schadet sicher auch nicht. 😉
So entsteht der notwendige (komplexe) Raum, um mit der Komplexität der Menschen, der Organisation und der Märkte mitzuschwingen. Um sich und die Organisation zu fragen, wo du ersetzbar bist und wo vielleicht nicht. Und um dich zu fragen, ob du das ändern willst.
Ich glaube, dass Führung harte und intensive (Grundlagen)Arbeit ist. Es braucht den Blick in die dunklen unaufgeräumten Ecken der Persönlichkeit und der Organisation. Und Experimente ohne Gelinggarantie. Es geht also ums Voran-Irren. Dadurch entsteht Wachstum. Den Weg pflastern Konflikte, die schmerzhaft sein können, aber notwendig zur Klärung sind. Regelmäßige Reflexion rundet das Paket ab.
Bei alldem solltest du nicht dich und die organisationalen Strukturen im Fokus haben, sondern die Probleme eurer Kunden, damit das Unternehmen (über)leben kann.
Mein Fazit:
Wenn du als Könner:in unersetzbar für dein Unternehmen bist, dann stellt das eine Gefahr für das Ganze dar. Andererseits sind es eben jene Könner:innen, die heute in den satten Märkten den Unterschied machen. Sie können für das Ganze den entscheidenden Unterschied bei den Kunden machen.
Ich schließe also mit einem meiner liebsten Zitate von Reinhard K. Sprenger:
Balancieren ist eine Notwendigkeit – Balance ist eine Illusion.
Oh, ersetzbar vielleicht schon, aber austauschbar nicht.
Respektlose Initiatorin für kybernetisches und Komplexitätsdenken im 21. Jahrhundert
2 JahreBei Formwelt sind wir wild entschlossen, auf unersetzbaren Leuten aufzubauen.
Team Lead | Projektverantwortlicher
2 JahreMeine Erfahrung als Führungskraft zur Ersetzbarkeit von Individuen: Ich war überrascht, wie gut die Organisation das Ausscheiden von Mitarbeitenden verkraftet hat. Selbst wenn diese unaustauschbar schienen. Ich glaube, dass wir Egos uns viel wichtiger nehmen als wir sind.