Was bleibt vom AI-Hype? Ein Zwischenfazit aus Sicht der Industrie
Die jüngsten technologischen Fortschritte im Bereich der generativen KI haben in den letzten Monaten für große Fantasie in der Wirtschaft und an den Kapitalmärkten gesorgt. Für die Autoindustrie ergeben sich tatsächlich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten, gleichzeitig sind der Technologie aber auch (noch) Grenzen gesetzt. Viel wichtiger ist daher, endlich die Potenziale der Digitalisierung sowie erprobter analytischer Lösungen zu heben.
Wenn ich in den letzten Wochen und Monaten durch meine LinkedIn-Timeline blättere oder die Börsenberichterstattung verfolge, dann fühle ich mich als Zeitzeuge einer technologischen Revolution, die in Rekordgeschwindigkeit auf uns zurollt. „ARTIFICIAL INTELLIGENCE!“ schreit es aus allen Kanälen, am lautesten von den Technologie-Propheten, die noch vor wenigen Monaten die Metaverse-Revolution vorhergesagt haben und die nach deren offensichtlichem Ausbleiben auf der Suche nach neuen Aufgaben sind.
Als Wirtschaftswissenschaftler mit mittelmäßigen Excel-Skills bin ich zugegebenermaßen nicht optimal qualifiziert, um Urteile über derartige technologische Entwicklungen zu treffen. Dennoch erlaube ich mir an dieser Stelle einmal eine erste Einordnung für die Automobilindustrie. Denn auch hier stellt sich angesichts von massivem Kostendruck und zunehmendem Fachkräftemangel in vielen Chefetagen die Frage, wie man die neuen technologischen Möglichkeiten sinnvoll einsetzen kann.
Nicht jedes Analytik-Tool ist gleich AI
Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass mit dem Begriff „Artificial Intelligence“ gern recht großzügig umgegangen wird. Wozu generative KI (also ChatGPT und Konsorten) fähig ist, wirkt tatsächlich in vielerlei Hinsicht „intelligent“. Ob es dem Begriff tatsächlich gerecht wird oder nicht, darüber möchte ich hier nicht streiten. Entscheidend ist vielmehr, dass dahinter eine ähnliche Kombination aus statistischen Methoden und jeder Menge Rechenpower steckt, wie bei seit langem existierenden Tools für prädiktive Analytik (also beispielsweise Machine Learning).
Weil es gut klingt und weil es im Bereich anspruchsvoller Analytiklösungen häufig ein großes Wissensgefälle zwischen Anbietern und Nachfragern gibt, werden vielfach (gern auch von Vertretern meiner eigenen Branche) schon bessere Excel-Modelle mit dem magischen Attribut „intelligent“ versehen. Dabei gilt immer noch der alte Spruch „If it is written in Python, it's probably machine learning - if it is written in PowerPoint, it's probably AI“.
Generative KI mit kurzfristigem Nutzen vor allem in interaktiven Themen
Die generative KI, die in den letzten Monaten mit Anwendungen wie ChatGPT einen beispiellosen Sprung gemacht hat, verdankt ihren Siegeszug vor allem ihrer relativ einfachen Anwendbarkeit. Seit seiner Einführung steht ChatGPT als Autor gefühlt hinter der Hälfte aller Grundschulreferate, Glückwunschgrüße und Grabreden und wird offensichtlich auch in der Breite von wenig technologie-affinen Menschen eingesetzt.
Empfohlen von LinkedIn
Das Potenzial dieser Technologie ist nachgewiesenermaßen erheblich, insbesondere dort, wo Texte, Sprach- und Videonachrichten in großer Zahl produziert werden müssen. Das ist in der Automobilindustrie (wie auch in anderen Branchen) beispielsweise im Bereich Kunden- und Mitarbeiterservice der Fall, in der Erstellungen von Dokumentationen, Trainings- und Marketingmaterialien, Anforderungskatalogen, Übersetzungen und Verträgen. Auch in vielen administrativen Backoffice-Aufgaben ist ein Einsatz sehr gut vorstellbar. Auch wenn dies überwiegend Randbereiche außerhalb der eigentlichen Kernprozesse sind: das Potenzial zur Senkung von (Personal-)Kosten ist erheblich (allerdings sind diese Funktionen bereits vielfach ausgelagert - die Potenziale müssten daher bei den Dienstleistern gehoben werden). Darüber hinaus handelt es sich überwiegend um nicht branchenspezifische Themen, sondern um Aufgaben, die überall in der Wirtschaft erforderlich sind – die Automobilindustrie kann sich daher pragmatischerweise daran orientieren, was in anderen Sektoren daraus gemacht wird.
In den Kernprozessen der Automobilindustrie, zum Beispiel im Produktentwicklungsprozess, in der Produktion oder der Logistik sind der generativen KI dagegen noch enge Grenzen gesetzt und die Potenziale in absehbarer Zeit relativ begrenzt. Warum? Die Automobilbranche braucht Lösungen in sehr hoher Qualität und Zuverlässigkeit, die zudem validierbar sind, d.h. auf nachvollziehbarem Weg enstanden sind. ChatGPT erzeugt neben viel tollem Output eben auch extrem viel Unsinn und ich persönlich möchte nicht in einem Auto fahren, in dem ein Teil der sicherheitsrelevanten Software von so einer Maschine geschrieben worden ist.
Erst digitalisieren und analysieren, danach kommt KI
Extrem spannend ist dagegen, dass der AI-Hype auch die enormen Potenziale von Digitalisierung und Machine Learning wieder ins Blickfeld rückt, die die Branche in der Vergangenheit vielfach liegengelassen hat. So beruhen zahlreiche Prozesse – zum Beispiel in Planung, Programmsteuerung, Angebotsgestaltung, Preissetzung, Marketingaktionen und vielen weiteren Bereichen – bei vielen Unternehmen weitgehend auf Erfahrung, Excel-Tabellen und Bauchgefühl. Und das, obwohl es eine Vielzahl erprobter Analytik-Lösungen gibt, die zwar nicht „intelligent“ sind, aber nachgewiesenermaßen signifikant bessere Ergebnisse erzeugen. So konnten wir beispielsweise in zahlreichen Projekten nachweisen, dass Autos, die mit einem Machine-Learning-Algorithmus konfiguriert wurden, sich schneller und zu deutlich höheren Preisen verkaufen lassen als die, die von einem erfahrenen Disponenten auf Basis einer Sonderausstattungsliste manuell zusammengeklickt werden. Von diesen Beispielen gibt es viele – und sie bergen sehr großes Ergebnispotenzial für die Branche. Diese Potenziale in nächster Zeit nicht zu heben wäre nicht nur töricht, sondern würde auch eine entscheidende Chance vertun, den zu erwartenden massiven Ergebnisprobleme der Automobilindustrie in den kommenden Monaten und Jahren entgegenzuwirken.
Der AI-Hype neigt sich dem Ende zu – der Weckruf wird hoffentlich bleiben
Für die kommenden Monate rechne ich mit einem Abflachen der aktuellen Euphorie rund um das Thema Künstliche Intelligenz – nicht zuletzt an den Kapitalmärkten, wo sich sicherlich der eine oder andere Börsenkurs in der Rückschau als deutlich zu optimistisch herausstellen wird. Für die Automobilindustrie hoffe ich, dass die Entscheider die KI-Welle als einen Weckruf verstehen, die verfügbaren technologischen Möglichkeiten aus Digitalisierung und analytischen Lösungen (und sicherlich auch generativer KI) nun konsequent umzusetzen und damit endlich die Kostenpotenziale zu heben, die die neuen Wettbewerber – egal ob Tesla oder chinesische Anbieter – längst eingepreist haben.
Ein aus meiner Sicht guter Beitrag aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit ähnlichem Fazit: https://m.faz.net/aktuell/finanzen/warum-der-durchbruch-von-ki-noch-lange-dauern-wird-19093989.html
It's time to say goodbye
1 JahrGutes Fazit: und ohne digitalisieren und analysieren, und vor allem das Wissen um die Prozesse (um Geschäftsprozesse), das KnowHow in Richtung Analytik und verantwortungsvolle KI, geht es nicht mit der "Königsdisziplin" KI. Wenn man nur auf Hypes der Beratungshäuser hört, dann kann KI zu einem Kostengrab werden! Was nicht heißt, dass hier Potenziale überall schlummern, aber Tools und Technik kommen nach dem Mindset was und wie ich KI einsetze und einen Value pro UseCase erzeuge. Denn all' das benötigt Ressourcen und ständige Betreuung.