Chancen und Gefahren in einer Krise

Chancen und Gefahren in einer Krise

Der Begriff Krise wird im Chinesischen durch die beiden Schriftzeichen Chance und Gefahr dargestellt und vermittelt so den Doppelcharakter bzw. das Wesen dieses Begriffes. Max Frisch wiederum bezeichnet eine Krise als einen produktiven Zustand, dem man nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen muss.

Was kann also gut an einer Krise sein und was könnte zur Gefahr werden? Liegt der Fokus im Allgemeinen zu sehr auf der Katastrophe?

Im psychologischen Kontext sind Krisen für den Einzelnen belastende, von gemischten Gefühlen begleitete Zuspitzungen von Konfliktverläufen, welche die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigen. Bedrohungs- und Ohnmachtsgefühle wechseln sich mit Gefühlen der Hoffnung und Zuversicht ab. Unsere Welt ist auf den Kopf gestellt. Sicher geglaubte Abläufe funktionieren nicht mehr, unsere Skripte werden unterbrochen.

1. Skripte und Lebensziele

Der amerikanische Psychiater und Begründer der Transaktionsanalyse Eric Berne entwarf den Begriff des Skripts im Sinne eines übergeordneten Lebensplans, den man im Laufe seiner Kindheit durch Erziehungserfahrungen und Sozialisationsprozesse entwickelt und der sich dann (unbewusst) zu einer prägenden Lebenseinstellung und Überzeugung manifestiert. Auch Kognitionspsychologen verwenden den Begriff des Skripts für Handlungs- und Ereignisschemata, die wir Menschen wie ein Drehbuch abgespeichert haben und die uns Orientierung und Stabilität in wiederkehrenden und damit bekannten Situationen bieten. Wird ein derart etabliertes persönliches Skript gestört, entsteht ein Gefühl der Verunsicherung, da bewährte Reaktionen nicht mehr funktionieren und neue noch nicht „gespeichert“ sind. Wir wähnen unsere Errungenschaften, unser Selbstbewusstsein und unsere Lebensziele in Gefahr.

2. Die Gefahr der Manipulation

Dieser Zustand der Verunsicherung in der Krise ist unangenehm. Viele Menschen suchen einen schnellen Ausweg und wünschen sich möglichst sofort wieder handlungsfähig zu sein und nehmen daher häufig das erstbeste Angebot, das einen Ausweg aufzeigt, dankbar an. Genau dieser verständliche Wunsch, die Krisensituationen so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, macht Menschen manipulierbar. Der erste Ausweg ist nicht zwangsläufig der nachhaltigste Weg aus der Krise, insbesondere dann nicht, wenn eigene Einstellungen und Verhaltensweisen einen Anteil an der Krise haben. Wenn Menschen immer wieder in ähnliche Situationen geraten, die unangenehm sind oder wenn ein Mensch sich, allgemein betrachtet, zu seinem Nachteil verhält, lohnt es sich darüber nachzudenken, ob er unreflektiert seinem Skript folgt.

3. Möglichkeiten zu persönlicher Reifung und Wachstum

Krisen können unvermittelt in unser Leben hineinbrechen oder sich schleichend entwickeln. In jedem Falle fordern sie unsere Abwehr- und Bewältigungsmechanismen und unsere Resilienz heraus. Krisen bergen aber auch die Möglichkeit zu Reifung und Wachstum. Und zwar immer dann, wenn wir uns einer schwierigen Situation stellen, Verantwortung übernehmen oder uns mit den eigenen Einstellungen und Überzeugungen auseinandersetzen bzw. uns unserer Skripte bewusst werden und sie hinterfragen. Persönliches Wachstum erfolgt leise und üblicherweise in Zeiten der Besinnung und Reflexion. In unserer schnelllebigen, an äußeren Zielen orientierten Gesellschaft ist diese Zeit der Reflexion selten, wenngleich uns die aktuelle Pandemie in weiten Teilen im Außen zum Stillstand zwingt. In einer Krise wird der Mensch gezwungen innezuhalten und hat die Möglichkeit den Blick auf sein Inneres zu richten. 

4. Krise als Entwicklungschance

Die Schweizer Psychologin und Psychotherapeutin Verena Kast legt in ihrem Krisenphasenmodell den Schwerpunkt auf das kreative Potenzial einer Krise. Die Veränderung wird anfänglich natürlich nicht willentlich herbeigeführt. Die Krise erzwingt einen Transformationsprozess, der den Einzelnen emotional, sozial und kognitiv herausfordert. Höchstleistungen auf allen Ebenen machen eine Neuausrichtung möglich. Sowohl biografisch als auch unternehmerisch kann es zum Wendepunkt kommen. Menschen, die eine Krise gut bewältigt haben, erleben ihr Leben mit größerer Intensität, Leidenschaft, Demut und Dankbarkeit. Sie gehen neue Beziehungen ein, entwickeln einen positiven Attributionsstil und gelangen häufig zu einem neuen Selbstkonzept. Auch in unternehmerischer Hinsicht ist es möglich, eine Krise derart zu managen, dass sie zum Katalysator für einen Heilungs- und Wachstumsprozess wird. Voraussetzung für eine positive Entwicklung ist das Erkennen der einzelnen Krisenphasen sowohl in unternehmerischer als auch in persönlicher Hinsicht und einer jeweils angemessenen Krisenreaktion. In emotionaler Hinsicht bedarf es der vollständigen Annahme der Krise und der Bereitschaft, sich auch mit Gefühlen der Aggression, der Enttäuschung, der Trauer, der Ohnmacht und der Verzweiflung konstruktiv auseinanderzusetzen. Die verschiedenen Krisenphasen können schöpferisch durchlaufen werden. Auf diese Weise ist es möglich, neue Perspektiven zu erlangen, Neues zu erlernen, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich selbst, die eigenen Beziehungen sowie das eigene Unternehmen neu auszurichten.

5. Menschliche Reife

Krisen gehen mit Leid und Schmerz einher. Gut bewältigtes Leid macht reifer. Menschliche Reife ist ein Gewinn. Reife Menschen, egal ob jung oder alt, können souveräner zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden. Menschen, die eine Krise erfolgreich bewältigt haben, erfahren häufig wieder einen (neuen) Sinn im Leben. Reife Menschen tun sich selbst und ihrer Umgebung gut. Im besten Falle können Sie die Perspektive des Gegenübers nachvollziehen, sie können zu eigenen Fehlern stehen, sie stellen ihre Mitmenschen nicht bloß und sie öffnen sich für externe Gesprächs- und Beratungsangebote. Sie sind vermutlich auch die besseren Führungskräfte, u.a. weil sie darüber nachdenken, wozu sie etwas tun oder unterlassen sollen. Letztendlich können sie verinnerlicht haben, was Menschlichkeit bedeutet.


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