Chronik der Cum-Ex-Geschäfte - Teil 2 der Cum-Ex-Serie

Chronik der Cum-Ex-Geschäfte - Teil 2 der Cum-Ex-Serie

Nachdem in Teil 1 der Serie rund um die “Cum-Geschäfte” erläutert wurde, was diese sind und wie sie funktionieren, thematisiert der folgende Artikel den zeitlichen Ablauf der Deals, welche Faktoren sie überhaupt erst ermöglichten und wie es sein konnte, dass diese so lange durchgeführt wurden.

Erster Cum-Ex-Fall

Bereits 1978 wurde Cum-Ex vom Bundesfinanzministerium und dem Bankenverband diskutiert; damals allerdings noch als zufällige und fehlerhafte Transaktionen. Der erste aktenkundige Cum-Ex-Fall, bei dem eine Frau die Anrechnung der Körperschaft- und Kapitalertragsteuer aus einem Cum-Ex-Deal durchsetzen wollte, trug sich bereits 1990 zu, was durch ein Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf 2016 publik wurde.

Das Cum-Ex-begünstigende Urteil

Neun Jahre später sorgte ein Urteil des Bundesfinanzhofs dafür, dass die steuergetriebenen Geschäfte erst richtig an Fahrt gewinnen konnten: Im Jahr 1999 beschloss dieser, dass das wirtschaftliche Eigentum einer börsengehandelten Aktie bereits mit Abschluss des Kaufvertrags auf den Käufer übergeht, auch wenn das Wertpapier noch gar nicht in dessen Depot vorliegt. Das bedeutet, dass es steuerrechtlich zwei Eigentümer ein und derselben Aktie geben kann. Dieses Urteil wussten sich clevere Banker und Anwälte zunutze zu machen, sodass infolgedessen vermehrt Cum-Ex-Geschäfte durchgeführt wurden.

Die Rolle Arnold Ramackers’ und des Bundesverbands deutscher Banken

2002 wandte sich der Bundesverband deutscher Banken in einem Brief an das Bundesfinanzministerium, um dieses auf die Cum-Ex-Geschäfte hinzuweisen. Die Banken erhofften sich davon eine gesetzliche Regelung zur Verringerung ihres Haftungsrisikos.

In den Folgejahren nahmen die Geschäfte jedoch immer weiter zu, was auch durch die Einstellung des Finanzrichters Arnold Ramackers im BMF begünstigt wurde. Diese erfolgte speziell für die Einbringung seines Expertenwissens in Bezug auf die Besteuerung von Kapitalerträgen und Ramackers begann 2004 als Referent in der Steuerabteilung. Als das Finanzministerium mithilfe des Jahressteuergesetzes 2007 den Versuch unternahm, Cum-Ex-Geschäfte zu unterbinden, spielte Ramackers eine wichtige Rolle. Er bewirkte, dass der Gesetzesvorschlag des Bankenverbandes, den dieser dem BMF vier Jahre zuvor ohne Aufforderung hatte zukommen lassen, wortgleich in den Gesetzesentwurf übernommen wurde. Die berechtigte Kritik von Seiten der Landesministerien NRW und Hessen schmetterte Ramackers ab. Bei späteren Versuchen, zu beweisen, dass es sich bei Cum-Ex-Geschäften um legale Transaktionen gehandelt hatte, war die vom Bankenverband wörtlich übernommene Begründung des entsprechenden Gesetzesteils von zentraler Bedeutung. Praktischerweise wurden darin ausländische Depotbanken nämlich nicht erwähnt, sodass mit der Argumentation, Cum-Ex über das Ausland sei legal, da im Gegensatz zum Inland kein explizites Verbot dafür bestehe, die Deals weitergeführt wurden. Da es dem Bankenverband gelungen war, die Risiken seiner deutschen Mitglieder zu reduzieren, interessierte ihn diese Tatsache nicht.

Kurze Zeit später lehnte Arnold Ramackers erneut einen Vorschlag zur Lösung des Cum-Ex-Problems ab, der diesmal vom CSU-Abgeordneten Georg Fahrenschon, zu dem Zeitpunkt Mitglied des Finanzausschusses, stammte. Dieser warnte in einem Fax eindringlich vor dem Risiko der über ausländische Depotbanken realisierten Cum-Ex-Deals und schlug eine Formulierung vor, die solche Geschäfte verhindern könnte. In einer fachlichen Einschätzung wies Ramackers den Vorschlag ab.

2009 wurde Ramackers pensioniert, blieb dem Bundesfinanzministerium jedoch weiterhin als geschätzter Experte erhalten. Wie sich im Nachhinein herausstellte, übernahm er für diverse Bankenverbände durch einen Handschlagvertrag besiegelt Gutachtenaufträge, während er inoffiziell nach wie vor für das BMF tätig war. Dies geschah mittels seines privaten E-Mail-Accounts, über den Ramackers gerade erdachte Strategien zur Unterbindung von Cum-Ex-Geschäften unmittelbar an Anwälte und Bankenvertreter sendete. So waren die Cum-Ex-Beteiligten den Behörden stets einen Schritt voraus und konnten sich Möglichkeiten zur Umgehung der neuen Gesetze überlegen.

Wirkungslose Maßnahmen

Ebenfalls im Jahr 2009 wandte sich ein Whistleblower an das BMF und machte es auf die fortlaufenden Cum-Ex-Geschäfte aufmerksam. Infolgedessen wurde zwar eine Verordnung erlassen, die die Machenschaften stoppen sollte, aber nahezu keine Wirkung erzielte. Darüber hinaus wurde nichts unternommen.

Nachdem auch die Befassung des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble mit der Causa Cum-Ex erfolglos blieb, stoppte erst 2011 eine Sachbearbeiterin im Bundeszentralamt für Steuern die Auszahlungen an die Cum-Ex-Beteiligten. Ab März desselben Jahres musste jeder, der sich die Steuer erstatten lassen wollte, eine sogenannte Berufsträgerbescheinigung vorlegen. Darin mussten Berufsträger (Steuerberater und Wirtschaftsprüfer) bestätigen, dass die Marktteilnehmer sich nicht abgesprochen hatten. Da viele Berufsträger diese scheinbar ohne hinreichende Prüfung oder teils wider besseren Wissens ausstellten, konnte auch diese Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg erzielen.

Steuerreform zur Beendigung von Cum-Ex

Erst eine Reform Anfang 2012 machte Cum-Ex technisch unmöglich. Diese bewirkte, dass von da an statt der Aktiengesellschaft die Depotbank die Kapitalertragsteuer ans Finanzamt abführte, wodurch nur noch Einrichtungen, die die Steuer tatsächlich entrichtet hatten, Steuerbescheinigungen ausstellen durften. Geschäfte wie Cum-Cum konnten dadurch allerdings nicht verhindert werden.

Erwin Müller und die Sarasin-Bank

Der Drogerie-Unternehmer Erwin Müller verklagte 2013 die J. Safra Sarasin Bank auf 50 Millionen Euro Schadensersatz, da diese ihn nicht hinlänglich über die Natur des von ihr vermittelten Cum-Ex-Fonds informiert hatte. Müller und sein Anwalt Eckart Seith gelangten an belastende interne Bankdokumente, deren Inhalt Seith an deutsche und Schweizer Behörden übermittelte und so mit hohem persönlichen Einsatz einen wichtigen Teil zur Aufdeckung der Cum-Ex-Machenschaften beitrug. Weitere Informationen zum Fall Seith folgen in Teil 4 der Serie. 2018 gewann Müller schließlich vor dem Oberlandesgericht Stuttgart und die Sarasin-Bank musste ihm die restlichen 45 Millionen Euro, die er bis dato noch nicht erhalten hatte, zurückzahlen.

Legalität der Cum-Ex-Deals und Insiderinformationen

Auf eine parlamentarische Anfrage hin gab die Bundesregierung bereits 2013 an, dass ihrer Ansicht nach kein Anrechnungs- oder Erstattungsanspruch bei Cum-Ex-Geschäften bestehe und das Vorgehen illegal sei.

Das erste Cum-Ex-Bußgeld wurde allerdings erst im Dezember 2015 auferlegt. Nachdem sich ein Jahr zuvor ein Insider, der sich Paul Smith nannte, erstmals an die Steuerfahndung Wuppertal gewandt und ihnen einen Datenträger mit Informationen angeboten hatte, mit deren Hilfe sich der deutsche Fiskus 700 Millionen Euro an Steuern zurückholen könne, verhandelten die Parteien zehn Monate lang. Ursprünglich forderte Smith als Gegenleistung 35 Millionen Euro, einigte sich dann aber schließlich mit den Steuerbehörden auf 5 Millionen Euro. Smith übergab ihnen letztendlich nicht nur den Datenträger, der unter anderem die Namen von 129 an Cum-Ex-Geschäften beteiligten Banken enthielt, sondern erklärte den Behörden die Modalitäten der Deals umfangreich. Als erste Bank kassierte die HypoVereinsbank ein Bußgeld wegen ihrer Cum-Ex-Beteiligung.

Beginn des Untersuchungsausschusses

2016 begann der Untersuchungsausschuss Cum-Ex des Deutschen Bundestags. Dieser endete ein Jahr später ohne gemeinsamen Abschlussbericht, da die Regierungsmehrheit aus CDU/CSU und SPD den durch die Geschäfte entstandenen Schaden kleinrechnete, während die Opposition Staatsversagen in diversen Fällen darlegte.

Steuerreform zur Beendigung von Cum-Cum

Ebenfalls im Jahr 2016 gab es eine Reform zur Investmentbesteuerung, die nach Nachbesserung seitens des Finanzausschusses nun auch Cum-Cum-Geschäfte verhindern sollte.

Erste strafrechtliche Cum-Ex-Prozesse und die Warburg Bank

2018 wurden die ersten Cum-Ex-Akteure, darunter auch der ehemalige Finanzbeamte Hanno Berger, angeklagt. Im Folgejahr startete der erste Cum-Ex-Strafrechtsprozess am Landgericht Bonn gegen zwei frühere Mitarbeiter der HypoVereinsbank, in den unter anderem auch die Hamburger Warburg Bank als sogenannte Einziehungsbeteiligte verwickelt war. Nachdem Rückforderungen an Letztere 2016 verjährt waren und eine Verjährung weiterer Steuerforderungen 2017 vom Bundesfinanzministerium durch Anweisung an die Hamburger Finanzbehörde vereitelt werden musste, wurde die Warburg Bank im Jahr 2020 dazu verurteilt, 176 Millionen Euro, die durch Cum-Ex-Geschäfte erbeutet wurden, zurückzuzahlen. Auch die beiden britischen Ex-HVB-Mitarbeiter wurden angeklagt, erhielten aufgrund ihrer umfassenden Kooperation jedoch nur milde Bewährungsstrafen.

Die Warburg Bank ging gegen das Urteil in Revision, doch es wurde im Juli 2021 vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe bestätigt. Obwohl die Bank die Forderungen in der Zwischenzeit beglichen hatte, gingen die Bank-Inhaber ebenfalls gegen dieses Urteil vor und legten im Oktober Verfassungsbeschwerde ein. Max Warburg und Christian Olearius sahen sich in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt und verlangten die Aufhebung des Urteils sowie eine Zurückverweisung an den BGH. Auch damit hatten sie keinen Erfolg, da das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde im November 2021 als unzulässig einstufte und nicht zur Entscheidung annahm.

2020 fanden zwar einige Razzien, unter anderem bei der niederländischen Bank ABN AMRO, dem Bundesverband deutscher Banken sowie der Privatbank Hauck & Aufhäuser statt. Nach dem ersten strafrechtlichen Urteil waren aber zunächst, vermutlich aufgrund von Personalmangel, keine weiteren Prozesse angedacht. Die Verjährung diverser Fälle drohte. Im Oktober folgte dann schließlich der zweite Cum-Ex-Strafprozess, der sich erneut auf die Warburg Bank, genauer gesagt einen ehemaligen Generalbevollmächtigten des Hauses, fokussierte. Der 77-Jährige wurde 2021 zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft sowie zur Rückzahlung von 100.000 € verurteilt. Auch hier kündigte die Verteidigung an, in Revision zu gehen.

Ebenfalls im Zusammenhang mit der Warburg Bank wurden im September 2020 vermehrt Anschuldigungen gegen Olaf Scholz laut, sich 2016 und 2017 in seiner damaligen Funktion als Hamburgs Oberbürgermeister mit dem Warburg-Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Olearius getroffen zu haben, wobei Scholz zunächst nur eines der drei Treffen bestätigte. Bis heute dementiert er jegliche politische Einflussnahme auf den Fall und gibt an, sich an keines der drei Gespräche genau erinnern zu können. Weitere Informationen zur Verwicklung Scholz’ in den Fall Warburg finden Sie hier.

Verlängerung der Verjährungsfrist

Im Zuge des Jahressteuergesetzes 2020 wurde im Dezember desselben Jahres den Strafverfolgungsbehörden mehr Zeit zur Ergreifung von Maßnahmen, die die Verjährung verhindern sollen, gewährt. Die relative Verjährungsfrist für Cum-Ex-Geschäfte und andere Delikte wurde von 10 auf 15 Jahre erhöht.

Forderung zur Verhinderung von Cum-Ex-ähnlichen Geschäften wird vom BMF übernommen

Der Finanzwende-Vorstand und ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick hatte zusammen mit dem Hochschulprofessor Lorenz Jarass bereits 2019 eine Änderung zur Prävention von Cum-Ex-ähnlichen Geschäften vorgeschlagen, die im Januar 2021 schließlich vom Bundesfinanzministerium übernommen wurde und bis 2024 in Kraft treten soll. Diese beinhaltet eine Ergänzung des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens um eine elektronische Meldepflicht. Die entsprechenden Meldungen sollen beim Bundeszentralamt für Steuern gesammelt werden, um Geschäfte wie Cum-Ex besser identifizieren zu können.

Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft beginnt

Im März 2021 begann der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft seine Nachforschungen zur Klärung der Verjährung von Cum-Ex-Steuerrückforderungen und damit verbundener eventueller Einflussnahme. Die Ermittlungen fokussieren sich erneut auf die Warburg Bank und ihre Beziehung zu Olaf Scholz und Peter Tschentscher. Anfang Dezember 2021 sagte die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals maßgeblich vorantreibt, als Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss aus und äußerte dabei ihr Unverständnis für das Vorgehen der Hamburger Finanzbehörden. Ihrer Ansicht nach sei bereits 2016 eine Steuerrückforderung an die Warburg Bank möglich und 2017 die Beweislage noch besser gewesen.

Gemäß BGH-Urteil ist Cum-Ex strafbar

Was vielen ohnehin bereits klar war, wurde im Juli 2021 durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs bestätigt: Cum-Ex ist sowohl illegal als auch kriminell und die Beteiligten haben keinesfalls nur eine Gesetzeslücke ausgenutzt, sondern strafbare Handlungen begangen.

Razzia bei VAB-Bankenverband

Eine der jüngsten Entwicklungen ist die kürzlich von der Staatsanwaltschaft Köln und Beamten des Landeskriminalamts durchgeführte Razzia beim “Verband der Auslandsbanken in Deutschland”. Diese galt ausdrücklich nicht dem Verband selbst, sondern sollte dazu dienen, Beweismittel gegen beschuldigte Berater und Banken zu finden. Inzwischen wird gegen über 1.000 Verdächtige ermittelt.

Kai-Uwe Gronau

Vermögensverwalter & Senior-Partner Deutsche Wertpapiertreuhand GmbH

4 Monate

Aufschlussreich

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