Corona – Renaissance der privaten Krankenversicherungen?
Ein Kommentar von Burkhard Flieth, Thomas Remmel und Ralf Scheuchl.
Selten hat in der jüngeren Geschichte ein Ereignis eine solch weltweite Bedeutung erlangt, wie die aktuelle Krise rund um die Ausbreitung des Coronavirus. Wir fragen uns: Wer ergreift die Chancen, die in jeder Krise liegen? Können das auch die privaten Krankenversicherer sein?
Wir alle kennen die Historie und werden sie als einschneidendes Ereignis immer in Erinnerung behalten:
- Im Dezember 2019/ Januar 2020 machen erste Berichte über eine rätselhafte Lungenkrankheit in der zentralchinesischen Metropole Wuhan in Europa die Runde. Vom "neuartigen" Coronavirus ist erst ab Anfang Januar die Rede, nachdem Experten den Erreger identifiziert hatten. Mitte Januar wird in China ein erster Todesfall offiziell vermeldet, in Deutschland gibt es die ersten Infektionen bei dem Gautinger Unternehmen Webasto. Ende Januar hat sich das Virus bereits in weite Teile Chinas und auch ins Ausland ausgebreitet. In Europa beobachtet man die Ereignisse vorsichtig aus der Ferne.
- Dann plötzlich überrollt uns alle die Welle. Im Februar und März steigt die Anzahl von Infizierten und Toten rapide, Ausgangsbeschränkungen und -sperren werden ausgesprochen. Die Folge sind der brach liegende Betrieb ganzer Industriebereiche mit rapide sinkenden Umsätzen, massive Stützungsmaßnahmen von Seiten des Staates, in die Höhe schnellende Kurzarbeits- und Arbeitslosenzahlen sowie Insolvenzen, Grenzschließungen und trotz leichter Besserungen in einigen Ländern wachsende Unsicherheit in allen Gesellschaftsschichten.
- Im April zeigen die Maßnahmen ihre Wirkung, die Kurve der Infizierten flacht ab, die Anzahl der Genesenen ist größer als die Anzahl der Neuinfizierten. Es werden Pläne für den Wiederanlauf aufgestellt und die Voraussetzungen dafür diskutiert und – soweit möglich – geschaffen. Schon jetzt ist klar, dass der Wiederanlauf mindestens noch den ganzen Sommer dauern wird.
Was wird – wenn sich die Wirtschaft hoffentlich bald wieder erholt hat – bleiben? Uns erscheint es so, dass die Risikosensibilität explosionsartig gestiegen ist und wir erwarten, dass sie längerfristig hoch bleiben wird. Die Menschen werden nach Sicherheit suchen und sie in Institutionen finden, die es jetzt, beim Weg zurück zur Normalität, verstehen, ihr Vertrauen zu gewinnen.
Hier gibt es eine möglicherweise einmalige Chance für Versicherer, sich neu zu positionieren. Insbesondere die Krankenversicherung kann sich aus unserer Sicht in eine exponierte Stellung bringen, wenn sie sich jetzt als Vertrauenspartner und Begleiter in dieser außergewöhnlichen Risikosituationen erweist.
Wie das aussehen kann, hat die Gothaer Krankenversicherung bei der Unterstützung der Webasto-Mitarbeiter im Januar gezeigt. Innerhalb kürzester Zeit wurde das betriebliche Gesundheitsmanagement bereitgestellt, inklusive einem zehnköpfigen Krisenteam für die Organisation und die Betreuung. Organisiert wurde die Kommunikation mit den Mitarbeitern u.a. mit einem neuen Interportal, die Schutzmaßnahmen bei Webasto und der Zugang zu Fachstellen und Ärzten bei medizinischen Fragestellungen, auch über Videotelefonie. Mitte Februar konnte der Betrieb wieder anlaufen.
Inzwischen stellen fast alle Krankenversicherer auf ihrer Webseite Informationen zu Corona bereit und haben Hotlines geschaltet. Aber nur wenige private Krankenversicherer gehen aktiv auf ihre Kunden zu. Wir fragen uns, ob das auch der Grund ist, wieso die Krankenversicherer in der aktuellen Situation nicht viel stärker als Risikobegleiter wahrgenommen werden. Warum besetzen andere Institutionen das Feld – bis hin zu einem Spielzeughersteller wie Playmobil, der Plastikmasken mit Taschentucheinsatz als Filter produziert? Jetzt wäre für die Krankenversicherer der Zeitpunkt, aktiv zu werden, Maßnahmen zu ergreifen, als Helfer in der Not aufzutreten. Wieso nicht Masken und Schutzkleidung organisieren und damit jedem Versicherten die Frage zuverlässig zu beantworten, wo er seine Schutzmaske für den täglichen Einkauf herbekommen soll? Warum nicht aktiv bei der Tracking-App mitwirken, um dann später einmal über solche Mittel Gesundheit zu belohnen? Wieso nicht jetzt als Speerspitze einer Gesundheitsbewegung die Gesundheitsdienstleister unterstützen? Warum sich nicht um die Zurverfügungstellung von automatisierten Walk-In/Drive-In-Tests bemühen oder auch um Testmöglichkeiten in den Büros und Firmen?
Chancen, sich als Treiber eines Vertrauen schaffenden Netzwerks jetzt zu positionieren, gibt es aus unserer Sicht sehr viele. Mittelfristig können damit die Interessen der Versicherten und der Versicherer konvergieren, wenn es um die Aufwendungen für Risikoprävention geht. Dieser klassische Interessenkonflikt hat durch die Corona-Krise die Chance, sich aufzulösen. Denn wenn die Risikogruppen vertrauensvoll begleitet werden, betreiben gefährdete Versicherte mehr Prävention, weniger gefährdete weniger.
Wir sind uns sicher, dass das enorm gestiegene Sicherheitsbedürfnis bedient werden wird – wenn nicht von den Versicherungen, dann von anderen und schnelleren Marktteilnehmern. Es sei denn, das große Potential der privaten Krankenversicherer wird genutzt und wir handeln gemeinsam jetzt.
Dr. Burkhard Flieth, Ralf Scheuchl und Thomas Remmel sind seit vielen Jahren in und für die Versicherungswirtschaft und die PKV tätig. In einer Diskussion über die Wirkung der Corona Krise auf die Versicherungswirtschaft und die PKV im Speziellen stellten wir gemeinsam fest, dass wir uns mehr Chancen-Wahrnehmung wünschen würden und entwickelten dazu Ideen. Wir sind sicher, dass viele Ideen schon gedacht sind, aber wir gehen weiter und sind überzeugt, dass wir den Weg in die Umsetzung gestalten können und mit unseren Kompetenzen zur Beschleunigung beitragen können. Darüber möchten wir einen Austausch in Gang bringen.