Der fromme Selbstbetrug im schweizerischen Gesundheitswesen

Wussten Sie, dass wir das Unfallversicherungsgesetz UVG mithilfe des KVG und der DRG-Fallpauschalen aushebeln, ohne uns dessen bewusst zu sein?

Nehmen wir an, Sie sind im Rahmen des KVG allgemeinversichert mit einer Zusatzversicherung für Spitalaufenthalt "Allgemein, ganze Schweiz" und sie leisten sich eine private Unfallversicherung, welche eine allfällig notwendige Spitalbehandlung während einer Auslandseise weltweit ohne Selbstbehalt gewährleistet.

Wenn Sie sich in der Schweiz behandeln lassen, sieht das ganz anders aus. Hier übernimmt Ihre Unfallversicherung nach VVG lediglich Kosten für die Hotellerie (Einzelzimmer) und allfällige Zusatzhonorare von Chef- und Leitenden Ärzten, nicht jedoch die Grundfinanzierung Ihres Spitalaufenthaltes.

Sie, und mit Ihnen Ihr Wohnortkanton, geraten in die Mühlen der DRG-Fallpauschalen für stationäre Spitalaufhenthalte nach KVG, von der Ihre Krankenversicherung 45% trägt, der Kanton - und damit Sie selbst als Steuerzahler - 55%. Und da die Krankenversicherung nicht zwischen Unfall und Krankheit unterscheidet, fallen für die Unfallversicherung gar keine Kosten an. Nehmen wir nun an, Sie haben für die Krankenversicherung eine Franchise von CHF 2'500 gewählt. Sie werden also für einen Spitalaufenthalt von wenigen Tagen mit dem Gesamtbetrag des KVG-Anteils der DRG-Pauschale zur Kasse gebeten.

Ich schreibe das, weil ich diesen Fall kürzlich selbst erlebt habe. Mit der Behandlung in einem nahe gelegenen Schweizer Spital war ich in jeder Hinsicht sehr zufrieden. Aber ich hätte theoretisch auch die Wahl gehabt, mich jenseits der Landesgrenze - in einem Umkreis von 50 Kilometern - als Privatpatient behandeln zu lassen, und hätte so weder die Krankenversicherung noch den Wohnkanton belasten müssen, vom Wegfall der Franchise ganz abgesehen.

Fazit: Das Unfallversicherungsgesetz UVG, die einzige Sozialversicherung in der Schweiz, deren Finanzierung auf echten, versicherungsmathematisch errechneten Risiko-Prämien basiert, war im oben geschilderten Fall dank der dual fixen Finanzierung von Spitalaufenthalten materiell überhaupt nicht betroffen.

Wenn die NZZ am heutigen 17.Juli 2021 auf Seite 14 titelt: "Der enorme Geldvorrat der SUVA weckt Argwohn", muss sich angesichts der systematischen Verlagerung von Behandlungskosten für Unfälle zulasten der Krankenversicherung niemand mehr wundern.

Aber wir haben das ja offenbar so gewollt. Der fromme Selbstbetrug hat hierzuland System und verschafft uns moralische Überlegenheit gegenüber anderen, sozialpolitisch weniger weit entwickelten Staaten und Gesellschaften.


Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Hans-Ulrich Iselin

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen