Das 4. Planungsbeschleunigungsgesetz - Was bringt es für die Schiene (Fokus auf NE-Infrastruktur)?
Am 20.10.2023 hat der Deutsche Bundestag das mittlerweile 4. Planungsbeschleunigungsgesetz beschlossen.
Große Hoffnungen waren daran geknüpft worden. Indes: Der ursprüngliche Gesetzesentwurf (Bundestagsdrucksache 20/6879) war in meinen Augen enttäuschend.
Viel Kosmetik, wenig Substanzielles, und in meinen Augen wenig, was außerhalb des TEN-Netzes oder von fest disponierten oder Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs des BVWP zu einer echten Verfahrensbeschleunigung bei Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahren gemäß § 18 AEG geführt hätte.
Der Verkehrsausschuss hat dann aber einen geänderten Gesetzesentwurf (Bundestagsdrucksache 20/8922) vorgelegt, und darin gibt es zum einen einen von vielen herbeigesehnten Schritt, der mit Planungsbeschleunigung zwar nichts zu tun hat, der aber für die Sicherung von Eisenbahninfrastruktur entscheidend ist. Denn es ist faktisch ein „Freistellungsverbot“ in § 23 AEG verankert worden.
§ 23 Abs. 1 AEG lautet jetzt: „Der Bahnbetriebszweck eines Grundstücks, das Betriebsanlage einer Eisenbahn ist oder auf dem sich eine Betriebsanlage einer Eisenbahn befindet, liegt im überragenden öffentlichen Interesse und dient der Aufrechterhaltung sowie der Weiterentwicklung der Eisenbahninfrastruktur im Rahmen der kurz-, mittel- oder langfristig prognostizierbaren zweckentsprechenden Nutzung.“
Die zuständige Planfeststellungsbehörde darf gemäß dem neuen § 23 Abs. 2 AEG ein Grundstück nur noch dann von Bahnbetriebszwecken freistellen, „wenn das Interesse des Antragstellers an der Freistellung das in Absatz 1 genannte, überragende öffentliche Interesse überwiegt, kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.“ Dies gilt auch für Grundstücke, auf denen sich keine Betriebsanlagen mehr befinden.
Es ist schwer vorstellbar, dass eine Planfeststellungsbehörde es künftig wagen wird, sich ohne ausführliche gute Begründung über das „überragende öffentliche Interesse“ hinwegzusetzen.
Es geht jedoch noch weiter: § 23 Abs. 2 Satz 3 AEG lautet: „Befindet sich auf dem Grundstück eine Betriebsanlage, für deren dauerhafte Betriebseinstellung eine Stilllegung nach § 11 zu erwirken ist, so kann die Freistellung von Eisenbahnbetriebszwecken erst nach Eintritt der Bestandskraft der Stilllegungsentscheidung erfolgen.“
Das hört sich für manche vielleicht nach einem Thema an, das nur eine Minderheit betrifft, doch gibt es nach wie vor Bahnhöfe, bei denen das Bahnhofsgebäude möglicherweise veräußert worden ist, die aber ein integriertes Stellwerk beinhalten. Das Stellwerk ist Teil des „Mindestzugangspakets“ nach Anlage 2 Nr. 1 lit. c i.V.m. Anlage 1 Nr. 7 ERegG und damit Teil des Schienenweges. Eine Umnutzung des Bahnhofsgebäudes zu anderen als zu bahnbetrieblichen Zwecken darf damit frühestens dann erfolgen, wenn ein Stilllegungsverfahren nach § 11 AEG sowie ein anschließendes Freistellungsverfahren abgeschlossen wurde. Ich kenne einen konkreten Fall, in dem diese Gesetzesänderung die Streckenreaktivierung für den SPNV sehr erleichtern wird.
Neu ist auch eine Nr. 3 im neuen § 23 Abs. 4 AEG (vormals § 23 Abs. 2 AEG). Danach ist auch der Bundesnetzagentur Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Monaten zu geben.
Interessant ist auch ein neuer Absatz 5 in § 23 AEG: „Mit der Freistellungsentscheidung endet die eisenbahnrechtliche Fachplanungshoheit. Das Grundstück unterliegt damit der kommunalen Planungshoheit, soweit keine vorrangige künftige Nutzung für den Betrieb von Verkehrssystemen nach dem Personenbeförderungsgesetz erfolgen soll. In diesem Fall stellt die Planfeststellungsbehörde in Abstimmung mit der hierfür zuständigen Behörde des Landes die Freistellungsentscheidung unter den Vorbehalt einer künftigen Zweckbestimmung für den öffentlichen Personenverkehr. Es findet § 28 des Personenbeförderungsgesetzes Anwendung.“
Diese Vorschrift wäre wie gemacht gewesen für die drei Jahren an einem Bürgerentscheid in Wiesbaden gescheiterte "City Bahn": Die meterspurige Mainzer Straßenbahn sollte über Wiesbaden über die Trasse der stillgelegten Aartalbahn bis nach Bad Schwalbach geführt werden.
Zukünftig ist es also möglich, Eisenbahnstrecken zu Stadt-/Straßenbahnstrecken oder zu Spurbusstrecken (oder ähnlichem) umzuwidmen.
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Daneben hat der Verkehrsausschuss des Bundestages auch noch eine möglicherweise wesentliche Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes durchgesetzt, denn ein neuer Absatz 3 Satz 2 zu § 1 BSchWAG lautet: „Im überragenden öffentlichen Interesse liegen auch folgende Vorhaben und Maßnahmen in Bezug auf die Bundesschienenwege:
1. Vorhaben zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse für den Schienenpersonennahverkehr, deren Finanzierung ganz oder teilweise mit Mitteln auf Grundlage des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes erfolgt,
2. Vorhaben, die in Anlage 4 Abschnitt 2 und Anlage 5 Abschnitt 2 des Investitionsgesetzes Kohleregionen vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1795) bezeichnet sind,
3. mehrere Schienenwegabschnitte übergreifende Maßnahmen zur Änderung, Unterhaltung, Instandsetzung und Erneuerung von Betriebsanlagen, die mindestens einen nach § 55 Absatz 1 Satz 1 des Eisenbahnregulierungsgesetzes als überlastet erklärten Schienenweg umfassen sowie
4. Maßnahmen zur Digitalisierung von Schienenwegen und Schienenknoten, priorisiert Schienenkorridoren des transeuropäischen Verkehrsnetzes, soweit das Unionsrecht eine Pflicht zur durchgehenden Ausrüstung der Schienenverkehrsinfrastruktur des Kernnetzes mit dem Europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystem vorschreibt.“
Das bedeutet, Reaktivierungen von derzeit stillgelegten Strecken der DB AG für den SPNV, die nach GVFG gefördert werden, liegen „im überragenden öffentlichen Interesse“, ebenso wie insgesamt 40 Neu- und Ausbaumaßnahmen in den Fördergebieten des Investitionsgesetzes Kohleregionen.
Was bedeutet nun die Einführung des Begriffes des „überragenden öffentlichen Interesses“? Das bedeutet, dass die Planfeststellungsbehörde (hier das EBA) das überragende öffentliche Interesse bei allen Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen hat. Im Klartext: Gemeinwohl vor Partikularinteressen.
Es scheint schwer vorstellbar, dass bei NE-Bahnen hier nicht in absehbarer Zeit eine Angleichung erfolgt, das heißt, dass auch hier das „überragende öffentliche Interesse“ bei der Reaktivierung von NE-Infrastruktur für den SPNV zukünftig Berücksichtigung finden muss.
Also: Planungsbeschleunigung gibt es tatsächlich bei bundeseigener Schieneninfrastruktur durch die Einführung des Begriffs „überragendes öffentliches Interesse“ als abwägungsrelevantes Kriterium, und Freistellungen von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG werden wesentlich erschwert.