Das BioVal-Team im Interview
Um auf die Frage nach den wichtigsten Erkenntnissen zu kommen, sage ich gerne etwas pointiert: Bio ist nicht immer besser, aber konventionell auch nicht.
Die Forscher des Modul 2:
BioVal dreht sich um die Frage "Wie können negative Auswirkungen der Produktion und des Konsums von Lebensmitteln auf die Biodiversität verringert werden?".
Die Forscher des Modul 2 - Wirkungsabschätzung Biodiversität - schauen sich insbesondere an, wie die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Biodiversität gemessen werden können. Methoden, um die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion und des -konsums auf Biodiversität produktbezogen zu messen, sind noch nicht etabliert und noch nicht vollständig entwickelt. Dies erschwert es Unternehmen, Biodiversität in die Produktentwicklung und in das Lieferant:innenmanagement zu integrieren.
Modul 2 setzt an dieser Stelle an und hat zum Ziel, die bereits bestehende Biodiversitätswirkungsabschätzungsmethode nach Lindner et al. (2019) und Lindner et al. (2021) in Zusammenarbeit mit den kooperierenden Unternehmen ( Ritter Sport , Seeberger , FRoSTA AG ) hinsichtlich der Praxistauglichkeit zu überprüfen.
Heute sprechen wir mit den Forschern Prof. Dr.-Ing. Jan Paul Lindner, Nico Mumm und Julian Quandt vom Institut für Materials Resource Management der Universität Augsburg :
Hallo ihr drei, zu erst einmal: Was hat Euch dazu inspiriert Teil des BioVal-Forschungsprojektes zu sein?
Jan Paul Lindner: "Die Wirkung industrieller Prozese und Wertschöpfungsketten auf Biodiversität zu quantifizieren, beschäftigt mich schon seit rund 15 Jahren. Die richtige Methode zu finden ist keine Aufgabe, die man mal eben im Rahmen einer einzelnen Dissertation oder eines einzelnen Forschungsprojekts erfüllt. Dafür muss man erst die Methode entwickeln, weiterentwickeln, anwendbar machen und tatsächlich in die Anwendung bringen. Man kann auch nicht einen zehn Jahre umfassenden Masterplan schreiben und dann geradlinig abarbeiten. Es braucht mehrere Forschungsprojekte nacheinander, die jeweils aufeinander aufbauen, da sich die fortgeschrittenen Probleme und Lösungsansätze erst mit der Erfahrung vorangegangener Projekte formulieren lassen.
2019 entwarfen Dr. Ulrike Eberle und ich - basierend auf unseren zum Teil gemeinsamen Vorarbeiten - ein Konzept für das, was heute das laufende Projekt BioVal ist. Im BioVal-Team haben sich drei akademische Partner:innen (ZTG - Zentrum für Technik und Gesellschaft der TU Berlin, ZNU - Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke und Universität Augsburg) und drei namhafte Unternehmen (FRoSTA, Ritter Sport und Seeberger) zusammengefunden und wird von Ulrike Eberle geleitet wird.
Für mich ist BioVal das neueste in einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema Biodiversität in der Produktnachhaltigkeitsbewertung."
Was ist das Ziel von Modul 2?
Unser Team verfolgt drei wesentliche Ziele:
- Erstens, die in Vorgängerprojekten bereits entwickelte Methodik für die Quantifizierung der Wirkungen industrieller Prozesse auf die Biodiversität einfacher anwendbar zu machen. Dazu müssen ein paar Kanten glattschleifen, etwas Feintuning betreiben und vor allem anwendungsrelevante Daten bereitstellen (anwendungsrelevante Daten bereitstellen (etwa Ergebnisse für LCA-Datenbanken wie die französische Agribalyse, Linder et al. 2022).
- Zweitens, mit einer erweiterten Methodik werden auch Wirkungen auf die marine Biodiversität erfasst. Hierzu gehörten Aktivitäten, die etwas aus Ökosystemen entnehmen (Fischfang) und solche, die etwas hinzufügen (Verschmutzung).
- Drittens, mit einer nochmals erweiterten Methodik auch Effekte zu erfassen, die räumlich weniger eindeutig zuzuordnen sind. Beispielsweise hängt die Wirkung einer Agrarfläche nicht nur vom Management der Fläche selbst ab, sondern auch von ihrem landschaftlichen Kontext.
Es ist wichtig und notwendig, diese Doppelstrategie zu fahren: Das Erreichte konsolidieren, sodass es nicht im akademischen Betrieb verbleibt, sondern draußen in der Welt hoffentlich biodiversitätsrelevante Entscheidungen unterstützt, aber gleichzeitig gilt es mit der Methodik nicht stehenzubleiben. Die nächste und übernächste Entwicklungsstufe sollten direkt in den Blick genommen werden.
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Wie können die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Biodiversität gemessen werden? Was sind bisher die wichtigsten Erkenntnisse?
Dies ist abhängig davon, was wir unter "Biodiversität" verstehen, denn der Begriff ist mehrdeutig. Mit unserer Methode "Biodiversity Value Increment" (BVI) fassen wir viele Aspekte von Biodiversität zu einem Gesamtwert zusammen.
Zurück zur Ausgangsfrage: Die Prozesse der Wertschöpfungsketten der Lebensmittelproduktion belegen Flächen, beispielsweise Agrarflächen für pflanzliche Lebensmittel und Weideflächen für die Tierhaltung (wobei häufig zugefüttert wird). Die Ökosysteme auf den belegten Flächen haben einen Biodiversitätswert, den wir mit der BVI-Methode erfassen. Der Biodiversitätswert von Flächen, die produktiv genutzt werden, liegt meist unter dem Wert, den die Flächen haben könnten. Diese Differenz (das nicht realisierte Wertpotential, wenn man so will), ist eine wesentliche Komponente der zu quantifizierenden Wirkung. Zudem kommt es darauf an, wie viel Fläche für eine gegebene Menge Produkt belegt wird; derselbe Differenzbetrag auf einer größeren Fläche bedeutet eine größere Wirkung als auf einer kleineren Fläche.
Jan Paul Lindner: "Um auf die Frage nach den wichtigsten Erkenntnissen zu kommen, sage ich gerne etwas pointiert: Bio ist nicht immer besser, aber konventionell auch nicht. Eine Fläche muss, um wenig (negative) Wirkung auf die Biodiversität zu haben, einen hohen Biodiversitätswert erreichen. Gleichzeitig ist die Wirkung pro Produkteinheit (z.B. eine Mahlzeit) auch von der Größe der belegten Fläche(n) abhängig, d.h. hohe Effizienz macht sich positiv bemerkbar. In der Tendenz kommen Flächen unter Bio-Landwirtschaft auf höhere Biodiversitätswerte, aber die konventionelle Landwirtschaft erzeugt mehr Output pro Hektar. Nimmt man beide Faktoren zusammen, hat mal die eine, mal die andere Produktionsweise auf das Produkt bezogen die kleinere Wirkung.
Das ist natürlich alles deutlich komplexer und lässt sich in einem kurzen Interview nur anschneiden. Deshalb braucht es ja auch langjährige Methodenentwicklung über mehrere Forschungsprojekte hinweg, um die Problematik angemessen zu untersuchen und die Methodik so zu entwickeln, dass sie überhaupt für derartige Abwägungen taugt."
Welche Implikationen haben die Ergebnisse für die Praxis oder zukünftige Forschung?
Für die Praxis gibt es eine Reihe von Implikationen. Nehmen wir an, ein verarbeitendes Unternehmen wird durch unsere Arbeiten in die Lage versetzt, die Biodiversitätswirkungen der Vorprodukte zu quantifizieren, die es einkauft. Dann kann die Einkaufsabteilung beispielsweise ein Lieferantenranking nach der in jeder Kategorie niedrigsten Biodiversitätswirkung aufstellen und so ein Incentive setzen, das durch die Wertschöpfungskette weitergereicht wird und schließlich an der Basis, nämlich bei der Landnutzung ankommt. Das lässt sich auf Erbsen für ein Fertiggericht anwenden, auf Kakao für Schokolade oder auf Mandeln für eine Nussmischung.
Ein weiteres Szenario ist die Identifikation von Hotspots. Nehmen wir als Beispiel eine einfache Salamipizza:
Vereinfacht brauchen wir dafür Weizen für den Teig, Tomaten als Basisschicht und Futtermittel für Schweine, aus denen die Salami gemacht wird. Zudem noch mehr Futtermittel für Milchkühe, aus deren Milch der Käse gemacht wird und schließlich Holz, denn wir wollen die Pizza am Holzfeuer backen. Die Biodiversitätswirkung der Pizza setzt sich zusammen aus den Wirkungen der Komponenten des Produkts. Wenn ich die Wirkung des Produkts minimieren möchte, sollte ich nicht planlos irgendwo beginnen, sondern systematisch herausfinden, welchen Anteil jede Komponente an der Summe der Wirkungen hat. Im nächsten Schritt kann ich für die wichtigsten Komponenten Optionen zur Reduzierung von deren Wirkung fomulieren und diese im Kontext des fertigen Produkts vergleichen. Bei einer sehr wichtigen Komponente die Wirkung mit moderatem Aufwand um 10% zu reduzieren, kann sinnvoller sein als bei einer nachrangigen Komponente mit hohem Aufwand 50% herauszuholen. Beides wäre natürlich am besten, aber die Mittel sind eben meistens beschränkt und es geht um den systematisch wirksamsten Einsatz der zur Verfügung stehenen Mittel.
Jan Paul Lindner: "Für die Forschung sehe ich Implikationen beispielsweise bei der aggregierten Quantifizierung von Biodiversität. Das Schutzgut Biodiversität ist mehrdimensional und komplex. Zwar ist es angemessen, von Leuten, die Entscheidungen mit Biodiversitätsrelevanz treffen eine bestimmte Auseinandersetzung mit dem Schutzgut zu erwarten, aber eine gewisse Vereinfachung muss die anwendungsorientierte Forschung eben doch leisten. Für die Zusammenfassung mehrere Aspekte von Biodiversität in einen handhabbaren Index gibt es aber keine objektiv richtige Formel, sondern die Methodik muss gesellschaftliche Werthaltungen abbilden. Da haben wir in BioVal zusammen mit dem ZTG schon einige Fortschritte erreicht, aber es gibt noch mehr zu tun."
Wie arbeitet ihr im Forschungsprojekt zusammen, um das Forschungsziel von BioVal zu erreichen?
Je nach Partnerinstitution; bei den Unternehmen im Konsortium fragen wir ab, welchen Erkenntnisbedarf sie in ihrem eigenen Biodiversitätsmanagement haben und welche Information sie von ihren Lieferanten bekommen können. Wir versuchen dann, die Methodik der Quantifizierung von Biodiversitätswirkungen daran auszurichten. Das ZNU geht eher breiter an das Thema Biodiversität im unternehmerischen Management heran, da ist unsere BVI-Methode nur eines von mehreren zur Verfügung stehenden Tools mit jewils eigenen Komplexitätsniveaus. Wir entwickeln sie so, dass sie kompatibel mit den anderen Tools ist, indem sie beispielsweise konsistente Ergebnisse liefert, die anderen Ansätzen nicht fundamental widersprichen. Mit dem ZTG ergründen wir die gesellschaftliche Wertschätzung von Biodiversität. Diese geht ein in die Weiterentwicklung unseres hochaggregierten Biodiversitätsindex, den wir zur Quantizierung von Wirkungen verwenden.
Herzlichen Dank an Prof. Dr.-Ing. Jan Paul Lindner, Nico Mumm und Julian Quandt für die Einblicke in Modul 2 von Bioval!
Der nächste Arbeitskreis Biodiversität findet am 15. Mai 2024 digital statt!
Was ist BioVal? Hier erfahren Sie mehr:
NATURA2000 Station Sonderaufgabe Feldhamsterschutz bei Stiftung Lebensraum Thüringen
1 JahrWoher weiß man wie divers eine Fläche einmal war? Was nimmt man als Ausgangszustand bzw. als Referenz? Welche Wirtschaftsweise erhält die meiste Biodiversität, Klima usw.? Welches Lebensmittel wäre für die Biodiversität in Deutschland am besten? Gibt es darauf schon Antworten oder Tendenzen?
Tolles Projekt! Wir freuen uns, die Expertise von Nico Mumm und Julian Quandt auch bei uns im Team zu haben und so auch wissenschaftlich fundiert zu den Auswirkungen auf Biodiversität beraten zu können.