Das Digitalisierungsministerium muss mehr als nur ein Klingelschild an der Staatskanzlei sein.
Meine Landtagsrede zur Regierungserklärung der Digitalministerin:
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Frau Prof. Dr. Sinemus, ich möchte eigentlich gern sagen: Gut, dass es Sie gibt. – Dass es Sie gibt, hängt nämlich zu einem nicht unbeachtlichen Teil damit zusammen, dass es seinerzeit Christian Lindner gelungen ist, die Notwendigkeit eines Digitalministeriums und den digitalen Sanierungsstau auf die politische Agenda zu setzen. Sie mögen deshalb das politische Ziehkind von Volker Bouffier sein – in Wirklichkeit sind Sie die politische Enkelin von Christian Lindner.
Also, Frau Ministerin, machen Sie etwas daraus.
Also, Frau Ministerin, machen Sie mehr daraus.
Sie sind aber auch das unausgesprochene Eingeständnis, dass bisher in Hessen nicht alles gut war. Vor diesem Hintergrund ist es sehr bedauerlich, dass Sie bei Ihrem Amtsantritt auf eine kritische Ist-Analyse verzichtet haben. Im Gegenteil, diese Landesregierung, auch Sie heute wieder, lobt sich weiter unverfroren selbst.
Selbstlob Beispiel Nummer eins. Sie loben immer die Mobilfunknetzabdeckung von 98,99%. Das ist aber Statistikmüll, weil es sich um eine Haushaltsabdeckung handelt, nicht um eine Flächenabdeckung. Jeder, der mit dem Auto oder mit der Bahn durch Hessen fährt, weiß: Hessen ist ein Land der Funklöcher. – Diese letzten Funklöcher, von denen Sie heute in Ihrer Rede wieder gesprochen haben und von denen auch in den Zeitungen zu lesen ist, diese letzten Funklöcher sind halt ziemlich viele. Wie soll eigentlich ein Land, das es bisher nicht vermocht hat, 4G erfolgreich auszurollen, 5G in der Fläche realisieren? Dazu brauchen wir Mobilfunkmasten mit einem Abstand von 1 km. Davon sind wir sehr weit weg.
Frau Ministerin, solange Sie noch jeden Mast einzeln einweihen können, haben wir und bauen wir deutlich zu wenige in diesem Land. Die 1.000 Masten, die Sie bauen wollen, werden übrigens in China in zwei Tagen geschafft.
Ich komme zum Selbstlob Nummer zwei. Hessen lobt sich für die 90-%-Abdeckung mit mindestens 50 MBit/s. Während in den Städten bei über 90 % der Anschlüsse der Wert von 50 MBit/s überschritten wird, sind es im ländlichen Raum gerade noch 40 % der Anschlüsse. Das Hauptproblem aber ist, dass 50 MBit/s eigentlich die Vergangenheit darstellen. Ja, beim schnellen Kupfer sind wir besonders gut. Bei den deutlich schnelleren Glasfaseranschlüssen sind wir in Hessen aber besonders schlecht.
Hessen lobt sich also für die Technik der Vergangenheit.
Ich komme nun zum Selbstlob Nummer drei. Jürgen Lenders und ich gehören wahrscheinlich zu den bestgelaunten Menschen dieses Hauses. Jürgen Lenders und ich, wir hatten im letzten Wahlkampf eine unausgesprochene Gemeinsamkeit. Ich hatte den Slogan gewählt: Silicon Offenbach. Er hat den Slogan gewählt – das ist nun wirklich optimistisch – : Silicon Fulda. Für uns war das eine Zukunftsvision. Frau Ministerin, Sie behaupten, wir wären schon das Silicon Valley Europas. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nicht optimistisch. Dass Sie das behaupten, ist schlichtweg abwegig. Das zeigt, dass Sie Fantasiegebilden eine Überschrift geben. Es ist wie im wahren Leben: Wer sich ständig selbst belügt, wird nicht die Kraft finden, sich zu ändern. Wir sollten aber Hessen verändern, statt es immer nur schönzureden.
Wir sollten einmal ehrlich sein und uns die digitalpolitischen Fundamentaldaten Hessens anschauen und im internationalen Vergleich betrachten. Dann sehen wir, dass wir nicht nur nicht gut, sondern sogar richtig schlecht sind. Zwar gibt es mittlerweile eine Digitalministerin, aber sie hat zu wenige Aufgaben, zu wenig Einfluss und produziert daher nur wohlfeile Überschriften statt Ergebnisse. Dass es die Landesregierung mit der Digitalisierung nicht wirklich ernst meint, sieht man schon an ihrem Papierverbrauch. Wie kann sich eine Landesregierung fortschrittlich nennen, die jährlich 1.800 t Papier verbraucht? Das ist ein Papierstapel entlang der A 66, der von Wiesbaden Stadtmitte bis Frankfurt Stadtmitte reicht. Diese Zahlen sind für das Digitalisierungsdefizit dieses Landes symptomatisch. Mit flotter Feder wurde dies damals durch eine Anfrage der FDP-Fraktion enttarnt, aus deren Beantwortung diese Zahlen stammen. Nun haben wir es tatsächlich regierungsamtlich:
Hessen ist ein schwarz-grüner Papiertiger.
Das ist im Übrigen auch eine Mentalitätsfrage. Während die Fraktion der Freien Demokraten weitgehend papierlos arbeitet, werden für schwarze und grüne Fraktionssitzungen weiterhin Wälder gerodet.
Bei der Umstellung bei uns gab es zunächst auch Bedenken. Das bedeutet für uns manchmal immer noch Umgewöhnung. Aber wir sagen: Digital first. Bedenken second.
Wenn wir Freie Demokraten die Digitalisierungsministerin oder den Digitalisierungsminister stellen würden, würden wir an fünf Stellschrauben ansetzen.
- Wir würden anders nach dem Motto ansetzen: Digital first.
- Wir würden ein echtes Digitalisierungsministerium schaffen, in dem die Referate für Digitalisierung unter einem Dach gebündelt wären.
- Wir würden die Hessische Zentrale für Datenverarbeitung, die HZD, mit ihren 900 Mitarbeitern als die operative Leitstelle der Digitalisierung in das Digitalisierungsministerium umsetzen.
- Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes und des Projekts „Digitale Modellbehörde“ würden wir in die Verantwortung des Digitalministeriums übergeben.
- Dort würden gemeinsam mit dem Innenministerium zeitgemäße Besoldungsstrukturen entwickelt. Sie wären an die moderne digitale Welt angepasst.
Frau Ministerin, ja, Sie haben eben gesagt, Digitalisierung habe jetzt eine Adresse. Aber das Digitalisierungsministerium muss mehr als nur ein Klingelschild an der Staatskanzlei sein. Digital first.
Wir wollen an die digitale Infrastruktur neu herangehen. Die Landesregierung verspricht da viel, stellt dafür aber weder ausreichend Mittel zur Verfügung, noch hat sie eine Strategie. Frau Sinemus sprach eben von 1.387 Masten in einem Jahr. Das sind also drei an einem Tag. Das ist übrigens genau die Anzahl, die im Entwurf des Haushalts 2020 geschrieben steht, aber nicht pro Tag, sondern für das Jahr. Das ist also ehrlich der Beitrag des Landes. Frau Ministerin, das ergibt sich, wenn man einmal das Lametta von Ihren Zahlen entfernt.
Wir Freie Demokraten wollen deshalb weitere Erleichterungen für Mobilfunkgenehmigungen.
Einen Schritt wollen Sie jetzt mit der Reform der Hessischen Bauordnung gehen, auch wenn wir Masten mit bis zu 20 m von der Genehmigung freistellen würden. Wir brauchen weitere Verbesserungen:
- Naturschutzrechtliche Genehmigungsverfahren müssen vereinfacht werden.
- Es muss elektronische Antragsverfahren mit Musterunterlagensatz geben.
- Es muss Voreinstellungen geben.
Machen wir Hessen wirklich zum Vorranggebiet für Mobilfunk.
Der Flaschenhals für echtes Breitband ist der Investitionsunwille der Haushalte und der kleinen und mittleren Unternehmen. Um schnell breitflächig zu Gigabitanschlüssen zu kommen, um international wettbewerbsfähig zu werden, schlagen wir ein Vouchersystem vor, mit dem Eigentümer von Wohnungen bei Tiefbaumaßnahmen unterstützt werden.
Aber schnelles Internet ist nicht alles. Nach schottischem Vorbild sollten wir in ein LoRaWAN investieren. Wir sollten die Voraussetzungen für ein Internet der Dinge schaffen. Lassen Sie uns mit einem Flächennetzwerk Vorreiter in Deutschland werden. Machen wir das Internet of Things zu einem hessischen Alleinstellungsmerkmal. Digital first.
Denken wir schon an morgen. Alle reden über 5G. Bei 5G werden die Kapazitäten wahrscheinlich im Jahr 2030 schon erschöpft sein. Machen wir Hessen bei 6G führend. 6G wird die nächste Stufe des Mobilfunks sein. Es wird wahrscheinlich 50- bis 100-mal schneller sein. Vor allem wird es Innovationen hervorbringen, von denen wir noch gar keine Vorstellungen haben. Schon jetzt sprechen Forscher von der totalen Vernetzung, von einem neuen Level der Konnexität, dem Internet of Everything. Da geht es um kabellose Geräte und um ein Netzwerk mit einem sechsten Sinn. In Finnland gibt es dazu bereits an der University of Oulu ein Programm, das mit mehr als 300 Millionen € ausgestattet ist, um die Ideen zu erzeugen, von denen ich gerade gesprochen habe. Wir sollten in Hessen ein Schwerpunktprogramm, einen echten Forschungsschwerpunkt für 6G schaffen. Auch da gilt wieder: Digital first.
Wir wollen den klassischen Finanzstandort Hessen hinsichtlich der Finanztechnologie aus dem Schatten von Berlin, Hamburg und München holen. Die Berliner Fintech konnte in den letzten zwei Jahren 900 Millionen € an Kapital einwerben. Nach Frankfurt flossen gerade einmal 36 Millionen €. Wir müssen mehr beim Thema Wachstumsfinanzierung tun. Die Deutsche Börse hat mit dem Venture Network und dem Wachstumssegment Scale ein Ökosystem für Wachstum geschaffen. Ohne die Entwicklung des Kapitalmarkts, wie es beispielsweise durch kapitalbasierte Altersvorsorge oder die Vermittlung von Finanzwissen in unseren Schulen passiert, können die Plattformen ihr Potenzial nicht entwickeln.
Auch unsere Schulen müssen endlich in der Zukunft ankommen. Sie bleiben aber digital abgehängt. Unser Kultusminister betont immer – das ist auch nicht falsch –, entscheidend blieben die Köpfe, nicht die Computer. Das ist aber eine Binsenweisheit. Geldbeutel und Bildungsaffinität der Eltern entscheiden zu oft, ob man in der digitalen Welt mithalten kann, ob man mehr kann, als nur sein Smartphone zu bedienen.
Digitalisierung kann die Individualisierung des Lernens unterstützen. Künstliche Intelligenz und moderne Analysemethoden können helfen, den einzelnen Schüler nach seinen Möglichkeiten zu fördern. Wir schaffen es aber nicht einmal, den Schulen eine vernünftige Schul-Cloud zur Verfügung zu stellen. Hier muss sich viel ändern, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Programmieren wird immer häufiger zur wichtigsten Fremdsprache des 21. Jahrhunderts. Während Coding im Lebenslauf immer wichtiger für eine vielversprechende Karriere wird, finden sich Java & Co. noch immer nicht in unserem Curriculum. Auch das muss sich ändern und Teil einer Digitalisierungsinitiative werden. Digital first.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß, unser Satz „Digital first. Bedenken second“ gefällt nicht jedem. Aber „Digital first. Bedenken second“ heißt ja nicht, dass man nicht auch einmal berechtigte Bedenken haben könnte. Aber im Zweifel entscheiden wir Freie Demokraten uns eben für die Chancen und nicht für die Zweifel und Bedenken. Das ist der Unterschied, der uns, so glaube ich, ein Stück weit ausmacht.
Frau Sinemus, Sie haben ein Institut in die Wege geleitet, dem leider gerade seine Leiterin abhandengekommen ist. Ich habe überhaupt nichts gegen dieses Institut. Aber der etwas unbestimmte, der etwas kryptische Auftrag des Instituts zeigt, dass diese Landesregierung eine Ministerin für digitale Strategie, aber keine digitale Strategie hat, und das ist ein Problem.
Unsere Erklärung, welche Punkte wir anschieben würden, wenn wir regieren würden, habe ich versucht eben dem entgegenzuhalten. Ein großer hessischer Sozialdemokrat, Thorsten Schäfer-Gümbel, hat Frau Sinemus seinerzeit – es wurde schon zitiert – als gute Wahl, als „Lichtblick“ bezeichnet. Wenn das ein Sozialdemokrat sagt, muss es ja auch stimmen. Wir Freie Demokraten hoffen, dass Thorsten Schäfer-Gümbel recht behält, doch dann muss mehr kommen als nur schöne Überschriften, Masteinweihungen und WLAN-Partys an der Digitalen Dorflinde.
Liebe Frau Sinemus, in Ihrem ersten Jahr hat es etwas geruckelt, in Ihrem ersten Jahr hat es etwas gerumpelt. Ja, Ihre Regierungserklärung hat unsere Bedenken auch eher bestärkt als entkräftet. Aber wir wollen den Erfolg dieser Ministerin, wir wollen Ihren Erfolg, Frau Ministerin; denn bei der Digitalisierung geht es um so viel mehr als um kleines parteipolitisches Karo: Es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Standortes, es geht um unser Land.
In diesem Sinne: Glück auf, Frau Sinemus!
Regionalleiter Nord (Prokurist) Kommunales Partnermanagement bei Westenergie
4 JahreImmer weiter Druck machen auf die Truppe!
Enabling institutions to unlock blockchain.
4 JahreGefällt mir gut. Dann hoffen wir mal, dass die Rede auf offene Ohren gestoßen ist.