Das Image-Problem.
Rainer Hoffer, Gastronom, Autor, Blogger.

Das Image-Problem.

Wir sind nicht eine Branche, wir sind eine tragende Säulen unserer Gesellschaft, unserer Kultur. Wir haben nicht das beste Image. Offen gefragt: welche Branche hat denn heute ein "gutes Image"? Politiker? Lehrer? Ärzte? Banken? Journalisten? Alle müssen mit Vorurteilen kämpfen. Zumindest fällt mir spontan keine Branche ein, die sich nicht um ihr Image sorgt.

Wir sind eine Branche, in der die Unternehmen zum Grossteil aus ethischen Motiven und aus Enthusiasmus geführt werden. Wir sind nur selten primär Cash-Flow getrieben. Den täglichen Blick auf den Aktienkurs als Massstab für Unternehmenserfolg kennen drei globale Systemgastronomen und eine Handvoll Hotelketten.

Allerdings fehlen uns auch die finanziellen Mittel für aufwendige Image-Kampagnen mit blauem Himmel und gutaussehenden glücklichen Eltern. Wir stellen Familie lieber direkt, vor Ort, im persönlichen Kontakt zufrieden.

Ich behaupte: die Wirte, Gastronomen, Betriebsleiter und Mitarbeiter haben auch andere Interessen: Nachhaltigkeit, regionale Landwirtschaft, Frische, Liebe zum Produkt, Handwerkskunst, Gastfreundschaft.

Die Tradition des gemeinsamen Essens gibt es, seit dem es den Homo sapiens gibt. Das gemeinsame Essen am Feuer, die Festmahle am französischen Köngishof, die Tapas in Spanien und die Burger bei McDonald's. Das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit ist unseren Genen verankert.

Die Restaurants und Bars sind essenziell für uns alle, sie sind die Basis für Kommunikation und echte Wertschätzung. Gegenüber Gästen, Lieferanten und der Geschichte aller Nationen.

Und nein, heute geht es nicht um die eines der vielen Probleme der Gastronomie. Denn seit zwei, drei Generationen wird die öffentliche Wahrnehmung stark von negativen Stories beeinflusst. In einer Mischung aus kritischer Fakten, Schreckensmeldungen und Horror-Szenarien wird eine ganze Branche ins schlechte Licht gerückt. Schuld sind einige wenige schwarze Schafe. Doch damit genug für heute.

Heute wollen wir ein Loblieb anstimmen. Für eine Branche, die Menschen, Dörfer, Städte, Kontinente und Kulturen vereint. Für eine Branche, die generationsübergreifend Familien zusammenbringt. Für eine Branche, in der seit jeher Alter, Herkunft oder Geschlecht keine Rolle spielen.

Und ein Loblied auf die, die das alles erst möglich machen. Die Gastronomen und ihre Teams.

Ja, für mich ist die Gastronomie die schönste Branche der Welt. Wer gerne Menschen um sich hat, wer gerne gesellig und extrovertiert kommuniziert, der ist hier goldrichtig!

Und gleichzeitig, und das ist kein Widerspruch, bietet die Branche für alle Vorlieben den idealen Arbeitsplatz. Vom "Showman" Kellner bis zum gewissenhaften Buchhalter, vom stets hilfsbereiten Receptionisten bis zur handwerklich geschickten und kreativen Köchin.

Und das ist nur eine bescheidene Auswahl.

New York, London, Paris, München. Las Vegas, Sidney, Wien oder Dubai. Es gibt keine Branche, die global derart spannende Arbeitsplätze anbieten kann. Ob der Aufbau neuer Quick-Casual-Konzepte, ob die Entwicklung neuer Marken, ob klassische Gastronomie und modern-verrückt-kreative Spitzenköche. Für die Karriere eines einzelnen Menschen sind die Möglichkeiten shier unendlich.

Ja, es soll heute um Vorteile statt Vorurteile gehen. Etwa die angeblich schlechten Löhne. Klar, hochgradig standardisierte Fast-Food-Konzepte werden immer nur knapp über Mindestlohn zahlen. Zu austauschbar ist der einzelne Mitarbeiter. Eine solide Fachausbildung wäre schon eine Überqualifikation.

Sobald der System-Pfad verlassen wird, schiessen die Löhne in die Höhe. Die Verhandlungsmacht der Mitarbeiter ist in Zeiten des Fachkräftemangels gross. Fakt es: es gibt eine Reihe von renommierte und neuen Anbietern am Arbeitsmarkt, die sehr gute Löhne zahlen.

Oft noch verbunden mit diverses "Goodies", von der Übernahme des Handy-Abos bis zur Bezahlung von Weiterbildung. Ein Blick in die aktuellen Job-Inserate beweist das.

Wie in vielen Branchen, ist der Einstiegslohn überschaubar. Mit steigender Erfahrung und berufsbegleitend absolvierter Ausbildung macht sich der zunehmende Erfahrungschatz, die steigende Lernkurve, im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt.

Es ist schlicht ein Märchen, dass der nine-to-five-Job der Regelfall in unserer Spezies war. Wahr ist vielmehr, dass die Mehrheit der Menschen zu anderen Zeiten arbeitet. Ob öffentlicher Verkehr, Gesundheit oder der Tourismus als ganze. Weder ist nine-to-five der Regelfall, noch ist es erstrebenswert!

Wie herrlich ist es, am Montag morgen seine Termine erledigen zu können! An einem heissen Sommertag um 15 Uhr in die Badi zu gehen. Oder im Winter um 15 Uhr eine Runde Ski zu fahren...

Langeweile, Routine, stundenlange Meetings, Tonnen von xls-Tabellen oder Powerpoint-Schlachten werden Sie in der Gastronomie nicht finden. Die Vielseitigkeit in der täglichen Arbeitsgestaltung ist ebenso gross wie der Anspruch, mit Sonderwünschen und Reklamationen umzugehen. Der Kontakt mit den unterschiedlichsten Gruppen und Individuen unserer Spezies ist spannend, inspririerend und herausfordern gleichermasen.

Der Team-Spirit ist einzigartig. Zusammen schwierige Aufgaben zu meistern, dabei immer neue Abläufe zu finden, gemeinsam Lösung zu entwickeln: nichts schweisst ein Team mehr zusammen. Es ergeben sich Freundschaften, machen reden gar von einer "grossen Familie". Ein niemals endender Team-Event.

Ob feudale Innenstadt-Lage oder Ski-Hotel, ob Wolkenkratzer oder Strand. Viele Betriebe liegen an wahrhaft traumhaften, einzigartigen Lagen.

Ein Job in der Gastronomie kann also gar kein Beruf sein, sondern ist immer Berufung. Wer gerne auf Hochtouren arbeitet - und nach dem Arbeiten auch körperlich erschöpft ist - der ist hier goldrichtig.

Trotz allem ist die Gastronomie in Verruf geraten.

Einen Mangel an Bars und Restaurants will ich mir nicht vorstellen. Die Tradition, sich mit Freunden und Familie zum gemeinsamen Essen zu treffen, darf und wird nicht aussterben. Ein Zürcher ohne seine Egli-Knusperli? Ein Bayer ohne seinen Biergarten? Ein Franzose ohne seinen Pastis? Ein Italiener oder seinen morgentlichen Espresso an der Bar? Nicht vorstellbar.

Wir müssen und werden die Gastronomie am Leben halten. Sonst stirbt ein Teil unserer Kultur. Die Zeiten für ein Umdenken sind gut. Die Branche ist gut aufgestellt, handlungsfähig und agil. Die Wahl von Beat Imhof zum neuen Präsidenten von GastroSuisse ist ein gutes Zeichen für Aufbruch und Neustart. Die Weiterbildungsangebote von Weiterbildung Gastrosuisse , von Hotel & Gastro formation Schweiz und von der Hotel & Gastro Union - Die Arbeitnehmerorganisation sind markterprobt und anerkannt.

Stichwort Verbände: die Zusammenarbeit klappt (von aktuellen Streitigkeiten über die Verlängerung - oder Neuverhandlung? - des LGAV abgesehen.

International geniessen die Schweizer Gastronomie einen hervorragenden Ruf. Zusammen mit Österreich besetzen beide Länder international renommierte Posten von Hoteldirektoren und Küchenchefs.

Wir Gastronomen hier vor Ort müssen, können und wollen jeden Tag überzeugen. Durch solide Qualität in Dienstleistung und Kulinarik. Durch Charme, Witz und Ernährungskompetenz. Durch den offenen und konstruktiven Dialog - mit Gästen, Mitarbeitern, Lieferanten und Mitbewerbern.

Oder durch das Verbreiten von Optimismus (wie durch das Schreiben einer Kolumne, nur als Beispiel.)



Reto Mettler

Als Visionär denke ich unkonventionell und setze Ideen um. Ich bin Gastronomie-Experte und Führungskraft aus Leidenschaft. Ich brenne um alles auf der Welt für Food & Design.

4 Monate

Lieber Rainer 1A, auf den Punkt :-)

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