„de mortuis nihil nisi bene“
Diözese Rottenburg-Stuttgart: Bischofsgruft in der Sülchenkirche Rottenburg, Bild: k-punkt-rottenburg.de

„de mortuis nihil nisi bene“

Was tun, wenn moralische Autoritäten unmoralisch gehandelt haben

Über Tote redet man nicht schlecht – so die Übersetzung des lateinischen Spruchs „de mortuis nihil nisi bene“.

Eine überkommene moralische Richtlinie oder gern gebrauchter Usus, um sich über seine eigene Beziehung zu Verstorbenen keine Gedanken machen zu müssen? Der 100. Geburtstag des ehemaligen Rottenburger Bischof Georg Moser stellt diese Frage. In zwei großen Veranstaltungen in Rottenburg und in Leutkirch, der Geburtsstadt Moser, wurde ihm gedacht. Und die Lobeshymnen waren weit hinaus im Land deutlich hörbar.

Es stimmt – im persönlichen Umgang war Moser leutselig und bei den Menschen, kein abgehobener Bischof, sondern ein Mann, der aus dem Volk kam und sich dessen immer bewusst blieb. Ein Mensch, der aus dem Erleben seiner eigenen körperlichen Schwachheit sich intensiv mit dem Jenseitigen beschäftigte (Die Botschaft von der Vollendung, 1963)

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Darf man über diesen besonderen Menschen auch Dinge schreiben, die nicht so in das Bild passen, die eine andere Seite aufzeigen? „Dass ein Mensch nicht mehr lebt, kann nicht automatisch dazu zwingen, die Wahrheit zu verdrehen. Nur, es ist oft nicht mehr nötig, sie auszusprechen. Was gleichzeitig auch der Tatsache Rechnung trägt, dass der Tote sich nicht wehren kann.“ so argumentiert Dr. Dr. Rainer Erlinger im SZ-Magazin aus dem Jahr 2010.      

Oliver Schmid, Gründer von Gedenkseiten.de, beschäftigt sich auch mit dem Thema und kommt zu dieser Überlegung: „Manche verstorbenen Menschen haben ihren Mitmenschen vielleicht großes Leid zugefügt – und das soll jetzt verschämt verschwiegen werden? Wozu das jetzt noch alles aufwühlen, sagen dann viele Menschen. Nun ist es ja vorbei, lass die Sache ruhen, ist doch für alle das Beste. Menschen, die womöglich unter dem Verstorbenen gelitten haben, brauchen vielleicht das Aussprechen der Wahrheit, damit ihre Wunden heilen können. Wenn in einer Familie Themen zu Tode geschwiegen werden, weil sie aus Pietät und Scham nicht angepackt werden, so bürdet man den Opfern eine zu große Last auf. Wenn sie nie gehört werden, wenn sie nie die Wahrheit sagen dürfen und ihr Leiden wahrgenommen wird, so können sie vielleicht nie wirklich genesen. Wenn zum Beispiel misshandelte Kinder endlich eine Stimme bekommen, kann das für ihre psychische und emotionale Gesundheit ungeheuer wichtig sein. Denn es ist auch wichtig, dass man – wenn auch im Nachhinein – Gerechtigkeit erfährt und spürt, dass auch die Lebenden wichtig sind; wichtiger als eine Konvention, die nicht immer angemessen ist.“

Dieses Nachdenken hat einen Menschen im Blick - bei Bischof Moser in seinem Umgang mit Sexuellem Missbrauch in der Diözese kommt ein anderer Aspekt ins Spiel. Obwohl man es sicher nicht richtig trennen kann: er hatte als Bischof, als gewählter Monarch, als Hirte einer großen Schar von Gläubigen Verantwortung und er hat nicht so gehandelt, wie er hätte handeln müssen. Nicht gesprochen aus der Sicht des Besserwissenden, sondern aus der einfachen Überlegung, dass sich Verbrecher ihren Verbrechen nicht stellen mussten. Moser als Bischof (so wie auch Bischof Leiprecht) war Vertuscher und handelte grob fahrlässig, weil er Täter in Gemeinden ließ oder sie ins Ausland abschob, bis Gras über die Sache gewachsen war (Wilfried Metzler, Pfarrer in Ludwigsburg).

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Die Wahrheit sagen, das Leiden wahrnehmen, Gerechtigkeit erfahren, endlich eine Stimme bekommen – das brauchen die Betroffenen, gerade aus der Zeit Bischof Mosers.  

Der Diözesanrat in der Diözese Rottenburg, ein Gremium, das mit Laien und Priestern besetzt ist, hat im November 2019 im Bezug auf die Verwendung von Kirchensteuermitteln für die „Anerkennung des Leids“ von Betroffenen beschlossen: „Für das kollektive Versagen der Bischöfe und ihrer leitenden Mitarbeiter dürfen nicht die Gläubigen als Solidargemeinschaft in Haftung genommen werden. Vielmehr müssen noch lebende Täter sowie verantwortliche Bischöfe und deren leitende Mitarbeiter zur Verantwortung gezogen werden.“

Der Jahresbericht 2022 der Aufarbeitungskommission in der Diözese Rottenburg-Stuttgart wurde den Diözesanrät:innen mit seinem Erscheinen persönlich zugesandt. Der Geschäftsführende Ausschuss hat sich damit beschäftigt. Eine öffentliche Stellungnahme ist bisher ausgeblieben. Warum? Folgt der Diözesanrat der Konvention „de mortuis nihil nisi bene“? Das wäre für alle Beteiligten sehr deprimierend.

Die Katholik:innen der Diözese dürfen vom Diözesanrat erwarten, dass er auch klare Kante dem Versagen der Bischöfe der eigenen Diözese gegenüber zeigt.

Alles andere wäre pure Heuchelei.

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