„Der Boom des Kunstmarkts könnte durchaus noch zehn Jahre anhalten “

„Der Boom des Kunstmarkts könnte durchaus noch zehn Jahre anhalten “

Interview mit Gilles Dyan, Gründer und CEO, Opera Gallery

Von Karine Beyersdorf-Zimeray

Gilles Dyan, der Gründer von Opera Gallery, die unter anderem einen Standort in Genf hat, setzt sowohl etablierte als auch junge Kunstschaffende in Szene. Als entschieden zukunftsorientierter Unternehmer beobachtet er mit grossem Interesse die glänzenden Perspektiven, die die Blockchain dank Tokenisierung und NFTs eröffnet. Er ist der Meinung, dass der Kunstmarkt trotz seiner jetzt schon hohen Dynamik noch lange nicht sein gesamtes Potenzial an den Tag gelegt hat.

Was ist Ihrer Sicht zurzeit die tonangebende Dynamik auf dem Kunstmarkt?

Gilles Dyan: Der Markt hat sich zu einem Weltmarkt mit Künstlern und Sammlern in allen wichtigen Wirtschaftsräumen entwickelt. Opera Gallery möchte übrigens Teil dieser Entwicklung sein und überall dort präsent sein, wo sich Innovation und künstlerische Kreativität ausdrücken. Unser weltweiter Umsatz spiegelt diese internationale Dynamik wider: 35% unserer Einnahmen werden in den USA erwirtschaftet, 30% in Europa, 25% in Asien und 10% im Nahen Osten. Im Moment wachsen wir überall ausser in Hongkong, was natürlich geopolitische Gründe hat.

Welche Strategie verfolgen Sie auf diesem weltweiten Markt?

Opera Gallery ist sowohl auf dem Primärmarkt aktiv, auf dem sich junge Künstler präsentieren, als auch auf dem Sekundärmarkt, dem Markt für etablierte Künstler, deren Werke sich schon verkaufen. 85% des Umsatzes wird auf dem Sekundärmarkt erzielt: Die Preise der Kunstwerke, die unsere Sammler dort kaufen, gehen für von 300’000 bis 5 Millionen Dollar über den Ladentisch.

Ist Kunst ein gutes Investment?

Kunst ist sogar ein exzellentes Investment, wie die aktuelle Dynamik des Marktes zeigt.

Der globale Kunstmarkt wird zurzeit auf 65 Milliarden Dollar geschätzt, wenn man den Zahlen von Art Tactic Glauben schenken darf. Dieser Markt hat sich zu einer eigenständigen Anlageklasse entwickelt. Ausserdem stösst er bei vielen Family Offices auf wachsendes Interesse, denn er bietet deren «Ultra-high-net-worth»-Kunden die Möglichkeit, einen grossen Teil ihres Vermögens anzulegen.

Während der Krise von 2008 war der Markt ein paar Monate lang zusammengebrochen, aber die Erholung folgte sehr schnell, im Jahr 2010 war sie schon da. Der Kunstmarkt reagierte also schneller als die weltweiten Börsen!

Beobachten Sie eine Finanzialisierung der Kunstwelt?

Ja, und man sieht deutlich, dass sie gerade erst beginnt. Sie wird diesem Markt sehr guttun. Ich bin beeindruckt davon, was man dank der Blockchain und dem digitalen Token, einer ihrer Schlüsselanwendungen, alles machen kann. Beispielsweise könnten immer bedeutendere Kunstwerke, z.B. bekannte Gemälde von Picasso oder Matisse, die auf Dutzende Millionen Dollar geschätzt werden, in Zehntel- oder Tausendstel-Anteile gestückelt werden. Dies wird diese Welt mehr Menschen zugänglich machen, und das Potenzial des Kunstmarkts wird durch diese neuen Kundenkreise noch weiter steigen. Ich wette, dass diese digitalen Tokens in fünf Jahren schon einen Marktanteil von ungefähr 15% haben werden.

Was raten Sie Kunden, die ihre Sammlung vergrössern wollen?

Das hängt immer vom Profil meiner Kunden ab. Die jüngsten, meistens Tech-Unternehmen in den Dreissigern, haben eine geringe Risikoaversion und einen Sinn für aktuelle Trends, aufstrebende Talente und neuartige Werke. Für sie kann der Markt für zeitgenössische Kunst wegen seiner Dynamik und Vielfalt attraktiver sein. Für konservativere Kunden ist eher ein Ansatz angebracht, der auf die Vermögensanlage in bedeutenden Künstlern des Impressionismus, der modernen Kunst oder der Pop Art abzielt. Ihnen würde ich daher z.B. Kunstwerke von z.B. Picasso, Chagall, Dubuffet oder Miró empfehlen, die anerkannte, bleibende Werte darstellen.

Welches Profil haben Ihre Käufer?

Die Sammler, mit denen wir zusammenarbeiten, sind ganz unterschiedlich und zwischen 30 und über 80 Jahre alt! Es gibt viele junge Käufer, die im Technologiesektor reich geworden sind und sich für Kunst interessieren, und langjährige Sammler, also eher klassische Profile.

Welchen Stellenwert haben Galerien heutzutage im Wettbewerb mit immer mächtiger werdenden Auktionshäusern wie beispielsweise Christie’s oder Sotheby’s?

Für kleine Galerien kann es schwer sein, wenn sie sich mit weltweit agierenden, sehr reaktionsschnellen Konkurrenten messen müssen. Wenn Galerien jedoch Teil internationaler Netzwerke sind, was bei Opera Gallery der Fall ist, wird eine Zusammenarbeit mit uns interessant für die grossen Auktionshäuser. Mit Sotheby’s und Christies arbeiten wir sowohl beim Einkauf als auch beim Verkauf oft zusammen. Diese Häuser setzen seit ein paar Jahren verstärkt auf sogenannte «private Sales». Diese Form des Privatverkaufs gewährleistet ein höheres Mass an Vertraulichkeit des Geschäfts als bei den Auktionen, die Sotheby’s und Christie’s gewöhnlich durchführen. Viele Privatverkäufe dieser beiden grossen Auktionshäuser betreffen Kunstwerke, die aus dem eigenen Inventar der Auktionshäuser stammen.

Sie sind Galerist. Sind Sie aber auch Sammler?

Selbstverständlich! Ich sammle die bekannten Künstler, die auch Teil meiner Arbeit sind, beispielsweise Picasso, Dubuffet, Chagall oder Soulages, und natürlich auch die jungen Künstler, die wir fördern.

Kennen Sie schon die nächsten «Shooting Stars»?

Ich glaube, dass bestimmte Künstler einen höheren Stellenwert erhalten werden. Dabei denke ich z.B. an Kenny Scharf, ein Künstler der gleichen Generation wie Basquiat oder Keith Haring, der aber noch nicht deren Bekanntheitsgrad hat. Wir werden Ausstellungen organisieren, um sein Werk besser in Szene zu setzen. Kenny Scharf lebt derzeit in Los Angeles. Für mich ist er eine bisher unentdeckte Perle.

Um Künstler bekannt zu machen, haben wir bei Opera Gallery eine «Task Force», die sich natürlich um Ausstellungen kümmert, aber nicht nur. Um heutzutage Talente zu fördern, ist es unerlässlich, entsprechende Tools zu kreieren und die richtigen Leute zu treffen. Das bedeutet, dass ein eigenes Team für die Herausgabe von Katalogen und die Förderung unserer Künstler in den Museen und Stiftungen in der ganzen Welt zuständig ist. Es ist unbedingt wichtig, zu gewährleisten, dass die Maler, Bildhauer und Videokünstler, die wir ausstellen, weltweit bekannt gemacht werden. Ihre Förderung und Aufwertung hat nur noch Sinn, wenn sie im Weltmassstab erfolgt.

Ein anderer, sehr renommierter Künstler, der meines Erachtens aber viel zu wenig gewürdigt wird, ist Pierre Soulages, der gerade im Alter von 102 Jahren gestorben ist. Er war ein unglaublicher Maler, der weltweit gefeiert wurde und 400 seiner Werke dem Musée Soulages in Rodez gespendet hat. Soulages hat nur ungefähr 2’000 Gemälde hinterlassen. Davon hat rund ein Drittel bereits einen Platz in Museen oder Stiftungen gefunden. Das Angebot an Gemälden ist also begrenzt – und der Qualitätsanspruch immer vorhanden. Er ist einer der wenigen Künstler, denen im Louvre eine «Solo Show» gewidmet wurde. Das sind alles gute Voraussetzungen dafür, dass sein Ansehen in den kommenden Jahren steigt.

Was sind die Kunstwerke Ihrer Träume, auch wenn sie unerreichbar bleiben?

Um nur ein paar zu nennen: Beispielsweise die bekannten Gemälde von Gustav Klimt, die mich immer inspiriert haben, aber auch Marc Rothko oder die kubistischen Werke von Pablo Picasso.

Sind Non Fungible Tokens die Zukunft der Kunst?

Sie werden auf jeden Fall eine grosse Rolle dafür spielen. Der Markt für NFTs - dabei handelt es sich um eine Datei samt Echtheitszertifikat - wies 2021 einen Umsatz von 3 Milliarden Dollar auf, das sind ungefähr 5% des gesamten Kunstmarkts.

Die Künstler, die NFT-Kunst produzieren, sind zum Grossteil in der digitalen Welt zuhause. Aber auch klassischere Maler und Bildhauer werden sich an NFTs wagen und beispielsweise GIFs oder Videos kreieren.

Ich persönlich bin überzeugt, dass hier ein Markt entsteht. Er spricht ein anderes Publikum an, das jünger ist als die traditionelle Kundschaft in der Kunstwelt. Für Künstler wird es künftig wichtig sein, sich dort zu positionieren.

Was die Frage betrifft, wie man sie aufwertet, kann jeder selbst entscheiden, sie in Metaverse-Universen, die sich mit Sicherheit rasant entwickeln werden, auch wenn dies angesichts der Probleme von Meta im Moment schwierig erscheint, zu präsentieren oder sie daheim auf einem Grossbildschirm anzuzeigen.

Kann der Markt aufgrund der Wende in der Geldpolitik und des geopolitischen Risikos kippen?

Ich bin eher vom Gegenteil überzeugt. Das inflationäre Umfeld macht reale Vermögenswerte attraktiver. Wenn die Inflation auf einem hohen Niveau bleibt, werden viele ihre Barmittel eher in Sachwerten anlegen - und Kunst gehört zu dieser Kategorie.

Ausserdem werden für den Kauf von Kunstwerken in der Regel keine Darlehen aufgenommen. Weil er sich nicht auf Darlehen stützt, reagiert dieser Markt also weniger auf Zinsschwankungen.

Darüber hinaus besitzt der Kunstmarkt hervorragendes Entwicklungspotenzial. Der Boom des Kunstmarkts könnte durchaus noch zehn Jahre anhalten. Die neuen Möglichkeiten, die durch die Tokenisierung von Kunstwerken entstehen, und die kontinuierlich steigende Zahl von Museen und Stiftungen in aller Welt leisten einen massgeblichen Beitrag dazu. Der Kunstmarkt ist noch lange kein reifer Markt; die schönsten Jahre liegen noch vor uns!

Kurzbiographie

Gilles Dyan ist Gründer und Präsident von Opera Gallery, die 1994 an zwei Standorten, Paris und Singapur, mit dem Ziel gegründet wurde, sowohl junge, aufstrebende Künstler als auch Meister der modernen und zeitgenössischen Kunst auszustellen.

2023 wird Gilles Dyan das Opera-Gallery-Netzwerk, das derzeit 14 Standorte umfasst, um drei neue Galerien - Madrid, Dubai und Palm Beach - ausbauen. Dieses Netzwerk führt jedes Jahr über 80 Ausstellungen durch. Gezeigt werden Werke von sehr bekannten Künstlern, wie Marc Chagall, Pablo Picasso, Pierre Soulages, Alexander Calder, Jean Dubuffet, Fernando Botero, oder von jüngeren Kunstschaffenden, wie Andy Denzler, Fred Eerdekens oder Anthony James.

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