Der Mann, der aus dem Nebel kam...

Der Mann, der aus dem Nebel kam...

Eine Kurzgeschichte von Heike Altpeter

Es war einer dieser Tage, die ich seit einiger Zeit erlebte.Gegen neun Uhr schreckte ich jäh aus dem Schlaf auf. Hatte ich überhaupt geschlafen?Meine Füße waren Eiskalt. Erschlagen ging ich zum Bad, mit der Hoffnung nach dem Duschen wacher zu sein. Es half ein wenig, dennoch fiel es mir schwer in die Gänge zu kommen. Kaffee musste her.

 Seit 2003 wohnte ich hier. Direkt am Waldrand. Aus dem Panoramafenster meines Wohnzimmers sah ich über eine mit Steinplatten gelegte Terrasse in meine Wiese und die angrenzenden Felder dahinter. Es bereitete mir absolutes Wohlgefühl hier zu stehen und nach draußen zu schauen. Wenn es warm war ließ ich die Balkontür offen stehen um den Duft aus Gras, Wald und Feldern einzuatmen.

Wiedermal überlegte ich, wie ich hierhergekommen war?Auch dieses Mal gab es keine Erinnerung, die ich hätte greifen können. Damit hatte ich mich mittlerweile abgefunden. Aber seit Wochen träumte ich den gleichen Traum: Es ist Nacht. Über mir steht ein überdimensional großer Mond. Er leuchtet kräftig orange-rot. Ein schwarzer Panther und ein Leopard spielen ausgelassen auf einer Wiese. Es fühlt sich so echt an. Ich höre sie lachen und knurren, sehe wie die beiden Tiere sich aneinander reiben. Dann kommt roter Nebel und ich wache auf.

Nach dem Aufstehen, einem ausgiebigen Frühstück und zwei Tassen starken schwarzen Kaffee, war die Welt für mich in Ordnung. Es gab nur mich und meinen Computer. Ich schrieb Geschichten für Erwachsene, damit verdiente ich mein Geld. Es war nicht viel, reichte aber um mir dieses bescheidene Leben, dass ich führte, zu finanzieren.

Klar hätte ich Frauen haben können, aber es machte mich nicht sonderlich an, wenn sie mir nachliefen. Ja, ja! So war das. Egal wo ich hinkam, gab es Frauen die mich anhimmelten. Ich sah weder umwerfend aus, noch hatte ich eine Adonis-Figur, auch die dicke Brille, die ich wegen meiner Sehschwäche tragen musste, konnte nicht anziehend auf das weibliche Geschlecht wirken. Trotzdem hörte ich hin und wieder, wenn ich meine Ohren spitze: „Er wirkt so animalisch.“ Wer weiß schon wie die Weiber ticken?

Im Radio sagte die Tage ein Sprecher, dass es am 21. Januar zu einer totalen Mondfinsternis kommen würde. Man müsste aber zeitig aufstehen um sie zu sehen. Ein Schauer war mir über den Rücken gerannt, als ich das hörte. Es war nur so ein Bauchgefühl, aber das musste ich mir auf jeden Fall anschauen. 

Je näher dieser 21. Januar kam, umso öfter hatte ich diesen Traum. Neuerdings auch über Tage. Jeden Nachmittag wurde ich todmüde, immer so gegen vierzehn Uhr. Für zwei Stunden fiel ich dann in einen narkoseähnlichen Schlaf und träumte und was noch viel erstaunlicher war, ich brauchte, sobald die Dunkelheit einsetzte, keine Brille mehr. Es machte mir Freude bei Nacht nach draußen zu gehen und über die Felder zu laufen. Je dunkler die Nacht wurde, umso deutlicher wurden die Konturen der mich umgebenden Natur. Ich konnte mich nicht satt sehen an der Vielfalt von Kleintieren, die sich auf den Feldern und dem angrenzenden Wald herumtrieben. Kleine, rotleuchtende Augen zwischen unwirklich scheinenden Ästen und Grashalmen. Die feinen Eiskristalle, die zurzeit das Land einhüllten schimmerten in allen Regenbogenfarben. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Es war Montag. Ich hatte mir den Wecker gestellt für halb fünf.

Der Vollmond stand hell leuchtend, fast zum greifen nah über meinem Garten. Schatten huschten übers Gras und ich dachte eine Katze gesehen zu haben. Langsam trat der Mond in den Kernschatten der Erde. Das grelle milchige Weiß färbte sich allmählich in tiefes orange-rot. Mir wurde heiß und kalt bei diesem Anblick. Meine Haarwurzeln zogen sich zusammen. Wasser sammelte sich in meinem Mund und mein Blick schärfte sich. Ich träumte?

Nein, dieses Mal nicht. Die Katze entpuppte sich als Leopard. Leichtfüßig und geschmeidig bewegte sich das Tier auf mich zu.

Ich verspürte keine Angst, im Gegenteil. Mir war warm.

Vorsichtig öffnete ich meine Balkontür und trat hinaus. Ein Hauch von rotem Nebel legte sich über den Boden. Mir wurde so anders.

„Ich habe lange auf dich gewartet.“ Der Leopard kam näher.

Ich konnte ihn deutlich hören. Er sprach zu mir. Diese Stimme, dieses nachfolgende leise Lachen kam mir so vertraut vor.

„Erkennst du mich, mein Liebster?“

Oh ja, ich wusste wer Sie war. Endlich!

„Lass uns nach Hause gehen. Beeil dich, das Tor ist nur für kurze Zeit offen.“

Es klang wie Musik in meinen Ohren. Sechzehn Jahre hatte ich auf diesen Augenblick gewartet. Nun kamen die Erinnerungen auf einen Schlag zurück. Der rote Nebel hatte mich in menschlicher Form auf diese Erde geworfen und nun konnte ich, als das was ich einmal war, wieder nach Hause.

Zart aneinander reibend bewegten wir uns auf den Blutmond zu und entschwanden im roten Nebel dieser Nacht.

 

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