Der momentane Stand der Ewigkeit
Warum gehst Du in die Berge? Die einen finde Entspannung, Erholung und Ruhe vom Alltag. Andere wiederum suchen die sportliche Herausforderung. Und wieder anderen geht es um die Natur, die Bilder und die Eindrücke, die man dort sammeln kann. So hat jeder, der die Berge liebt, seine ganz eigenen Motive. Und Motive sind auch das zentrale Thema wenn es darum geht, den Besuch in Bildern festzuhalten. Das geht allein mit den eigenen Gedanken, mit einer Fotokamera, oder auch mit Pinsel, Kreide oder sonstigen Mal-Utensilien. Bei mir vereinen sich die Gründe für meine Bergtouren. Und sie verbinden sich, ja sich vermischen sich meist sogar. Ähnlich wie die Farben auf einer Leinwand, die Striche für Strich ein Großes Ganzes ergeben. Ich selbst bin künstlerisch nicht wirklich bewandert. Aber in diesem Jahr hatte ich die Freude und das Privileg mit einem der ganz großen Künstler unserer Zeit auf Tour zu gehen. Ich durfte dabei sein, wie ein Bild entsteht. Und zwar nicht erst im Atelier, sondern bereits bei der Motivwahl. Der in Berlin lebende Künstler Nino Malfatti war zu Besuch im Allgäu und hat sich für eine Ausstellung in der Galerie Schloßstraße in Sonthofen auf den Weg in die Berge gemacht. Aus unserem ersten Treffen ist eine Freundschaft entstanden. Und das was im Frühsommer 2024 mit der Motivsuche begann, ist jetzt in der Ausstellung in Sonthofen zu bewundern. Der treffende Titel:
Der momentane Stand der Ewigkeit
Das ist die Geschichte meiner Begegnung und meiner Tour mit Nino Malfatti…
Es ist einer dieser herrlichen Sommertage in den Allgäuer Alpen, als sich die Zugtür der Regionalbahn in Oberstdorf öffnet.
Ein hagerer, älterer Herr steigt die Stufen hinunter auf dem Bahnsteig. Sein Alter sieht man ihm nicht an, ebenso wenig seine Profession. Es könnte ein normaler Gast des Allgäuer Kurorts sein, der wie so viele Gäste in dieser Zeit mit dem Zug ankommen und sich auf den Weg in die Berge machen. Aber das ist er nicht.
Mit sportlichen Schritt und klaren Blick kommt er mir entgegen und grüßt mit klarer, fester Stimme. Sein kräftiger Händedruck ist mir bis heute in Erinnerung!
Der ältere Herr ist Nino Malfatti, Jahrgang 1940. Nino Malfatti ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit, wenn es um das Thema „Berge“ geht. Und heute ist er für sein neues Werk aus seiner Wahlheimat Berlin angereist. Mit ihm werde ich in den kommenden Stunden auf die Suche nach dem perfekten Motiv für sein neues, großformatiges Gemälde gehen.
Es soll das legendäre Allgäuer Dreigestirn werden. Bestehend aus Mädelegabel, Trettach und Hochfrottspitze markiert es den Übergang von Bayern nach Tirol. Im Herzen der Allgäuer Alpen.
Ein paar Minuten nach unserer ersten Begegnung später stehen wir am Zugang nach Einödsbach. Der kleine Gemeindeteil im Süden von Oberstdorf ist schon für sich selbst ein herrliches Landschaftsmotiv. Unser Ziel liegt jedoch gute 400 Höhenmeter oberhalb. Eine Hochalpe mit dem perfekten Blick auf den Allgäuer Hauptalpenkamm und jenes berühmte Dreigestirn, das schon so viele Fotografen und Maler inspiriert hat.
Schritt für Schritt geht es nach oben. Sein Alter merke ich Nino nicht an. Wohl aber die Tatsache, dass er nicht zum ersten Mal solch schmale und steile Pfade beschreitet.
Der gebürtige Innsbrucker ist nicht nur aufgrund seiner Motivwahl viel in den Bergen unterwegs. Er ist auch ansonsten passionierter Bergsteiger und Kletterer. Und auch das Allgäu hat er bereits das ein oder andere Mal besucht.
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Während er in der Frühphase seines Schaffens vorwiegend Alltagsgegenstände thematisierte, konzentriert sich Nino Malfatti seit den 1980er Jahren auf die Bergmassive der Alpen. Anhand von Fotografien entstehen in seinem Berliner Atelier eindrucksvolle Gemälde voller Tiefe und Weite.
Ein spezielles Augenmerk legt Malfatti dabei auf das Zusammenspiel von Kontrasten. Das Zusammenspiel von Licht und Schatten. Das Zusammenspiel von hellen und dunklen Farbtönen, das seinen Bergmotiven eine ganz eigene Dramaturgie verleiht.
In seinen Gemälden vereint Nino Malfatti Einflüsse verschiedener europäischer Maltraditionen und hat über die Jahrzehnte seinem eigenen, modernen und unverwechselbaren Ausdrucksstil entwickelt. Dabei weist sein Werk Parallelen zu Malern der klassischen Moderne auf, deren zentrales Thema ebenfalls die Natur und das Einfangen der Stimmungen war.
Trotz klarer Linienführung und Abstraktion schafft er es, uns als Betrachter in das Bild zu ziehen, dort festzuhalten, und die Stimmung und Atmosphäre im Augenblick der Entstehung zu transportieren.
Genau aufgrund der besonderen Stimmungen sind wie an diesem sonnigen Bergtag relativ spät zu unserer Tour aufgebrochen. Auf knapp 1600 Metern Höhe angekommen steht nicht etwa die Aufnahme der Konturen im Fokus. Es geht nicht in erster Linie um die Gestalt der drei Gipfel, die sich deutlich über Einödsbach in den Allgäuer Himmel schieben. Diese Szenerie selbst könnte Nino Malfatti anhand jeder beliebigen Foto-Vorlage machen.
Das Gemälde ist in seinem Kopf bereits in der Entstehung. Lange bevor der erste Zeichenstift die Leinwand berührt. Und auch noch lange bevor der Auslöser seiner Kamera das erste Mal klickt und die Motivvorlage „im Kasten ist“. Es entsteht gerade nicht auf der Grundlage des, zugegeben beeindruckenden Bergpanoramas.
Gegenüber des Allgäuer Dreigestirn wartet Nino Malfatti genau auf jenen besonderen Moment eines Spätsommertags. Den Moment, in dem die klar erkennbare und lichtdurchflutete Landschaft aufbricht. Den Moment, in dem das Schattenspiel die Gipfel, Felswände und Rinnen, die Hügel, Rücken und Grate in einzelne Fragmente zerlegt. Jene Fragmente, die später wieder zu einem Großen Ganzen auf der Leinwand zusammengeführt werden. Jene Fragmente, die später den Malfatti-Gemälden die beeindruckende Weite und Tiefe geben und uns als Betrachter in ihren Bann ziehen.
Den gesamten Beitrag und den Link zur Ausstellung gibt's auf Bergparadiese.de