Der wahre Preis des Wegschauens: Warum Paare zögern, in ihre Beziehung zu investieren
Da sitzen sie, direkt vor mir. Sie, die seit Jahren darum bittet, endlich eine Paarberatung zu machen. Er, der sich all die Jahre dagegen gesträubt hat. Jetzt, wo nichts mehr geht, sitzen sie hier. Ihre Beziehung steht am Abgrund. Sie ist erschöpft, will nicht mehr und kann nicht mehr. Er merkt, dass er seine Frau verliert, und wünscht sich nichts sehnlicher als das, was sie einst hatten, zurückzubekommen. Aber seit das Kind da ist, fühlt er sich wie das dritte Rad am Wagen. In der Beratung sprechen wir über die Erwartungen, die Wünsche – und über die Hindernisse. Zeit und Geld. Die beiden haben Ressourcen, sie wohnen nicht weit weg von der Praxis, und dennoch scheinen die Hürden für eine ernsthafte Investition in die Beziehung zu groß. Sie zögert.
Das ist ein vertrautes Szenario. Viele Paare tun sich schwer, wirklich hinzusehen und in ihre Beziehung zu investieren. Der Gedanke, Zeit, Geld und Energie in eine Paarberatung zu stecken, wirkt abschreckend. Man fragt sich, ob es sich lohnt, ob es wirklich „so schlimm“ ist. Es wird gezögert, aufgeschoben, bis der Punkt erreicht ist, an dem nichts mehr geht.
Doch die Wahrheit ist: Eine zerrüttete Beziehung bringen die wenigsten Paare alleine wieder auf Kurs. Das Wegschauen, das sich vor der eigentlichen Arbeit drücken, endet oft im „gemeinsam einsam“ – oder in der Trennung. Beide Optionen sind nicht nur emotional schmerzhaft, sondern auch teuer. Nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern vor allem im Hinblick auf das persönliche Wohlbefinden, das Glück der Kinder und die Zukunft beider Partner.
Der Preis, den wir zahlen, wenn wir nicht bereit sind, in unsere Beziehung zu investieren, ist hoch. Höher, als es sich zunächst anfühlt. Viele Paare sehen die Kosten einer Paarberatung – die Zeit, das Geld, die Herausforderung, die es mit sich bringt – als zu hoch oder gar als unüberwindbar an. Doch was sie dabei oft übersehen, ist, dass der wahre Preis viel tiefer geht. Es ist der Verlust von Nähe, Vertrauen und gegenseitigem Verständnis. Der Weg in die emotionale Isolation.
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Doch es geht noch tiefer. Denn das Zögern ist oft mehr als die Angst, in die Beziehung zu investieren. Es ist die Angst, in sich selbst hineinzusehen. Der Spiegel der Selbsterkenntnis ist zugegeben nicht immer sexy. Wenn wir ehrlich sind, erfordert es Mut, die eigenen Anteile an der Beziehungskrise zu erkennen. Es ist viel leichter, den Partner für das Scheitern verantwortlich zu machen. Aber echte Veränderung, sei es in der Beziehung oder im eigenen Leben, führt zwangsläufig durch die Selbsterkenntnis. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Schwächen, Ängsten und Verletzungen kann unangenehm sein – doch sie ist der Schlüssel zu echtem Wachstum.
Viele Menschen scheuen diesen inneren Prozess, weil sie fürchten, was sie dort finden könnten. Die eigenen Defizite, die vielleicht lange verdrängt wurden, können schmerzhaft sein. Doch ohne diesen Schritt bleibt jede Paararbeit oberflächlich. Es gibt keinen echten Fortschritt, wenn beide Partner nicht bereit sind, sich auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Denn eine Beziehung ist immer ein Zusammenspiel zweier Persönlichkeiten, die sich gegenseitig beeinflussen. Und die Arbeit an der Beziehung beginnt immer auch bei der Arbeit an sich selbst.
Der richtige Moment, hinzuschauen, ist jetzt. Je länger du wartest, desto höher wird der Preis. Es gibt keine bessere Zeit, als genau in diesem Moment zu beginnen. Die Frage ist nicht, ob es sich lohnt – die Frage ist, ob du bereit bist, den wahren Preis des Wegschauens zu zahlen. Jede Sekunde, die du zögerst, distanziert dich ein Stück weiter von dem, was dir wirklich wichtig ist. Es ist nicht zu spät, aber der Zeitpunkt, um etwas zu verändern, ist immer jetzt.