Deutsch (6) – Verwandtschaft von Nomen
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Deutsch (6) – Verwandtschaft von Nomen

Ich habe ja versprochen, nicht mehr so ganz auf dem Genus herumzureiten, aber ganz ohne geht es auch nicht, obwohl ich heute tatsächlich ein anderes Thema habe: Es geht darum wie Wörter entstehen und wie sie miteinander verbunden sind.

Als hocherfolgreicher Schriftsteller (mit allerdings viel zu geringen Verkaufszahlen 😉 ) befasst man sich zwangsläufig mit dem Wort. Wenn man an die Wortentstehung herangeht, gibt es so ein paar Prinzipien, die einem auffallen, andere liegen halbverborgen in der Geschichte der Sprache, denn der Mechanismus unserer deutschen Wortbildung ist bereits zwischen 5000 und 9000 Jahre alt. So genau weiß das niemand, denn sie liegt in einer fast mystischen urindogermanischen Sprache. Was man aber sagen kann, der Mechanismus ist älter als das, was wir als Hochdeutsch bezeichnen, das mit dem Althochdeutschen in dieser Form tatsächlich erst im 8. Jahrhundert schriftlich fixiert wurde. Kurz zuvor, im 7. Jahrhundert, gab es die zweite Lautverschiebung, die den Wandel vom Germanischen ins Deutsche einleitete.

Nomen und Adjektive

Gerne spricht man in der Schule von der Nominalisierung, wenn man ein Wort wie das „Böse“ sieht, das ja wunderbar zum Adjektiv „böse“ passt. Eine Nominalisierung liegt dann vor, wenn aus einem Adjektiv ein Substantiv wird. Geschichtlich gab es diesen Schritt aber nicht, denn im Urgermanischen gab es zwar Substantive, aber keine Adjektive. Man sprach also von:

·        Alexander, dem Großen

·        dem Mann, dem Bösen

·        der Frau, der Schönen

·        dem Krieger, dem Starken

Es gab im Endeffekt zwei wesentliche Klassen von Wörtern: Substantive und Verben. Die Substantive waren in Subjekte (Handelnde) und Objekte (nicht Handelnde) eingeteilt. Die Subjekte endeten wie im Lateinischen auf -s, während die Objekte auf -m endeten. Der Krieger konnte sowohl Subjekt wie auch Objekt sein, es gab ihn also mit beiden Endungen. Reine Objekte waren zum Beispiels die Nutztiere, aber auch alles andere, das benutzt wurde, dem man aber keine Handlung zusprach. Irgendwann änderte es sich und aus „Dem Mann, dem Bösen“, wurde „Der böse Mann“. Und damit entstanden die ersten Adjektive aus Substantiven. Böse (mit seinen Vorläufern) ist übrigens dafür ein Beispiel. Hier liegt daher keine Nominalisierung vor, sondern eine Adjektivierung.

Zusammenhängende Nomen

Es gibt viele Wörter, die zusammenhängen. Nehmen wir das Verb bewegen. Jetzt dürfte schnell klar sein, dass andere Wörter in einem Zusammenhang mit diesem stehen wie der Weg, der Wagen, die Waage, die Bewegung, die Wiege, das Wiegen, das Gewogene, das Bewegte. Natürlich gibt es auch verwandte Verben wie „wiegen“ oder „wegen“. Letzteres gibt es heute nicht mehr wirklich. Es stamm von „waga“, das so viel wie sich bewegen entsprechend dem Wort gehen heißt, und noch nicht wie unsere heutigen Verben auf ‚en‘ endet. Tatsächlich traten im Germanischen und Althochdeutschen Verben fast immer paarweise auf. Einmal der Vorgang an sich und einmal das machen des Vorgangs (also das was daraus wird. Das Backen des Bäckers hieß bachen, das Backen des Brotes hieß backen. Bachen war das starke Verb, backen das schwache.

Nun dürfte es auffällig sein, dass alle drei Artikel für die Substantive verwendet werden. Das funktioniert übrigens mit den meisten (Grund-)Verben. Das Verb „sagen“ wird zu der Sagende, die Sage, das Gesagte usw. Aber gibt es dabei ein Muster? Ja, das gibt es. Alle Personen oder Handelnden bekommen das erste Genus (das bei uns maskulin heißt) – natürlich nicht, wenn wir konkret eine Frau meinen. Dann wechseln wir das Genus, denn im Deutschen gibt es ja kein „generisches Maskulinum“ (dazu möchte ich auf einen vorhergehenden Artikel verweisen). Daher passen wir das Genus ggf. an den Sexus an, wenn der Sexus eindeutig und klar ist.

Der Weg ist entsprechend des Indogermanischen ein Handelnder. Wieso?, mag man sich fragen! Die Antwort ist simpel: Weil er uns führt. Der Wagen fährt uns und somit ist er ebenfalls im ersten Genus. Wagen ließ man früher einfach rollen und sie fuhren einen, denn die vorgespannten Tiere sorgten schon für den richtigen Weg. Beim Auto ist das heute nicht so, das will gelenkt werden, in Zukunft könnte es aber mal wieder so werden. Wären Autos in der Lage eigenständig zu fahren, würden die alten Indogermanen ihnen das erste Genus spendieren. Damit würde aus „das Auto“ „der Auto“. Das zeigt übrigens auch, dass die Ausdrücke Animata (für das erste Genus als belebt) und Inanimata (für für das zweite Genus als unbelebt) in der Betrachtung des Indogermansichen unsinnig sind. Der Weg ist kein Animata. Zurück aber zu unserem Wort „bewegen“.

Der Weg und der Wagen können also Handlungen vornehmen und kamen damit in das erste Genus. Sie sind Subjekte. Der substantivierte Vorgang des Wiegens ist ein Objekt. Denn es ist eine Handlung, kann aber nicht selbst handeln. Daher „das Wiegen“. Das Gewogene und das Bewegte sind Ergebnisse der Handlung und damit auch im zweiten Genus der Indogermanen (oder unserem dritten). Es sind Objekte. Dann haben wir noch „die Waage“, „die Bewegung“ und „die Wiege“. Sie sind keine Ergebnisse einer Handlung und keine Handelnden, sondern sie sind die Entitäten mit denen wir die Handlung vornehmen. Ursprünglich befanden sich solche Nomen alle im ersten Genus, als dann das dritte Genus im Indogermanischen erfunden wurde (unser zweites Genus, auch Femininum genannt), bekamen sie das neue Genus, denn sie sind weder das Ergebnis einer Handlung, noch der Handelnde.

(Das ist eine Vereinfachung der grammatikalischen Regeln, auch wenn völlig laienhaft ausgedrückt. Die Komplette und genaue Erklärung, sowie das Entstehen, wären wohl zu komplex für diesen kleinen Beitrag und für die meisten Menschen eher uninteressant. Davon abgesehen kann ich sie selbst nicht in Perfektion wiedergeben, denn ich bin kein Sprachwissenschaftler.)

 

Das gleiche Schema funktioniert beim Verb fallen: Der Fallende, der Fall, der Fäller, der Gefallene, die Falle, das Gefällte, das Fallen. Oder bei Laufen: Der Lauf, der Läufer, der Ablauf, das Laufende, das Ausgelaufene, das Laufen. Oder bei Sehen: Der Seher, der Sehende, die Vorsehung, das Gesehene, das Sehen. Nur der See passt da nicht rein, obwohl es sich so schön anhört :D

 

Andere Nomen

Jetzt hängen Substantive nicht ausschließlich mit Verben zusammen. Nehmen wir das Weib oder die Memme. Häufig heute als Beleidigung verwendet, war das nicht immer so. Das Weib leitet sich von Wip ab, was im Urindogermanischen wohl noch so etwas wie Gebärmutter bedeutet. Ein Weib ist also eine gebärmuttertragende Person. Warum heißt es das Weib und nicht die Weib? Das liegt daran, das Wip ein Objekt war. Wie das Herz oder das Gehirn. Es kam bei Tieren vor und man kannte diese Organe nur im toten Zustand. Sie waren reine „Objekte“ die man verspeiste. Ein Gehirn (sobald man es freigelegt hatte) war aber nicht mehr in der Lage etwas zu tun – war also kein Subjekt und half auch bei keiner Handlung.

Die Memme ist die Brust der Frau und hilft beim Säugen der Kinder.

Das Mädchen kommt eigentlich von die Maid und ist eine Verniedlichung. Wie alle Nomen, die auf den Verniedlichungssilben -chen und -lein enden, werden diese Worte im Deutschen ins Neutrum gesetzt. Übrigens steht die Magd eigentlich für eine hochstehende Frau. In alten Zeiten wurden junge hochstehende Frauen aber zu anderen Haushalten geschickt. Um sie herum waren ihre Dienerinnen. Sie war die Magd (oder Maid), aber die Gruppe aus ihr und ihren Dienerinnen waren die Mägde (oder Maiden). Irgendwann, mit neuen Bezeichnungen für die eigentliche Magd, blieb das Wort für die Dienerinnen bestehen.

Das Wort Kind stamm vom alten indogermanischen Wort für „empfangen“ ab. Kinder wurden empfangen und sind damit im Neutrum grammatikalisch reine „Objekte“. Das Kind als Person wurde dagegen wohl nicht als Kind, sondern als Sohn oder Tochter bezeichnet.

Der, die, das

Interessant ist, dass solche Wörter wie die Tür nicht nur im Deutschen weiblich sind. Sie waren es auch im Altenglischen, Altgriechischen, in Latein und sind es auch noch in Sanskrit. Denn obwohl sich die Wörter für die Tür stark verändert haben, ist das Grundsystem der Genera für alle Sprachen im Ur-Indogermanischen angelegt.


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