Deutsch (7) – Die Magie des Adjektivs
Auch in Autorenkreisen hört man es immer wieder: „Adjektive blähen die Sprache auf, benutze keine Adjektive, das sind nur Füllwörter!“
Als Autor muss ich mich natürlich mit eben dieser Frage befassen und genau das möchte ich mal wieder in einem Artikel tun.
Die Valenzen der Verben
Man kann es sehen. In meinen Überschriften benutze ich keine Adjektive und keine Adverbien. Dort stehen Substantive und Artikel. Diese Überschriften sind also nicht mal ganze Sätze im Sinn der deutschen Grammatik, sondern lediglich Ausrufe. Die Satzbildung erfolgt über Subjekt, Prädikat und gegebenenfalls dem Objekt (oder den Objekten). Ein Prädikat ist der Kern eines Satzes, von dem der Rest abhängig ist. Er wird auch als Satzaussage bezeichnet und umfasst ein oder mehrere Verben. „Julia sah den Sonnenuntergang.“, aufgebaut der deutschen Satzbaugrammatik entsprechend, ist ein kompletter deutscher Satz. Für „Es regnet.“ gilt das aber ebenso, denn „regnen“ ist ein sogenanntes nullwertiges Verb. Es benötigt weder ein Subjekt noch ein Objekt. Der Satz „Morgen regnet es.“ scheint zwar ein Subjekt zu haben, es ist in diesem Zusammenhang aber nur ein sogenanntes Scheinsubjekt. Man kann nichts und niemanden benennen, auf das Wort es hinweist. Man spricht von Valenzen. Sie beschreiben wie viele Subjekte und Objekte in Summe für ein Prädikat benötigt werden.
Nullwertige Verben gibt es häufiger bei Wetterphänomenen, wie „regnen, „donnern“, „blitzen“, „hageln“, „schneien“ usw. Der Satzbau hängt am Kern des Satzes, also dem Prädikat, und benötigt weder ein Objekt noch ein Subjekt. Ganz im Gegenteil es würde uns stören. Stellen Sie sich vor jemand sagt: „Das Wetter regnet morgen!“. Damit hätte der Satz zwar ein Subjekt erhalten, nur passt es sprachlich nicht zu diesem Verb.
Andere Verben sind ein- oder mehrwertig. Es gibt auch vierwertige Verben, die, damit eine Erklärung vollständig ist, neben einem Subjekt auch gleich noch drei Objekte benötigen. So sehr ich auch bitten mag, „Ingo bittet!“ klingt nicht vollständig. „Ingo bittet Sie“ ist auch noch nicht so richtig komplett und wirft viele Fragen auf. „Ingo bittet Sie um Entschuldigung“ klingt zwar schon besser, aber Sie werden sich immer noch Fragen wofür oder weswegen. Erst „Ingo bittet Sie für die Verspätung um Entschuldigung“ ergibt in unserem Kopf so richtig Sinn. Ingo ist in diesem Kontext das Subjekt, Entschuldigung, Sie und Verspätung sind die Objekte. Objekte können natürlich in einem anderen Satz auch vor- oder nachgelagert werden, aber als einzelner Satz benötigt man bei „bitten“ die Auffüllung aller vier Valenzen.
Das Prädikat gibt uns also den minimalen Bedarf an Subjekten und Objekten vor.
Die Klarheit der Sprache
Klarheit ergibt sich je nach Kontext. Immer wenn es um Fakten geht, dann benötigt man klare und einfache Aussagen. Viele Füllwörter stören oft dabei.
„Die Festplatten sind defekt!“ reicht uns als Aussage völlig. Die Festplatten müssen nicht schön sein, sie müssen nicht alt sein, um ihnen für uns Bedeutung zu verleihen. Aber wir könnten auch sagen: „Wohlan, ich verkündige Euch, die just erworbenen, ach so schönen Festplatten, die uns jüngst flott zugestellt wurden, unterliegen einem boshaften Übel, das uns ihre so sehr begehrte Verwendung nicht hinderlich macht, nein, wir leiden auch unter der Unmöglichkeit unseres Vorhabens, eben diese genannten einzusetzen.“
Das klingt sicherlich Phänomenal, würde uns den Alltag aber auch erschweren. Liebe Damen, stellen Sie sich den Beifahrer vor, der Sie mal wieder warnen möchte: „Die Ampel ist rot!“. Vermutlich brauchen Sie diesen ungebührlichen Eingriff eines Mannes gar nicht, vielleicht aber sind Sie in diesem Moment doch auf die Warnung angewiesen? Ich war das jedenfalls schon einmal. Aber stellen Sie sich vor Ihr Beifahrer würde „Wehrte und hochverehrte Maid, mich dünkt, ich sollte euch darlegen, aus eben dem Grunde, dass es möglich sei, ihr habet es noch nicht bemerket, soeben aus heiterem Himmel und für mich beinahe unvorstellbar, wagte es die Ampel jüngst, hinterhältig und flink die Phase zu wechseln, und dort, wo eben uns noch das grüne Licht unserem Weg beschien, will das rote uns nun Warnen, innezuhalten und Fußgänger wie auch andere Fuhrwerke passieren zu lassen!“ sagen. Ohne Zeitmaschine würden Sie kaum noch rechtzeitig bremsen können, wenn Sie den Satz in Gänze erfasst hätten.
Unser Alltag ist geprägt von kurzen und prägnanten Sätzen. Eine Satzstruktur mit den erforderlichen Valenzen und notfalls ein oder zwei beschreibenden Adjektiven wie in „die rote Ampel“ sind für den Alltag sinnvoller, als Sätze, die sich über ganze Seiten ziehen.
Die Macht der deutschen Sprache
Bevor man im Deutschen anfing, auf Befindlichkeiten zu achten, war die Sprache klar (nicht immer ohne Diskriminierung), aber von einer unschlichten Eleganz, die etwas ermöglichte, das in anderen Sprachen oft nicht denkbar ist. Wir können in einem einzigen Satz Zusammenhänge knüpfen, wie sie im Englischen und anderen Sprachen nicht vorstellbar sind. Selbst in einer mathematischen Doktorarbeit müsste man keine einzige Formel schreiben, denn Sätze der deutschen Sprache können so komplex aufgebaut werden, dass jede noch so komplizierte Formel tatsächlich rein Sprachlich ohne mathematische Symbolik abgebildet werden kann. Im Englischen ist fast kein komplexer Satz mit Nebensatz noch eindeutig. Diese Möglichkeit des Deutschen führte dazu, dass die Ingenieurswissenschaften im 19. Jahrhundert einen Boom erlebten – solange bis wir es nicht mehr für nötig hielten, das Erdachte auch in die Tat umzusetzen und es lieber im Ausland entwickeln und zu produzieren ließen.
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Das Adjektiv, das Verkannte
Nun schreibe ich zum einen Konzepte, nehme Anforderungen auf und coache Führungskräfte. Dort benötigt man eine klare Sprache mit wenigen Füllwörtern. Auf der anderen Seite schreibe ich fantasievolle und (fast) absolut wahre Romane. Jetzt nehmen wir uns den Satz „Julia sah den Sonnenuntergang.“ Noch einmal vor.
„Julia saß am Strand. Sie sah den Sommeruntergang. Sehnsucht wuchs in ihr. Sie vermisste es, berührt zu werden.“ Das erinnert nicht nur an Fachliteratur, sondern auch noch an die englische Sprache, mit kurzen Sätzen. Im Alltagsverständnis ist das toll, aber wie schön wäre es, etwas Emotion in das Gesagte zu geben:
„Julia saß einsam am abendlichen Strand, noch von der Sonne beschienen, die sie äußerlich wärmte. Innerlich sah es anders aus. Als die Sonne über den Horizont kippte, machte sich Sonnenuntergangssehnsucht in ihr breit und sie wünschte sich eine Hand, die ihre hielt, eine Stimme, die sie zart liebkoste, wie der Wind die Blüten in der abendlichen Stimmung.“
Vom Prinzip wird zweimal das gleiche gesagt, aber die Emotion fehlt beim ersten. Wir können „Trauer“ verkünden, aber die wird niemand spüren, sagen wir sie nur so dahin. Wenn wir aber von der „schwere, der Gedanken, die sie niederdrückte und umschloss, wie ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen mehr gab, sie weinen lies, vom Schmerz, der in Ihrer Seele brannte“, dann können wir uns darunter viel mehr vorstellen.
Ohne Adjektive keine Emotionen.
Wer also mehr ausdrücken will, als ein paar Fakten, dem lege ich mir wärmster Empfehlung die magischen Werkzeuge der deutschen Sprache an die Hand.