Dialog im Unternehmen - geht das?
Wenn in Veränderungsprozessen Konflikte hochkochen, stoßen Unternehmen häufiger "Dialogprozesse" an, bei denen sie mit den Mitarbeitenden "auf Augenhöhe" Herausforderungen verstehen und Lösungen entwickeln wollen.
Dialogische und organisationale Kommunikation
Aber ist das überhaupt möglich? Thomas Schuhmacher und Prof. Dr. Heiko Roehl vergleichen in ihrem Artikel der Zeitschrift OrganisationsEntwicklung (ZOE) die dialogische Kommunikation und Kommunikation im Organisationskontext. Die Unterschiede sind so frappierend, dass man sich wundert, wie man auf die Idee eines "Dialogprozesses" im Unternehmen kommt. (ZOE 1/2024)
Ein Dialog ist immer symmetrisch
Ein Dialog ist dann möglich, wenn Gesprächspartner ihre Einsichten teilen, die sie als "ganze Menschen" gewonnen haben: aus ihrer Erfahrung, Wahrnehmung, Gedanken, Angst und Lust. Dialogpartner begegnen sich symmetrisch, eben "auf Augenhöhe" Über- oder Unterordnung von Dialogpartnern behindert den Dialog. Und Dialoge sind ergebnisoffen. Der Dialog suspendiert die Entscheidung, das Werturteil, aus einem Dialog kommt man anders heraus, als man hineingegangen ist.
Hierarchie kann man im Unternehmen nicht wegdenken
Und das soll im Unternehmen funktionieren? Im Unternehmen wird niemand sich aus seiner Erfahrung als "ganzer Mensch" mitteilen (und wenn, dann nur einmal), denn hier begegnen sich Träger von Rollen und ihren Funktionen. Hierarchie lässt sich im Unternehmen nicht wegdenken. Die "Augenhöhe" wird also schnell zu einer leeren Floskel. Und im Unternehmen passiert nichts "ergebnisoffen", denn hier brauchen wir Entscheidungen, häufig auch schnell.
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"Dialogprozess" weckt falsche Erwartungen
Ich finde es wichtig, sich diese Unterschiede vor Augen zu führen, bevor man vorschnell von "Dialogprozessen" im Unternehmen spricht. Geschäftsführer können vorgeben, "auf Augenhöhe" mit Mitarbeitenden zu sprechen - Mitarbeitende können diese Symmetrie im Gegenzug nicht einfordern. Das Versprechen von "Dialog auf Augenhöhe" weckt Erwartungen an wirkliche dialogische Kommunikation, die im Unternehmen nicht einlösbar ist.
Kommunikationsformen mit dialogischen Anteilen
Wir sollten uns meiner Meinung nach davor hüten, mit unvorsichtigen Begriffen falsche Erwartungen zu wecken. Es gibt in Unternehmen Kommunikationsformate mit dialogischen Anteilen - zum Beispiel "Staff Rides" in der Fehlermoderation, Design Thinking in der Innovation oder Szenariotechniken in der Strategiearbeit.
Wer hierarchiefreie und ergebnisoffene Kommunikations- und Lernformate unreflektiert auf Organisationen überträgt, riskiert am Ende Frustration und zynische Reaktionen auf Seiten der Mitarbeitenden.
Welche Erfahrung haben Sie mit "Dialogprozessen" in Unternehmen gemacht?