Die agile Transformation – ein Reisebericht.
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Die agile Transformation – ein Reisebericht.

„Agile“ ist gerade jeder, beziehungsweise will jeder gerade sein. Doch meistens ist es nur „Zombie-Agilität“ – jeder sieht #empowered aus und alles hört sich #scrum an. 

Den Begriff Zombie-Agilität habe ich von Uwe Habicher, Head of Brand Experience der Haufe Group und seiner Keynote, auf der Empoweringagile2019 Konferenz in Wien. Die gute Nachricht: Diese „Schein-Agilität lässt sich leicht und schnell diagnostizieren. Die schlechte Nachricht: Sie zu kurieren ist nicht leicht und ein längerer Prozess. ABER - es geht!

Symptome für „Schein-Agilität“:

Laut Herrn Habicher gibt es bei Organisationen sichtbare Hinweise, die auf eine mögliche Zombie-Agilität schließen lassen. Dafür sprechen folgende Indikatoren:

  • Selbst auf Vorstandsebene gibt es keine Meetings mehr, nur noch Stand-ups.
  • Das Management fährt einmal im Jahr ins Silicon Valley.
  • Turnschuhe sind Statussymbol und gehören zum Business-Outfit.
  • Es gibt kein Büro, in dem nicht für alle sichtbar Post it’s kleben.

Beschwerden von „Schein-Agilität“:

  • Es gibt keine schlüssige digitale Strategie, an der Ziele festgemacht werden können.
  • Es gibt eine CDO-Vorstandsposition, die niemand genau beschreiben kann.
  • Es hat sich nichts Grundlegendes an der Organisationsstruktur geändert.
  • Es gibt keine Veränderungen im Leadership, Entscheidungen laufen Top-Down.
  • Es ist nicht transparent, was aus aktuellen Innovationen geworden ist.
  • Es gibt viele Kollegen, für die Agilität als Synonym für Flexibilität oder Scrum steht.
  • Es existiert noch das gleiche Verhältnis zum Kunden, der nicht zufrieden ist.
  • Es gibt kein übergreifendes Programm, das Agilität auf operativer Ebene begleitet.

Haben Sie gerade festgestellt, dass Sie in keinem dieser Symptome einen Handlungs- oder Verbesserungsbedarf sehen? Glückwunsch, dann ist Ihre Organisation weiter als alle anderen und es macht wahrscheinlich auch keinen Sinn weiter zu lesen. 

Wenn Sie feststellen, dass das ein oder andere auch auf Ihre Organisation zutrifft, Sie sind nicht allein! Auf der Empoweringagile2019 sah man sich von A1 bis Porsche daher auch auf einer agilen Reise in Richtung Digitalität, mit Berichten über erfolgsversprechende und individuell gewählte Routen und erreichten Zwischenzielen.

Bei dieser Reise gibt es keinen vorgegebenen, abgesicherten Weg, der zum Ziel führt. Erfolgsentscheidend ist vielmehr: 

  1. Das Ziel– Warum unternimmt das Unternehmen diese Reise?
  1. Die Route– Welche Wege müssen dafür gegangen werden?
  1. Die Begleitung– Was wird auf diesen Wegen benötigt?
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1. Das Ziel

„Man kann weiter träumen oder den Träumen weiter nachjagen!" (Manfred Immitzer, CIO of the year 2019, Managing Director & CDO of Porsche Informatik)

Stellen Sie sich vor, Sie begeben sich mit Ihrer Familie auf eine Reise. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass Sie einfach losgefahren sind, ohne vorher überlegt zu haben, wohin es gehen soll? Wie oft haben Sie schon Reiseziele ausgewählt, ohne die Interessen Ihrer Familie dabei in Betracht zu ziehen? Wie oft sind Sie schon mal alleine vorausgefahren und haben verständnislos gewartet, wo der Rest bleibt?

NIE! Ist hoffentlich auch Ihre Antwort. Warum begegnet man in Unternehmen dann genau dieser Situation? CDO’s, zertifizierte Scrum Master und geschulte Design Thinker sind eine tolle Basis, nur was nützt einem die Agilität eines Pinguins, wenn man ihn in die Wüste stellt? Um das WARUM einer Reise zu beantworten, erfolgt der Blick über den Tellerrand. Dabei wird von „außen nach innen“ gedacht. Das heißt, was passiert im Außen durch Technologietrends, Kundenwünsche, potentielle Disruption durch IT-Technologieriesen oder Start-ups.

Beispiel Porsche Informatik

Manfred Immitzer zeigt, wie damit innerhalb der Porsche Informatik umgegangen wurde. Am Anfang stand die Frage nach den Megatrends. Welche Megatrends gibt es und welche sind absehbar? Diese Megatrends wurden für die eigene Branche heruntergebrochen und interpretiert. Für die Automobilindustrie ist das z.B. 

  • Digitales Cockpit
  • Fahrzeug-Elektrifizierung
  • Autonomes Fahren
  • Vernetzung der Fahrzeuge

Als nächstes wurde über die Strategic Objectives ermittelt, was die Enabler für Digitale Transformation und Operational Excellence sind. Was muss erreicht werden, um die abgeleiteten Megatrends bedienen zu können. Für jedes Unternehmen kann das unterschiedlich aussehen. Für Porsche Informatik waren es unter anderem die Verkürzung der Time-to-market und die Erhöhung von Customer-Centricity. 

Beispiel KEBA AG

„Wir haben aufgehört mit dem Erbsen zählen“, sagt Gerhard Luftensteiner, CEO der KEBA AG. Damit meint er mutige und große Schritte der Organisation in Richtung Digitalisierung.

Das Ziel der Transformation liegt für die KEBA-AG in einer durchgängigen Wertschöpfungskultur. Die Wertschöpfung muss vom Kunden (außen) zur Organisation (innen) erfolgen und demensprechend ermöglicht werden. Das „Außen“ definiert die KEBA AG als die bekannte VUKA Welt, für die die Organisation entsprechend aufgestellt sein muss. Dafür braucht die Organisation Eigenschaften wie Mut, Systemdenken, Agilität und Fehlerbereitschaft. Das Mitarbeiter vereinbarten Zielen hinterherlaufen, obwohl sie sich im Laufe des Jahres längst geändert haben, passt nicht in dieses Bild. 

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2. Die Route

Gut, so ein Reiseziel ist gar nicht so schwer auszuwählen, mit etwas Druck von außen geht es sogar noch ein bisschen leichter. Wer will nicht schon mal seit Jahren nach Südamerika, Japan oder Wien und ist doch noch nie dagewesen? Um eine herausfordernde Reise anzutreten braucht man Entschlossenheit.

Sind Unternehmen entschlossen, die agile Transformation konsequent anzugehen, liegt dahinter eine Programmatik. Auch wenn oft ein „Top Down“ vs. „Bottom Up” Approach diskutiert wird, liegt der Erfolg doch in der Kombination der Ebenen:

Entschlossenheit des Managements + Konstruktivität der Mitarbeiter = Akzeptanz und Resultate 

Entschlossenheit heißt aber eben nicht, dass das Management entschlossen entscheidet, Mitarbeiter zu Scrum Mastern oder im Design Thinking auszubilden, um dem Unternehmen den notwendigen Schub in Richtung Agilität zu verschaffen. Vielmehr erarbeitet ein zusammengestelltes „Transition-Team“, bestehend aus Top-Managern und freiwillig mitwirkenden Mitarbeitern aus allen Unternehmensbereichen, eine Roadmap mit Themenschwerpunkten und Lösungsansätzen. Und das individuell, passend für das Unternehmen – keinesfalls durch kopieren von agilen Unternehmensmodellen anderer Organisationen. Jedes Unternehmen ist einzigartig, vom Produkt, der Kultur, der Menschen. Und so einzigartig die Unternehmen sind, so individuell sind auch die gewählten Routen zur agilen Transformation. 

„Wir machen keine Projekte mehr, wie machen Produkte!“ (Markus Raitner, BMW Group IT)

Herr Raitner, Agile Transformation Agent von der BMW Group IT sieht den Kern der agilen Transformation bei der BMW Group IT in der Refokussierung vom Projekt zum Produkt. Projekte werden, wenn überhaupt nur noch als Mittel zur Synchronisation gesehen, die Wertschöpfung erfolgt innerhalb von Produkten.

Bei Porsche Informatik liegt der Lösungsansatz in der Multiplikation von unterschiedlichen Business Models. Eine Paradigma Veränderung: Von einer Digitalisierung der Prozesse zur digitalen Toolbox von Business Models. Agility by Design wird das bei Porsche genannt. Wenn es zum Beispiel um die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen geht und Customer Centricity als ein wichtiger Enabler identifiziert wurde, muss in den Abläufen der Produktentwicklung die Co-Creation mit dem Kunden verankert werden. Das macht sich dann unter anderem: 

  • from Service Innovation to Open Ecosystem
  • from Service Architecture to Modular
  • from Service Team to Learning Organization.

„Es gibt keine Führungskräfte mehr, nur noch Rollen!“ (Gerhard Luftensteiner, CEO KEBA AG)

Die KEBA AG hat sich für die radikale Veränderung der gesamten Unternehmensstruktur und -hierarchie, als Grundlage für eine Wertschöpfungskultur, ausgehend vom Kunden entschlossen. Angelehnt hat man sich hierbei an dem Holacracy Model, nach dem es keine hierarchischen Strukturen und Führungskräfte gibt, sondern Rollen, die in Kreisen organisiert sind. Auf einem Marktplatz für Rollen werden Rollen abgegeben oder erhalten. Begonnen hat diese Transformation 09/15, rund zwei Jahre später erfolgte die Institutionalisierung. Die Grundsätze und Rollen hat KEBA ähnlich dem agilen Manifest für sich definiert:

  • DYNAMISCHE ROLLEN statt statische Jobs
  • VERTEILTE AUTORITÄT statt zentrale Kontrolle
  • ZWECK-HIERARCHIE statt Macht-Hierarchie
  • LAUFENDE ENTWICKLUNG statt große Schritte
  • TRANSPARENTER RAHMEN statt Führung durch Personen.

Herr Habicher von der Haufe Group setzt in der agilen Transformation auf FLEAT, ein „agiles Betriebssystem“. Damit gewinnt man an Agilität, indem man das Unternehmen (Tanker) in mehreren unabhängigen Einheiten (Booten) organisiert. Neue Ideen laufen als eigenständige „Boote“ durch unterschiedliche Phasen, in denen sie entweder „versenkt“ oder als größeres „Schiff“ ausgeschleust werden.

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3. Die Begleitung

Große und lange Reisen in ein unbekanntes Gebiet gehen immer mit Unsicherheiten einher. Sie können herausfordernd, abenteuerlich, beschwerlich und kräfteraubend sein. Um aus Irrwegen wieder herauszufinden oder Niederlagen gestärkt wegzustecken, benötigt es Kraft und Überzeugung, aber auch Unterstützung und Guidance.

„Es ist der Geist der Truppen, der Schlachten entscheidet“! Es gilt diesen Geist zu entwickeln, anpassungsfähig an die Gegebenheiten zu machen. Ein Unternehmen, das in einem volatilen, unsicheren, komplexen und ambivalenten Umfeld agiert, ist auf die Fähigkeiten und Eigenschaften der Mitarbeiter angewiesen. Die Summe der Eigenschaften der Mitarbeiter machen die Kraft und Anpassungsfähigkeit des Unternehmens aus. Eigenschaften entstehen in einer Organisation nicht von selbst, sie müssen entwickelt werden. Und das nicht singulär, sondern umfassend. Im Systems Thinking sagt das „Iceberg Model“, dass Eigenschaften und Mindset über Verhalten beeinflusst werden können. Das heißt, durch Verhaltensänderungen entsteht Mindset.

Auf der Empoweringagile 2019 war man sich durchgehend einig, dass der Stellhebel für Verhaltensänderungen die immanente Aufgabe von Leadership ist. Leadership in einer digitalen, agilen Welt heißt:

  • VORLEBEN: Statt Bilder, Slogans oder Videos – Leading heißt vorleben von Eigenschaften.
  • VERSTEHEN: Wie ticken die Mitarbeiter, wer hat wo eine Leidenschaft, was wollen die Mitarbeiter tun, was interessiert sie? Entsprechend dieser Erkenntnisse werden die Menschen eingesetzt.
  • ERKLÄREN: Sinnhaftigkeit herstellen und den Mitarbeitern erklären, warum etwas getan wird.

Markus Raitner hat seine Erfahrungen für Menschliche Führung in seinem Buch "Manifesto for Human Leadership" niedergeschrieben. Die Bedeutung von Leadership und die Wichtigkeit von Corporate Culture lassen sich auch aus diesen Zitaten schließen:

"Corporate Culture ändern heißt, Führungskräfte müssen verstanden haben, dass sie für die Mitarbeiter da sind und nicht umgekehrt" (Peter Bosek, Mitglied des Vorstandes für Retail Banking, Erste Group Bank AG)

„Agilität heißt: RADIKALE Kundenorientierung und RADIKALE Mitarbeiterorientierung“ (Alfred Mahringer, Director Corporate Portfolio- & Projectmanagement, A1).

„Tools sind nicht wichtig, es zählt das Mindset!“ (Natascha Kantauer-Gansch, Chief Customer Officer Consumer, A1)

„Titel und wieviele Mitarbeiter man führt ist sowas von Retro! “ (Peter Bosek, Mitglied des Vorstandes für Retail Banking, Erste Group Bank AG)

Wenn es um digitale Transformation und Agilität geht, bedeutet Veränderung nicht primär die Einführung neuer Arbeitsweisen, Prozesse und Methoden. Veränderung steht hier für „Cultural Change“. Das steht für einen Wandel vor allem im Bereich Führung, Fehler- und Kommunikationskultur. Ein begleitendes Change Programm ist erfolgsentscheidend.

Für Porsche Informatik ist ein Baustein der agilen Transformation Manage the Change. Dafür wurde eine Change Toolbox entwickelt, die Leadership, Dialogue, Sucess Stories und Change Agents beschreibt. Über regelmäßige Pulse Surveys wird abgefragt, wo Veränderung zu spüren ist, ein Change Award kürt die besten Projekte, Innovationen oder Kulturveränderungen.

„Change is a pure leadership task“, sagt Herr Immitzer. Und Veränderung braucht Zeit. Bis sich bei Porsche Informatik eine echte Fehlerkultur entwickelt hat, dauerte es ca. 1,5 Jahre.

Die Transformation zu einer agilen Organisation ist also eine Reise, die zeitlich und inhaltlich sehr individuell ist, abhängig vom Ausgangspunkt und dem Ziel, das erreicht werden soll. Jedes Unternehmen muss sich selbst auf diesen Weg begeben, es gibt keinen abgesicherten Pfad und auch kein Modell, dass eins zu eins übernommen werden kann. Es gibt nur Orientierungen und Möglichkeiten, die möglichst schnell ausprobiert, evaluiert und angepasst werden müssen. Ja, richtig, das klingt nach Agilität!

"Netzwerke" übrigens auch, denn die helfen Ideen, Best Practices oder auch Misserfolge zu teilen, um gemeinsam über Lösungen nachzudenken und voneinander zu profitieren. Das kann über Veranstaltungen, Communities oder auch bilateral erfolgen. Melden Sie sich, wenn Sie Lust auf einen Meinungsaustausch haben, ich freue mich immer über offene Gespräche und konstruktive Diskussionen!

Geronimo-Noah Hirschal

Franchise Marketing Manager | Marketing Communications

5 Jahre

Super Artikel und macht hoffentlich vielen Lust auf Change!

Jonas Laubmann

Manager Business Development bei Gealan Formteile GmbH

5 Jahre

Sehr interessanter Artikel! Vielen Dank!

Thomas Meinschad

Technology Center Owner & Agile Coach driving #technology and #agility

5 Jahre

Danke treffend zusammengefasst. Auch von meiner Seite Danke !

Michael Baux

Jeder kann und will lernen - man muß nur das Richtige finden! Ich helfe dabei!

5 Jahre

Großartige Zusammenfassung! Danke vielmals!!

Jana Sczesny

leidenschaftliche Verfechterin von weiblicher Gesundheit | Pilates Trainerin, Coach & Begleiterin für schwangere Frauen

5 Jahre

Sehr interessant und schön zu lesen! 👍🏻

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