Die Bestandsaufnahme – Wie leben wir heute?
Foto: Florian Becker

Die Bestandsaufnahme – Wie leben wir heute?

In diesem ersten inhaltlichen Post möchte ich eine Bestandsaufnahme machen und kurz darstellen, in welcher Art Welt wir, zumindest die meisten Menschen westlicher Kultur, leben. Als mir bewusst wurde, dass die Welt, wie wir sie wahrnehmen, nicht selbstverständlich, gleich und in ihren Grundfesten unveränderlich ist, hat sich mein Horizont unglaublich erweitert. Sich dies bewusst zu machen ist sehr wichtig. Nur weil ich z.B. in einer Demokratie lebe, heißt dies nicht, dass es normal oder unumstößlich ist. Regeln, die der Mensch schuf, können durch den Menschen genauso wieder abgeschafft werden. In diesem Post möchte ich den Ausgangspunkt, den Status Quo, wiedergeben, auf dem der Blog aufbaut. Auf dieser Basis werden AI, Strategien und das Leben betrachtet. Ich möchte kurz auf die heutige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung eingehen.

Politische Ordung

Die politische Ordnung westlicher Länder ist geprägt durch demokratische Strukturen. Kleine Unterschiede zwischen einzelnen Staaten außen vorgelassen. Die Bürger eines Staates wählen ihre Vertreter in die Regierung. Verschiedene Vertreter für verschiedene Aufgaben, in der Regel alle vier Jahre. Dies tun sie, gesteuert durch ihren vollkommen freien Willen, rein objektiv und sachlich. Oder etwa nicht? Ein Thema für einen anderen Beitrag. Parteien und ihre Mitglieder werben vor den Wahlen eifrig, um möglichst viele Stimmen für ihre Seite zu gewinnen, die amtierende Regierung senkt die Steuern und schlechte Nachtichten werden zum möglichst günstigsten Zeitpunkt veröffentlicht. Ein Terroranschlag zieht eben mehr Aufmerksamkeit auf sich als eine wenig emotionale aber folgenschwere Nichteinhaltung von Umweltregularien. Warum wird so viel Aufwand betrieben, Fakten so angenehm wie möglich oder neuerdings auch gern postfaktisch an die Frau und den Mann zu bringen? Weil der Mensch anfällig für Manipulation ist. Es vergeht keine Minute, in der er nicht durch äußere Faktoren beeinflusst und seine Wahrnehmung dadurch verändert wird (er unterliegt gewissen Biases). So ist es kein Wunder, dass Regierungen mit suboptimalem Wahlprogramm an die Macht kommen.

Durch die Demokratie wird dem Menschen in der breiten Masse Macht verliehen. Die breite Masse wählt die Regierung, sie organisiert Streiks und bestimmt welche Produkte gekauft werden und welche Versandzentrenhüter bleiben. In jüngster Vergangenheit zeigte sich, dass die Masse mit neusten Methoden leicht zu durchschauen und zu manipulieren ist. Geschehen durch intelligente Datenanalyse und gezielter medialer Beeinflussung. Die Masse hat zwar selbst entschieden, der Wille war jedoch keineswegs frei, sondern durch Algorithmen beeinflusst, welche durch Menschen geschaffen und gesteuert worden. Zudem zeigt eine zunehmende Anzahl an politischen Auseinandersetzungen und Wahltendenzen hinzu den Rändern, dass die Wähler das Gefühl haben ihrer Macht beraubt worden zu sein und weniger Einfluss auf das Geschehen zu haben. Wo diese Macht verblieben ist, kann jedoch niemand genau sagen. Dabei ist der demokratische Mechanismus einfach: Wer Wert hat, der bekommt Macht verliehen.

Wirtschaftliche Ordnung

Neben der Politik kennzeichnet der Kapitalismus unser Weltbild. Sogar stärker als die Politik. Genauer leben wir im liberalen Kapitalismus. Und der Kapitalismus stellt das wirtschaftliche Wachstum an die erste Stelle der gesellschaftlichen Ziele. Kein Wachstum bedeutet kein Erfolg und den Niedergang der Gesellschaft. Alles ordnet sich diesem Ziel unter. Um zu wachsen müssen Unternehmen und Staaten ihre Produktivität steigern und mehr Wert erzeugen. Vor wenigen Jahrhunderten oder sogar Jahrzehnten bedeutete dies die Produktion bzw. den Abbau von mehr Rohstoffen und Nahrungsmitteln zu steigern. Dazu musste zwangsläufig mehr Land von einem Nachbarstaat erobert werden, um wiederum ein Bevölkerungswachstum zu ermöglichen. Heute entsteht mehr Wert durch Handel und Zusammenarbeit. Je besser die Zusammenarbeite, desto mehr Wert wird geschaffen. Insofern hat der Kapitalismus zum Weltfrieden beigetragen. Denn dieser sorgt für wirtschaftlichen Aufschwung, nicht der Krieg. Der Kuchen muss nicht mehr aufgeteilt werden, sondern wird für alle größer. Entsprechend wird so intensiv wie nie zuvor zwischen Staaten und Unternehmen kooperiert. Daneben ist es dem Kapitalismus zu verdanken, dass die Arbeitsbedingungen von Angestellten sich stetig verbessern. Warum wurde die Krankenversicherung eingeführt? Weshalb wird in der Produktion penibel darauf geachtet, dass körperliche und geistige Belastungen auf genau das richtige Maß eingestellt werden? Diese Maßnahmen dienen nicht dem Selbstzweck, sondern verfolgen das Ziel, die Produktivität zu maximieren. Ein kranker Mitarbeiter kann keinen Wert schaffen und zum Wachstum beitragen. Eine aufgrund von Gratiskaffee und Loftcharakter hoch motivierte Büroangestellte wird mehr zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Es ist ein angenehmer Effekt, dass sich dieser Mensch dabei besser fühlt. Der Effekt ist aber nicht der Hintergrund der Maßnahmen.

Der liberale Kapitalismus beinhaltet noch einen weiteren, wesentlichen Aspekt. Er schafft einen sich selbst regulierenden Markt. Das Wachstum wird maximiert. Jedoch ohne Rücksicht auf Dinge und Menschen, welche keinen oder einen geringen Beitrag zum Wachstum leisten. Schöpferische Zerstörung ist die Folge (Näheres in der Buchempfehlung „Warum Nationen scheitern“). Ein sich selbst regulierender Markt birgt zudem Gefahren, da der Markt tut, was für ihn gut ist. Nicht zwangsweise für den Menschen.

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Gesellschaftliche Ordnung

Der heutigen westlichen Gesellschaft geht es gut. Selbst global gesehen geht es der gesamten Bevölkerung so gut wie nie. Die drei großen Bedrohungen: Krieg, Hunger und Krankheit sind, gemessen an früheren Katastrophen, überwunden. Der letzte große Krieg liegt zwei Generationen hinter uns. Es sterben mehr Menschen an Übergewicht als an Unterernährung. Und Epidemien werden frühzeitig und wirkungsvoll eingedämmt. Es besteht kaum noch die Gefahr, dass aus heutiger Sicht unvorstellbare 30% der Bevölkerung eines Landes durch eine einzige Krankheit dahingerafft werden. Das heißt die Gesellschaft kann sich auf andere Dinge konzentrieren als das Überleben.

Da das Überleben weitestgehend gesichert ist, kann sich jedes Mitglied der Gesellschaft auf eine bestimmte Sache konzentrieren, die er oder sie besonders gut kann. Wir leben damit in einer Gesellschaft von Spezialisten/innen. Alle Tätigkeiten, die zum Wachstum beitragen sind professionalisiert, um das Wachstum weiter anzutreiben. Dieser Umstand begünstigt die Anwendung von künstlicher Intelligenz nebenher dramatisch. Ordnen tun wir diese Tätigkeiten in Unternehmen, welche, neben Menschen und Staaten, eigenständige juristische Personen sind.

In der Gesellschaft kommt es meist auf jeden Einzelnen an, welches Ergebnis oder welchen Gewinn ein Unternehmen oder Staat erwirtschaftet. Ein Team aus 10 Büroangestellten kann wesentlich mehr Anträge bearbeiten als ein Team aus nur 2 Angestellten. Entsprechend rechnet sich jedes Individuum einen hohen Wert zu und handelt in seinem eigenen, persönlichen Interesse, da man selbst das höchste Gut ist. Zudem weiß das Individuum was ihm gut tut, was richtig und gerecht ist. Diese liberale Einstellung ist fest in den Köpfen verankert und zeigt sich gleichwohl in praktischen Handlungen.

Bei stark technikgeprägten Tätigkeiten hingegen gelten andere Regeln. Zwei Bauern stehen in Konkurrenz zueinander. Sie sind gleichermaßen motiviert und fleißig. Beide besitzen einen Mähdrescher. Der eine mit einer doppelt so hohen Erntegeschwindigkeit wie der andere. Das heißt, der Bauer mit dem schlechteren Mähdrescher hat keine Chance im Wettbewerb mit dem anderen. Die verwendete Technologie erzeugt den Wettbewerbsvorteil, nicht der Bauer, und gewinnt daher an Wert. Zudem ist es unwichtig wer den Mähdrescher lenkt, da sich dieser weitgehend selbst steuert und optimiert. Somit bedarf es in manchen wirtschaftlichen Bereichen keine große Masse an Arbeitskräften, sondern eine geringe Anzahl von Spezialisten, ausgestattet mit guter Technologie.

Alle in diesem Beitrag angesprochenen Punkte handeln vom Menschen und dessen Wohlbefinden, Wert und Wahrnehmung. Der Mensch ist damit Zentrum des Seins und Ursprung des Sinns. Der Mensch wird als Krone der Schöpfung verstanden. Das war nicht immer so! Und so muss es nicht bleiben. Theistische Religionen gehen davon aus, dass es einen heiligen Gott gibt, der durch die Menschen erschaffen wurde. Gott war damit die sinnstiftende Instanz. Da wiederum Gott die Menschen schuf, waren diese irgendwann ebenfalls heiliggesprochen, in Ihrem Wert gestiegen und mehr in das Zentrum gesellschaftlicher Anschauungen gerückt. Mit dem Schritt zur Neuzeit hat der Mensch schließlich seinen Wert allein aus seinem Sein erlangt. Er versucht nun ohne höhere Macht, allein mit seinem freien Willen, dem Universum seinen Sinn zu geben. Wir erleben damit die Blüte des Humanismus. Da der Mensch nun nicht mehr Teil eines größeren Ganzen ist, dies aber gerne wäre und er nach einem einfacher greifbaren Sinn sucht, könnte sich eine sehr ähnliche Geschichte bald wiederholen. Der Dataismus weist verblüffend ähnliche Züge mit dem Theismus auf. Doch das wird ein anderer Beitrag.

Zusammenfassend…

Bleibt festzuhalten, dass wir seit geraumer Zeit in einer stabilen Gesellschaft leben. Sie stützt sich auf Kapitalismus, Humanismus, Liberalismus und Demokratie. Diese Säulen sind anhand ihrer Stabilität geordnet aufgelistet, von stabil zu instabil. Hier und da rütteln seit Neustem immer wieder Gruppen an dieser Ordnung. Durch das Rütteln wird immer versucht zu einer älteren, früher stabilen Ordnung zurückzukehren. Menschen haben Angst vor Neuerungen und wollen daher lieber wieder zurück zu Altgedientem, obwohl diese Ordnungen den Anforderungen der heutigen Zeit nicht mehr gerecht werden. Kommunismus und Nationalsozialismus wussten die Antwort auf die Industrialisierung und Elektrifizierung, aber wissen diese nicht auf heutige Fragen. Genauso scheinen die derzeitigen Ordnungen die Antworten auf heutige, oder teilweise bereits gestrige, Fragen zu kennen, jedoch mit zukünftigen Fragen überfordert zu sein. Dazu gehören vor allem Fragen zur Wandlung der Gesellschaft durch Daten, Algorithmen und künstlicher Intelligenz, welche ich in diesem Blog aufwerfen und versuchen zu beantworten möchte.

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