Die Crux mit den Fachartikeln

Sie sind selten – die Fachleute und Führungspersonen, die gleichzeitig auch begabte Schreiber sind. Aber sie haben der Welt definitiv etwas mitzuteilen. Eine Lösung im Fall fehlender Schreibbegabung sind Schreibprofis, die alle Schattierungen von Unterstützung anbieten, von der Überarbeitung des Artikels über Textcoaching bis zu Ghostwriting.

So logisch dieses Vorgehen klingt, so birgt es doch einiges an Konfliktstoff. Dieser rührt daher, dass im Grundsatz jeder schreiben kann und der Schreibstil Geschmackssache ist. Einem Profischreiber steht zwar eine Palette verschiedener Stilarten zur Verfügung, am Ende aber kann weder er noch der zeichnende Autor aus seiner Haut. So kommt es vor, dass die Chemie zwischen Ghostwriter und zeichnendem Autor einfach nicht stimmt. Diese unglückliche Konstellation einmal ausgeschlossen, trägt folgendes Vorgehen zum Gelingen eines Fachartikels bei:

  • Einigung über das Zielpublikum: Handelt es sich um ein allgemeines oder ein sehr spezialisiertes Publikum? Dies muss von Anfang an festgelegt werden. Als Faustregel gilt: Zu verständlich kann ein Artikel kaum sein.
  • Einigung über das Medium: Print oder Online? Bei Print ist in jedem Fall eine Zeichenbeschränkung zu beachten.
  • Einigung über Kernbotschaften: Was soll die zentrale Aussage sein? Welches ist die Quintessenz? Sie muss auf jeden Fall herausgearbeitet werden.
  • Einigung über die Textelemente und Schlüsselbegriffe: Neben der Kernbotschaft gibt es oft Begriffe und zu erwähnende Elemente, die den Fachartikel erst zum Fachartikel machen. Teils sind es eine Art Codes für andere Fachleute, die daran erkennen, dass im Text wirklich eine Fachperson spricht.
  • Einigung über die Rollen: Der zeichnende Autor ist Fachperson bezüglich des Inhalts und der zu nennenden Termini technici, der Ghostwriter ist Fachperson bezüglich Aufbau, Ausdrucksweise, Rechtschreibung und Stil.
  • Einigung über den Ablauf: In welcher Reihenfolge gehen wir vor? Wann setzen wir die Termine (in Übereinstimmung mit der Agenda des zeichnenden Autors)?

In der Praxis hat es sich bei mir bewährt, mit einem Formular zu arbeiten, mit dessen Hilfe ich die nötigen Elemente beim zeichnenden Autor systematisch abfrage. Bei einem klassischen Ghostwriting notiere ich, was der zeichnende Autor mir erzählt. Dabei versuche ich, auf seine typische Ausdrucksweise zu achten. Anschliessend überlege ich, welche Geschichte da erzählt wird, aus welchen Elementen sie besteht und wie ich sie für das Zielpublikum ansprechend erzähle. Ich überlege mir die Dramaturgie. Diese entspricht selten der korrekten Chronologie, in die man oft zuerst verfällt. Als Erstes sollte in aller Regel das Neue erzählt werden, damit die Leserschaft neugierig wird. Ich gliedere den Text. Dabei platziere ich gewisse Elemente – zum Beispiel wichtige Erklärungen – in einer Box. Ich überprüfe, ob alle Schlüsselbegriffe und Kernelemente erwähnt sind. Die Kernaussage sollte idealerweise drei Mal wiederholt werden, möglicherweise in unterschiedlichen Formulierungen.

Wenn der erste Entwurf vorliegt, mache ich Vorschläge für Lead und Titel. Aber diese sind vorerst als Arbeitsinstrumente anzusehen. Erst ganz am Schluss setze ich sie definitiv. Sie sind die schwierigsten Textelemente.

Nun überarbeitet der zeichnende Autor den Text zum ersten Mal. Wir einigen uns – nicht selten in mehreren Runden – über Formulierungen und Aussagen. Ich finde es absolut legitim, wenn der zeichnende Autor den Text in einer Schlussrunde so überarbeitet, dass er seiner typischen Ausdrucksweise entspricht – solange das Deutsch korrekt ist.

Es gibt kein Vorgehen, das Erfolg garantiert. Wenn man jedoch die Dramaturgie, Textelemente und Formulierungen gut begründen kann, ist man auf der sichereren Seite. Am Schluss ist es ja das Bestreben eines jeden Ghostwriters und Textcoaches, alle glücklich zu machen: sowohl den zeichnenden Autor als auch dessen Firma und natürlich das Zielpublikum.

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