Die Digitalisierung wird zum Feind der New-Work-Bewegung!
Björn Waide, CEO smartsteuer

Die Digitalisierung wird zum Feind der New-Work-Bewegung!

Bis dato gelten New Work und Digitalisierung als Brüder im Geiste, als sich gegenseitig befeuernde Phänomene, die man beinahe unterschiedsfrei in einem Atemzug nennt. Und tatsächlich ist es der globalen Verbreitung digitaler Tools zu verdanken, dass aus einem theoretischen Konzept mit leicht hippieskem Anstrich eine reale Veränderung unserer Arbeitswelt geworden ist. Tools wie Slack, Trello oder Zoom haben einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf den kulturellen Wandel unserer Arbeitsbedingungen, steckt doch hinter einem Tool stets auch eine Annahme über die Art und Weise, wie Menschen idealerweise zusammenarbeiten sollten. Slack etwa als offener, für jede*n einsehbarer und gestaltbarer Diskursraum steht exemplarisch für New Work und für ein grundlegend anderes, moderneres Führungs- und Kommunikationsverständnis. 

Digitale Tools waren und sind also als Möglichmacher von New Work von eminenter Bedeutung – und können es auch in Zukunft sein. Dennoch müssen wir wachsam sein: Ich habe kürzlich geschrieben, dass wir von der Verwirklichung von New Work trotz flächendeckendem Homeoffice noch meilenweit entfernt sind. Ich fürchte, wir müssen noch einen Schritt weitergehen und aufpassen, dass wir im Angesicht einer zunehmend rauen wirtschaftlichen Großwetterlage nicht die Fortschritte der New-Work-Bewegung rückabwickeln. Anders gesagt: Die Digitalisierung – einst Möglichmacher von New Work – könnte hier zur größten Bedrohung für den Erfolg der New-Work-Bewegung werden.

New Work funktioniert nicht mit Kontrolle

»New Work ist eine andere Art, Arbeit zu organisieren. Die Absicht ist, Arbeit so zu organisieren, dass sie nichts ­Gezwungenes ist, sondern man Arbeit tut, die man wirklich, wirklich will«, sagte Frithjof Bergmann, inzwischen 90-jähriger Spiritus Rector der New-Work-Bewegung im Interview mit t3n. Die Menschzentriertheit der Idee eines neuen Arbeitens steht dabei in radikalem Widerspruch zur kalten, quantitativen Logik des Digitalen – insbesondere wenn man berücksichtigt, dass digitale Tools nicht nur Möglichkeiten zur Vereinfachung von Kommunikation und Zusammenarbeit bedeuten, sondern theoretisch genauso Möglichkeiten sind, die Performance von allem und jedem zu tracken, zu überwachen und zu optimieren. Es mangelt schon heute nicht an Software-Angeboten, die die Leistung und Präsenz von Remote-Workern überwachen sollen.

Wir müssen gut aufpassen, hinter hübschen Frontends keine umfassende Kontrollarchitektur zum Tracking individueller Performance aufzubauen – aus zwei Gründen. Zum einen ist ein solches Denken und Handeln unvereinbar mit den Versprechen und dem Menschenbild einer freien Gesellschaft und somit entschieden abzulehnen. Zum anderen aber liegt darin auch aus ökonomischer Perspektive ein fataler Irrweg. New Work, das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten, ist kein karitatives Konzept, sondern, wie Bergmann betont, ein Konzept, um Arbeit zu organisieren. 

Und die Arbeit verändert sich: Im digitalen Zeitalter verschiebt sich die Wertschöpfung immer stärker von komplizierten zu komplexen Problemen, für deren Lösung es keine Blaupausen mehr gibt. Wir stehen offenen Lösungswegen gegenüber; die Viel-hilft-Viel-Logik des Industriezeitalters hat ausgedient. Wert entsteht langfristig nur dort, wo das Wissen, die Kreativität und die Tatkraft der Vielen freigesetzt wird, zusammenfindet, wirksam wird. 

Eine Grundannahme hinter New Work ist dabei, dass die kreative Leistung im Team bei komplexen Fragen wichtiger ist als individuelle Spitzenleistungen. Für die Selbstwirksamkeit der Vielen braucht es jedoch Freiheit: Die Abwesenheit von kleinteiliger Kontrolle (durch digitale Tools) ist somit eine Grundbedingung, damit Menschen gemeinsam komplexe Probleme lösen und Wert schöpfen können. 

Wir müssen der Versuchung von Überwachung auch unter Druck widerstehen

Im Angesicht der Folgen der Corona-Pandemie muss man kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass viele Unternehmen vor wirtschaftlich ruckeligen Zeiten stehen. Der Performance-Druck wird vielerorts steigen und insbesondere die New-Work-Bewegung dürfte ins Visier der Kostenoptimierer geraten. Zu soft, zu gefühlig, zu wenig ergebnisorientiert – die Vorwürfe sind so falsch wie altbekannt. Doch wie der Druck steigt, steigt nun auch die Verlockung, individuelle Performance zu quantifizieren, zu vergleichen und damit zu incentivieren. Wir könnten messen, wie lange Eine*r vor dem Laptop sitzt. Wie viele Zeichen er oder sie in die Tastatur tippt. Wie lange sie oder er pro Tag privat gesurft hat. Wir könnten noch so viel mehr messen. Aber sagen uns diese vermeintlichen KPIs irgendetwas darüber, ob er oder sie wirklich Wert gestiftet hat, ob sie vielleicht die entscheidende Idee zur Lösung eines Problems hatte, ob er einen wichtigen Impuls für ein neues Produkt geliefert hat? Eben. Wenn wir den überkommenen Präsenzkult durch eine softwareseitige Überwachung unserer Mitarbeiter*innen ersetzen, schütten wir das Kind mit dem Bade aus. An dieser Stelle beginnt die Rückabwicklung von New Work.

Auch wenn der Druck steigt, müssen wir der Versuchung der alten, vermeintlich einfachen Lösungen widerstehen. Für Unternehmen, die im digitalen Zeitalter hochkomplexe Probleme lösen müssen, um erfolgreich zu bleiben, kann es keine sinnvolle Aussage mehr über die Individualperformance eines Arbeitnehmers geben, selbst wenn sie irgendwie messbar und überwachbar wäre. Letztlich müssen wir unseren Fokus – und hier kann New Work eine wesentliche Stütze sein – von der Optimierung einer individuellen Leistung hin zur Optimierung eines Gesamtergebnisses verschieben. Wir müssen die quantitativen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters genau für diese immer weitere Verbesserung von Endergebnissen nutzen, anstatt uns mit Überwachung und Kontrolle von Höchstleistungen abzuhalten. In diesem Sinne: Auf zu “New Wertschöpfung”!

Moni Ruehl

Independend bei Trading and Developing

4 Jahre

und ? Dann schreibe ich eine Software die wiedrum das Trackingprogramm austrickst..... IT ist grenzenlos. Was sind das für Chefs die ihre Mitarbeiter:innen so ständig kontrollieren wollen. Besser doch wie früher die Leistung messen. Von nix kommt nix

Andreas Kopp

Systemisches Management | Systemische Organisationsentwicklung | Lean Management * * * * * Beratung | Workshops | Seminare | Management-Training | Vorträge

4 Jahre

Überwachung ist in der Tat ein völlig falscher Ansatz! Wie ich in einem früheren Post bereits geschrieben habe, befindet sich die Arbeitswelt durch Corona gerade in einem gewaltigen Evolutionssprung, den wir nicht durch Regelungen oder Überwachungswahn ausbremsen dürfen. Viele Unternehmen sind von einem Tag zum nächsten von 100% Präsenzarbeit auf 90% oder 100% Heimarbeit gewechselt. Wir sind dadurch doch in der einzigartigen Lage die Effizenz der Heimarbeit mit der Büroarbeit vergleichen zu können. Meine bisherige Erfahrung ist, dass der Effizienzverlust eher gering ist und am wenigsten am Arbeitnehmer liegt! Fehlende technische Ausstattung, mangelnde Digitalisierung, unklare Entscheidungsketten, zu starre Prozesse und nicht zuletzt unflexible Chefs und Vorgesetzte sind da eher als Ursachen zu identifizieren. Anstatt über Regelungen und Überwachungen zu diskutieren, müssen neue Arbeitskonzepte, Arbeitszeitkonzepte und Motivationskonzepte entwickelt werden. Für all das muss auch zwingend die Digitalisierung voran gebracht werden, um die neuen Arbeitskonzepte zu ermöglichen und effizient zu gestalten! Wer jetzt auf Überwachung setzt, der entwickelt sich nicht weiter!

Daniel Vogler

Geschäftsführender Gesellschafter bei ZMI GmbH

4 Jahre

Wir verhindern digitale Kontrollarchitekturen Bjoern Waide indem wir dem Mitarbeiter Instrumente mit an die Hand geben, die eine nachvollziehbare, transparente #Arbeitszeiterfassung ermöglichen. Auch bei dem Konstrukt Vertrauensarbeitszeit sind diese digitalen Lösungen kein Kontrollinstrument sondern im Rahmen des Arbeitszeitgesetz, einfach eine Schutzfunktion für Mitarbeiter und Unternehmen. Ich finde daher das "automatische Time-Tracking" nicht passend, denn der Mitarbeiter im Home Office entscheidet immer noch selbst, wann er sich per APP oder im Web - Portal einbucht und erreichbar ist. Gerade im Kontext #newWork ein unverzichtbares Hilfsmittel und #worklifebalance Instrument. Wenn wir mal darüber sprechen sollen, was möglich ist, dann melden Sie sich gerne.

Bin ich voll bei Dir Björn. Überwachung der eigenen Mitarbeiter (und z.B. auch Bürgern auf größerer Ebene) kann nicht zum Ziel führen und zeugt meiner Meinung nach von bereits bestehenden Missständen, Misstrauen und schwacher Führung. Es gibt deutlich effektivere und angemessenere Werkzeuge um den Erfolg seiner Teams in Remote-Arbeit zu messen und sicherzustellen. Daher stimme ich Dir voll und ganz zu...

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