Die Entfremdung des Fußballs
"Der Fußball entfremdet sich" – von seinen Fans, von seinen Spielern, von sich selbst. Spätestens seit dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in Russland, spätestens seit „Die Mannschaft“ und #zsmmn ist in Deutschland die Debatte um die übertriebene Kommerzialisierung und Vermarktung des Fußballs wieder entbrannt. Und wenn man dann die unendlichen Kolumnen, Debatten und Diskussionsrunden zu dem Thema hört und sieht, kommt der ein oder andere Schwarzmaler schnell zu dem Punkt, dass das doch alles kein Sinn mehr hat, dass der Zug doch schon lange abgefahren ist – Das der Fußball nicht mehr der Selbe ist wie er früher war.
Und um eines direkt einmal klarzustellen – Nein, der Fußball ist nicht mehr der Selbe wie früher, ganz egal ob mit früher 1975 oder 2005 gemeint ist. Natürlich hat sich der Fußball weiterentwickelt, nicht nur rein sportlich, wobei das sportliche sicherlich immer der Antreiber für andere Entwicklungen ist. Fußball ist zu einem globalen Spektakel herangewachsen, zu einer Unterhaltungsbranche für die ganze Welt. Und das ist ja im Kern der Sache alles andere als negativ. Nüchtern betrachtet bedeutet das vor allen Dingen eines: Die positive sportliche Weiterentwicklung des Sportes gepaart mit einem immer weiter wachsenden Anteil der Welt mit Zugang zu diesem, hat dazu geführt das immer mehr Leute, immer mehr Fußball sehen wollen. Schwer daran etwas Negatives abzugewinnen.
Und wenn nach einer Sache, egal was, eine solche Nachfrage entsteht, dann ist es auch kein Wunder wenn sich früher oder später die Wirtschaft einschaltet. Es wäre ganz einfach naiv zu denken, dass die Wirtschaft sich eine solche Chance entgehen lassen würde.
Aber auch hier sollte man zunächst den Kern der Sache betrachten. Dank des steigenden wirtschaftlichen Interesse verdienen heute so viele Leute wie noch nie, so viel Geld wie noch nie am Fußball. Spricht doch eigentlich auch nichts gegen?
Aber was passiert wenn das Rad überdreht wird? Was passiert wenn die Blase platzt? Denn im Fußball kann diese Blase durch eine einzige Niederlage, durch einen einzigen sportlichen Misserfolg platzen.
So geschehen bei der deutschen Nationalmannschaft in diesem Sommer. Das Rad rund um die Mannschaft wurde heftig gedreht. Die neue digitale Generation sollte mit Hilfe von #zsmmn mitgerissen werden, die Werbepartner des DFB überschlugen sich mit Superlativen alla „Best Never Rest“ für das Team, dessen sportlicher Erfolg ihnen in Vergangenheit viel Freude bereitete. Und niemand störte sich so wirklich an dieser Maschinerie, die unaufhaltsam im Vorlauf und im Laufe des Turniers weiterlief.
Bis Südkorea kam, bis „Die Mannschaft“ – der Weltmeister - plötzlich in der Gruppenphase ausschied, bis die Blase auf einmal platzte.
Und natürlich wird es schon vorher einige gegeben haben, die sich mit der einen oder anderen Marketing-Maßnahme nicht wirklich anfreunden konnten - aber jetzt, jetzt war der Beweis da. Von der sportlichen Leistung ganz abgesehen, die Einstellung stimmte nicht, das Auftreten der Mannschaft gar arrogant. Und warum? Weil die deutsche Nationalmannschaft plötzlich „Die Mannschaft“ heißt, weil „Best Never Rest“?
Dass mit Italien 2010 und Spanien 2014 den beiden vorherigen Weltmeistern genau dasselbe Schicksal ereilte wie der deutschen Mannschaft 2018 wurde dabei erstaunlich oft vergessen.
Das sportlich für „Die Mannschaft“ einiges bei der WM nicht optimal lief ist indiskutabel und offensichtlich. Aber das ernsthaft einer neuer Markenauftritt der eigenen Mannschaft oder der Slogan eines Werbepartners einen entscheidenden Anteil an dem sportlich enttäuschenden Auftritt der Mannschaft haben soll – das Bedarf schon einer Menge Fantasie. Bei all den kommerziellen Nebengeräuschen die im Fußball in den letzten Jahren hinzugekommen sind, sollte man den rein sportlichen Wert dieser auch nicht überbewerten.
Und Trotzdem. Veränderungen sind zu erkennen, die unausweichlich mit der kommerziellen und digitalen Entwicklung des Fußballs und der Welt zusammenhängen. Wie viele Auswirkungen diese letztendlich am sportlichen Abschneiden haben ist schwer nachzuweisen. Zu argumentieren das die sportlichen Leistungen im Fußball mit der Kommerzialisierung abgenommen haben - schwierig. Aber das sich etwas geändert hat zwischen dem Fußball und seinen Fans, dem Fußball und sich selbst – das ist durchaus zu erkennen.
Im Zuge des Nachbebens des verfrühten Ausscheidens der Nationalmannschaft wurde auch über fehlende Emotionalität, fehlende Fan-Nähe gesprochen und so sagte Ewald Lienen, Technischer Direktor des FC St. Pauli, bei Markus Lanz einen interessanten Satz: „Wenn du nach England gehst, wenn du nach Italien gehst, wenn du nach Spanien gehst, da ist kein Mensch beim Training, weil es abgeschlossene Hochleistungszentren sind, wo noch nicht mal die Journalisten reinkommen.“ (Tatsächlich sind öffentliche Trainings bei vielen internationalen Top-Clubs eine Rarität) woraufhin Ex-BVB-Profi Patrick Owomoyela eine genauso interessante Frage stellte: „Warum das bei uns jetzt auch so ist?“
Für die, die den Fußball als ein Geschäft sehen, liegt die Antwort auf der Hand. Die fünf letzten Champions-League-Sieger? Clubs aus der spanischen La Liga. Die fünf letzten Europaleague-Sieger? Vier Clubs aus der spanischen La Liga und Manchester United aus der englischen Premier League. Die umsatzstärkste Fußballliga der Welt? Ebenfalls die Premier League. Die Top-Clubs aus Spanien und England wollen ihr wichtigstes Produkt schützen – vor feiernden oder pöbelnden Fans, vor lästigen Journalisten. Denn am Ende steht das Ergebnis, sowohl sportlich als auch wirtschaftlich. Am Ende muss der sportliche Erfolg stimmen - damit am Ende auch die wirtschaftliche Bilanz stimmt – damit wiederum Geld für den sportlichen Erfolg da ist, und so weiter und so fort.
Die Methoden der zwei europäischen Top-Ligen scheinen zu wirken. Verstehen Sie mich nicht falsch – einzig von dem Ausschluss der Fans und Journalisten bei Trainingseinheiten der Clubs auf deren direkten sportlichen Erfolg zu schließen ist ähnlich gewagt wie das Ausscheiden der DFB-11 auf „Die Mannschaft“ & Co. zu schieben. Doch trotzdem, die Premier League hat sich in seiner Entwicklung immer näher zu Investoren und Kommerz und immer weiter weg von vielen Fans positioniert – und wurde dafür belohnt.
Die Ticketpreise sind hoch ja, aber die Stadien größtenteils trotzdem voll. Die lokalen Fans sträuben sich gegen ausländische Investoren die den Club übernehmen – und trotzdem wächst die globale Anhängerschaft der Premier-League-Teams ununterbrochen. Und ganz am Ende stehen zwei Zahlen: 8 Milliarden Euro - so viel sind alle Spieler der Premier League nach Angaben des Internetportals Transfermarkt.de gemeinsam wert und 5,2 Milliarden Euro – so viel setzte die Liga während der Saison 2016/17 um. Beides sind mit reichlich Abstand die absoluten Top-Werte im Fußball.
So steht der Sport und mit ihm seine Clubs, Spieler und Funktionäre vor einer Kreuzung: Wenn man mit der Entfremdung des Fußballs beispielsweise die Entwicklung der höchsten englischen Spielklasse meint, dann scheint diese ganz nüchtern betrachtet unausweichlich. Die Zahlen sprechen für sich. Die Liga vereint die besten Spieler mit dem meisten Geld. Und warum sollte man dies nicht wollen? Das beste? Das meiste?
Vielleicht weil der Fußball eben eines niemals dürfte – nüchtern betrachtet werden. Denn am Ende des Tages sind doch genau das Subjektive, das Irrationale, die Emotionen das was diesen und jeden Sport ausmachen. Und vielleicht geht genau das bei der ganzen gut gemeinten Vermarktung und Kommerzialisierung im Fußball hier und da verloren. Natürlich verliert der Begriff „Die Mannschaft“ am Ende kein Spiel, natürlich ist #zsmmn am Ende nicht Schuld am Ausscheiden der Nationalmannschaft. Doch vielleicht wäre es hilfreich die ganzen Maßnahmen auch mal wieder etwas emotionaler zu betrachten und mit Emotionen zu füllen. Wer ist denn eigentlich „Die Mannschaft“? Die Spieler, die Menschen, die Persönlichkeiten dahinter? Und steht Sie wirklich mit Ihren Fans #zsmmn?
Der ehemalige Fußball-Kommentator Marcel Reif merkte ebenfalls bei Markus Lanz an, dass der Fußball sich doch schon gar nicht mehr vor der Kreuzung zwischen Kommerz oder Sport, zwischen Club oder Marke befindet, sondern schon längst abgebogen sei.
Das mag sein, aber eine Wendung, falls gewollt, ist doch immer möglich.