Die globale IE: Der entscheidende Schlüssel im War for Talent der modernen Produktion?
Der „war for talent“ in der Produktion wird darüber entschieden, wie das Industrial Engineering als Funktion in eine nachhaltige Zukunft geführt wird.
Im Jahr 2022 verzeichnete Deutschland eine beeindruckend niedrige Arbeitslosenquote von 2,8% - eine der besten Quoten seit 20 Jahren und lediglich ein Drittel des Wertes von 2002.
Gleichzeitig bewies die deutsche Produktion ihre bemerkenswerte Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg in diesem Zeitraum um beachtliche 75%. Eindrücklich unterstrichen wird dabei die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen verarbeitenden Industrie, nimmt man die Exportquote hierfür als Gradmesser. Denn diese stieg im gleichen Zeitraum von 33% im Jahr 2002 auf über 50% im Jahr 2022.
Neben den bekannten Erfolgsfaktoren, wie zum Beispiel der soliden beruflichen, aber auch universitären Ausbildung in Deutschland, durften mein Team und ich insbesondere mit der in Deutschland üblichen Aufstellung des Industrial Engineerings Erfolge feiern.
Zunächst ist es im internationalen Vergleich oftmals hervorstechend, dass sich das Industrial Engineering nicht nur auf eine Optimierung durch den Lean-Methodenbaukasten oder gar reines „Firefighting“ konzentriert. Vielmehr hat sich in erfolgreichen Unternehmen durchgesetzt, das Industrial Engineerings in einem Dreiklang aus Experten für methoden-basierter Verbesserung (z.B. für Lean, 6Sigma, Shainin), Technologiespezialisten für die Produktivitätsschöpfung bei Investitionen in Maschinen und Anlagen und schließlich, wenn die beiden vorgenannten nicht mehr den Ansprüchen des internationalen Wettbewerbs genügen, Fachkräften für Fragen des Footprints, Make-or-Buy oder ganz allgemein des Produktionsnetzwerkes, aufzustellen. Neu hinzugekommen ist in den letzten 10 Jahren noch die Digitalisierung der Produktion. Diese unterstützt nun die methoden-basierten Optimierung durch eine zuvor nie gekannte Transparenz der Produktionsprozesse. Die Kollegen der technologiegeführten Verbesserungsmassnahmen profitieren von hochgenauen Prozessdaten, nicht nur für das Neudesign von Anlagen, sondern auch im Hochlauf neuer Anlagen. Und erfolgreiche Standortverlagerungen sind ohne die Digitalisierung der Altprozesses und dem kontinuierlichen Abgleich mit den Abläufen am neuen Standort nicht mehr denkbar.
Weiterhin ist oftmals das Industrial Engineering von Anfang an als zentrales, globales Team definiert und seine Strukturen darauf ausgelegt. Und genau das könnte sich in Zukunft über die bereits gefeierten Erfolge hinaus als ein sehr wertvoller Wettbewerbsvorteil erweisen:
Der „war for talent“ ist im vollen Gange. Dauerte es vor einem Jahr durchschnittlich noch ca. 160 Tage, eine Stelle zu besetzen, sind es nun bereits fast 200. Und in den nächsten 10 Jahren wird die erwerbstätige Bevölkerung laut dem Bundesamt für Statistik nochmals um bis zu 10% abnehmen.
Das globale Setup des Industrial Engineerings kann hier nun als entscheidender Treiber für die Produktivität eines Unternehmens fungieren und somit zum differenzierenden Wettbewerbsvorteil werden.
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Denn schon jetzt stellt es eine enorme Herausforderung dar, als Unternehmen sicherzustellen, dass an allen Standorten ausreichend Expertise, Fachwissen und Know-How für die Produktion und damit einhergehend für das Produktivitätsmanagement vorhanden ist.
Unser Operationsteam bei dormakaba beispielsweise verantwortet knapp 20 Standorte, die über den Globus verteilt sind. Es ist kaum möglich, in jedem jeweils ein ausreichend grosses und gut ausgestattetes Spezialistenteam für Industrie 4.0, spanende Bearbeitung/Montage und gleichzeitig Lean aufzubauen. Das hierfür benötigte Talent, die Menschen mit der entsprechenden Ausbildung, gibt es nicht immer und überall. Aber die Besten in den genannten Bereichen zu rekrutieren, egal wo sie leben, und zu virtuellen, globalen Teams zusammenzustellen, die dann auch mal persönlich, vor Ort, ansonsten aber virtuell unterstützen? Das funktioniert schon eher.
Um diesen Ansatz dann erfolgreich umzusetzen, sind jedoch geeignete Teamstrukturen, Prozesse und eine leistungsfähige technische Infrastruktur erforderlich. Unternehmen, die ihre Industrial Engineering-Abteilungen bereits globalisiert haben, verfügen in dieser Hinsicht über unschätzbare Vorteile.
Es mag dabei verlockend sein, Industrial Engineering Teams für die tagtäglichen Herausforderungen in den Werken auch lokal vorzuhalten. Und ja, vor Ort sind in der Tat kleine, schlagkräftige Umsetzungs- und Problemlösungsteams erforderlich.
Den entscheidenden Wettbewerbsvorteil erzielt man jedoch nur durch herausragende Produktionsexpertise, die durch Spezialisierung entsteht.
Diese Spezialisierung kann zum einen durch die Konzentration auf einzelne Themen erreicht werden, die in der Regel nicht häufig in einzelnen Werken auftreten, sehr wohl jedoch in einem Werkeverbund. Und zum anderen über das Erwerben von Know-How über Technologien, die nicht unbedingt in den Regionen entwickelt werden, in denen Werke angesiedelt sind. Sondern dort, wo Erfahrungen aus verschiedenen Branchen, Think Tanks, Industrie Cluster und Experten, die sich mit ähnlichen Problemstellungen beschäftigen, aufeinandertreffen und sich gegenseitig bereichern.
Und beides bekommen Sie in der Regel nur über eine globalisiertes Industrial Engineering hin.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Ich freue mich auf Ihren Input!