Die hohe Kunst des Zuhörens
Aktives Zuhören ist das Fundament für erkenntnisreiche Tiefen-Interviews.

Die hohe Kunst des Zuhörens

Wer gute Software entwickeln will, muss erst einmal die Leute, für die diese Software gedacht ist, kennenlernen und ihre Bedürfnisse, Ziele, Wünsche, Probleme und Sorgen im Detail verstehen. Um dies zu erreichen, ist eine ganz spezielle Kernkompetenz vonnöten: aktives Zuhören.


Zuhören? Ist doch kein Hexenwerk, oder?

Die Kunst des aktiven Zuhörens wird oft unterschätzt, weil sie die höchste Qualitätsstufe des Zuhörens darstellt. Hast du das Gefühl, dass du diese Kunst bereits in Perfektion beherrschst? Dann mach doch das nächste Mal, wenn jemand dir etwas erzählt, einen kleinen Selbstversuch: Versuche dir zu merken, was dir durch den Kopf geht, während dein Gegenüber gerade spricht, und wie du auf die verschiedenen Aussagen reagierst.

Vergleiche dann dein Verhalten mit den hier vorgestellten Qualitätsstufen für gutes Zuhören und bewerte möglichst ehrlich, welche dieser Stufen die größten Übereinstimmungen mit deinem Verhalten hat:


Qualitätsstufe 1: Die Lauerstellung

Bei diesem untersten Level des Zuhörens bekommst du durchaus ungefähr mit, was die andere Person erzählt. Allerdings erinnert dich das an etwas, das du unbedingt einbringen willst. Und spätestens ab diesem Zeitpunkt hörst du nicht mehr richtig zu, weil du nur auf die Lücke wartest, in der du dein Gegenüber unterbrechen kannst, um endlich das loszuwerden, was dir eingefallen ist und was dir zu diesem Thema als besonders wichtig erscheint.


Qualitätsstufe 2: Das empathische Mitteilungsbedürfnis

In der zweiten Qualitätsstufe bist du imstande, dich genau in die Situation, die dein Gegenüber schildert, hineinzuversetzen: Du kannst nachempfinden, was die andere Person dabei gedacht und empfunden hat. Das teilst du ihr auch mit und schilderst ausführlich, wie dir einmal etwas ganz Ähnliches passiert ist. Erst nach dem Gespräch fällt dir auf, dass dein eigener Redeanteil insgesamt höher war als der deines Gegenübers.


Qualitätsstufe 3: Der Lösungsgenerator

In dieser bereits recht fortgeschrittenen Stufe des Zuhörens hörst du dir das Problem der anderen Person geduldig an und bist auch in der Lage, es gut nachzuvollziehen. Und nicht nur das: Dir fallen, während du zuhörst, viele gute Ideen ein, wie man das Problem angehen und lösen könnte. Großmütig legst du deinem Gegenüber diese Lösungsvorschläge und hilfreichen Tipps vor. Dabei fällt dir jedoch leider nicht auf, dass niemand dich um einen Rat oder eine Lösung gebeten hat.


Qualitätsstufe 4: Das aktive Zuhören

Wir sind bei der Königsdisziplin angelangt. Hier hörst du nicht einfach nur zu: Du verfolgst dabei nur ein einziges Ziel: zu verstehen, was dein Gegenüber sagen möchte und was es mit dem Gesagten meint. Du nimmst dabei zwar aktiv am Gespräch teil: Du hakst nach, stellst Verständnisfragen, unterbrichst an manchen Stellen, wirfst etwas ein. All dies tust du aber nur, um sicherzustellen, dass du dein Gegenüber richtig und tiefgründig verstehst. Deine eigenen Ansichten, Gedanken und Emotionen stellst du dabei komplett zurück.


Um aktiv zuhören zu können, bedarf es daher mehr als nur einer Methode: Du musst einen ganzen Methodensatz sicher beherrschen. Hier nur ein kleiner Auszug:

  • Zusammenfassen: Wenn dein Gegenüber ausschweift, gibst du die Kernpunkte des Gesagten wider, um sicherzustellen, dass du diese richtig identifiziert hast.
  • Schärfen: Wenn die andere Person Dinge nur andeutet oder eine ungenaue Wortwahl trifft, formulierst du ihre Aussagen so um, dass sie konkret und eindeutig werden. Auch hier fragst du sie natürlich, ob deine Umformulierung dem entsprecht, was sie sagen wollte.
  • Umkehren: Vielen Menschen fällt es leichter zu beschreiben, was ihnen nicht gefällt – sie benötigen aber Hilfe dabei, daraus ihre jeweiligen Wünsche zur Veränderung abzuleiten, also das Negative zum Positiven umzukehren.

Die wichtigste Fähigkeit beim aktiven Zuhören ist jedoch, dass man weiß, wie und wann man die richtigen Fragen stellt:


Wortwörtlich fragwürdig

Es gibt verschiedene Arten von Fragen – grundlegende, wie offene und geschlossene Fragen, sowie spezifischere, wie rhetorische Fragen. Die folgenden vier Frageformen haben wir hier nach ihrer Funktion benannt. Sie sollten in keinem Werkzeugkasten für aktives Zuhören fehlen:

  • Erzählstarter: Wenn du jemanden dazu bringen möchtest, möglichst ausführlich über das Gesprächsthema zu sprechen, eignet sich ein Erzählstarter: „Wann und wie hat das Ganze aus deiner Sicht eigentlich angefangen?“
  • Perspektivendreher: Mit diesen Fragen hilfst du deinem Gegenüber, die Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Dafür kannst du dir ein konkretes Beispiel ausdenken: „Was würde dein früherer Chef über deinen Kommunikationsstil sagen, wenn ich ihn fragen würde?“
  • Quantifizierer: Diese Art von Frage ist nützlich, um besser zu verstehen, wie wichtig oder belastend etwas für die andere Person ist. Ein Beispiel: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wobei 1 ‚gar nicht‘ und 10 ‚ständig‘ bedeutet – wie sehr hat dich dieser Vorfall beschäftigt?“
  • Auflockerer: Wenn du das Gefühl hast, dass sich dein Gesprächspartner durch äußere Umstände gehemmt fühlt und sich deshalb nicht frei äußern kann, kannst du einen Auflockerer einsetzen: „Stell dir vor, ich hätte einen Zauberstab und könnte dir jeden Wunsch erfüllen. Was würdest du dir dann wünschen?“

Diese vier Frageformen sind natürlich bei weitem nicht die einzigen wichtigen Fragetechniken – aber sie veranschaulichen, wie man mit unterschiedlichen Fragen in einem Gespräch ganz bestimmte Ziele verfolgen kann.

Mühe, die sich auszahlt

Wie du siehst, ist aktives Zuhören eine anspruchsvolle Fähigkeit, die nicht zu unterschätzen ist. Sobald du sie jedoch beherrschst, verfügst du über eine entscheidende Grundlage, um anhand von Tiefen-Interviews wertvolle Erkenntnisse über die Nutzer·innen deiner digitalen Lösung zu gewinnen.

Wenn du mehr über Nutzerforschung und die Methode des Tiefen-Interviews erfahren möchtest, melde dich jederzeit bei uns: Wir unterstützen dich gern.

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