Die irrenführenden Rückschlüsse aus nicht durchdachten Evaluationsbogen...

Die irrenführenden Rückschlüsse aus nicht durchdachten Evaluationsbogen...

...oder aus welchem Grund Sie bestehende, qualitativ mangelhafte Evaluationsbogen als Lehrperson NICHT überbewerten sollten.

Wir leben in einer Zeit wo Kundenorientierung in der Dienstleistungsgesellschaft, mindestens in Leitbilder und auf dem Papier, wichtig scheinen. Diese Kunden-orientierung wird nach jedem Kundenerlebnis mit verschieden Mitteln – oft mit mehrmaligen E Mail Nachrichten – erhoben. Manchmal mittels einer Auswahl an Tasten von rot zu grün beim Ausgang von Toiletten, manchmal mit einem Feedbackformular im Hotel. Oft und öfters mit einem Link, worauf man antworten soll.

Sogar bei den Logistikcentern der Schweizer Armee macht es keinen Halt. Man ist plötzlich auch dort Kundeund aus einem Zeughaus ist eben ein Logistikcenter geworden und die Soldaten plötzlich externe Kunden. Nach der Logik der Zeit ist es klar, dass auch dort die Kundenzufriedenheit gemessen werden soll. 

Szenenwechsel: Erwachsenenbildung - Kursevaluation nach dem Unterricht.

Mit Verlaub, haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, ob Sie aus einem solchen sehr oft mangelhaften Formular – mit abenteuerlichen Skalierungen (ganz unzufrieden / zum Teil unzufrieden / eher unzufrieden / entspricht den Erwartungen / entspricht klar den Erwartungen / entspricht in hohen Massen den Erwartungen u.s.w.) als Institution und Lehrperson etwas und was im Sinne von «Unterrichtsqualität» und «Weiterentwicklung als Institution» lernen können?

Bei gewissen Formulierungen schrecken Institutionen auch nicht von Manipulationen zurück: «Wie zufrieden waren Sie mit dem Unterricht?»…denn es ist klar, der Unterricht war gut. Aus welchem Grund wählt man hier nicht eine neutralere Formulierung: «Wie ist bei Ihnen der Unterricht angekommen?» «Wie haben Sie den Unterricht erlebt?» (und dann nach den Beobachtungen fragen, welche den Teilnehmenden zu dieser Einschätzung führt). 

Schauen wir uns die verschiedenen Bereichen einer Kursevaluation an, dann stellt sich die Frage: «Können die Teilnehmenden den Punkt überhaupt beurteilen und auf welche Beobachtungen und Erlebnisse stützen sie ihre subjektive Beurteilung?».

Nehmen wir den von den Lehrpersonen viel befürchteten Punkt*: «Wie beurteilen Sie die Fachkompetenz der Kursleitung?» (*Viel befürchtet, da in nicht wenigen Institutionen die Kursevaluation 1:1 in die Jahresqualifikation des Lehrpersonals einfliesst nach dem Motto: «Wenn die Kursevaluation gut ist, ist dieLehrperson gut»).

Mit Verlaub ein paar ketzerische Fragen auf die obenerwähnte Frage bezogen:

1.   Ist es wirklich eine Aufgabe der Teilnehmer die Fachkompetenz einer Lehrperson zu beurteilen? Soll nicht die Institution und die Lehrgangsverantwortung bereits bei der Selektion von Lehrpersonen dafür sorgen? Nach welchen Beobachtungen und Erlebnissen wird er dies tun? Ist er dafür qualifiziert, eine Kursleitung (zum Beispiel im Grundkurs) im Fachbereich aussagekräftig zu beurteilen?

2.   Was passiert, wenn das Thema einem Teilnehmenden nicht liegt (Grundkurs «Statik» für Bauleute als Beispiel, in der Annahme, dass es für viele Leser eher ein komplexes Thema sei). Wird diese Person die Unterscheidung zwischen «das Thema liegt mir nicht, wurde jedoch sehr fachkompetent unterrichtet» machen können? Oder wird die Kursleitung für das eigene «Unvermögen» als Teilnehmende in diesem Punkt abgestraft?

3.   Welche Rollen haben Lehrpersonen im Unterricht, wenn sie ihre Aufgabe wahrnehmen? Sollen sie eine Wohlfühloase kreieren, wo man sich wohlfühlt, sich nicht Fragen stellen muss und sich alle «gern» haben? Ist es nicht auch Aufgabe des Lehrpersonals in einer Lehrpersonsequenz die Teilnehmenden an ihre Grenze zu bringen und Lernwachstum zu ermöglichen? Bekommt man dann eine gute Bewertung von dem Teilnehmenden, wenn man als Lehrperson unbequem war?

4.   Welche Rolle spielen hier die Teilnehmenden selbst, wenn sie mit der Erwartung «Ich lasse mich überraschen» in den Unterricht kommen? Reicht es aus, mit einer solchen Erwartung in den Unterricht zu kommen, um die Fachkompetenz einer Lehrperson beurteilen zu können? (nur als Anmerkung, die Frage «Was haben Sie für Erwartungen» stelle ich nie. Meine Frage lautet: «Was wollen Sie heute lernen oder erfahren, je nach Thema, denn die Teilnehmenden sollen vom Anfang an die Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen.

5.   Welche Rolle spielt die momentane Situation der Teilnehmenden, wenn diese Frage beantworten wird? Fühlen sie sich beruflich wohl? Oder stehen Veränderungen im Betrieb an? Wie interpretieren sie Sinn und Zweck der Teilnahme am Kurs?

6.   Welche Rolle spielt das Fach? Welche Auflagen haben Sie als Lehrperson? Sind Sie an vorgeschriebene Feinlernziele oder Lehrziele gebunden? Wenn ja, aus welchem Grund wird zum Beispiel gefragt: «Wie beurteilen Sie die Wahl des im Unterricht behandelten Stoffes?».

7.   Was ist Sinn und Zweck des Unterrichtes? Aus welchem Grund wird folgende Frage gestellt? «Können Sie das Gelernte im Berufsalltag umsetzen?». Was passiert, wenn Sie als Organisation oder Lehrperson mit einem «Nein» konfrontiert werden? Was heisst das? Bekommt zum Beispiel der Teilnehmende die Befugnisse vom Vorgesetzten nicht, um das Gelernte umzusetzen oder es fehlen zum Beispiel die nötigen Einrichtungen.

Mut zu neuen Evaluationsbogen

Evaluationsbogen sind ein wichtiges Instrument für die Qualitätssicherung, wenn sie durchdacht sind. Sie sollen jedoch lediglich ein Mosaikstein für die Qualitätssicherung sein und sollen aus diesem Grund durch Hospitationen, Supervisionen und Intervisionen ergänzt werden.

Aus diesem Grund haben Sie den Mut neue Evaluationsbogen zu kreieren. Worauf sollen Sie achten? 

…zuerst fühle ich mich verpflichtet, die eingangs gestellter Frage «Wie beurteilen Sie die Fachkompetenz der Kursleitung» für den aufmerksamen Leser dieses Artikels umzuformulieren: «Wurden Ihre Fragen gemäss Kurszielen kompetent beantwortet?» / «Hat die Kursleitung aktuelle und persönliche Beispiele eingesetzt, um die Kursziele und das Kursthema praxisbezogen zu vermitteln?» … und dann «Wie kommen Sie zu Ihrer Einschätzung?»

·       Stellen Sie offenen Fragen, damit die Teilnehmenden nicht «Lottozettel» ausfüllen, sondern auch die Punkte begründen dürfen. Auch wenn Sie als Lehrperson mit der Bestnote beurteilt werden, wissen Sie nicht aus welchem Grund. Es kann sogar sein, dass Sie die Bestnote erhalten haben, weil Sie in Ihrer Rolle als «nicht bedrohlich» empfunden wurden oder einfach mit den Teilnehmenden sympathisch und nett waren.

·       Verteilen Sie bitte die Evaluationsbogen spätestens nach der Nachmittagspause, damit die Teilnehmenden ausreichend Zeit haben, diese seriös auszufüllen. Viele kennen den Satz 5 Minuten vor dem Schluss… «Übrigens, ich verteile noch kurz den Evaluationsbogen mit 24 Fragen aus, welchen ich am Ende noch einsammeln werde».

·       Präzisieren Sie die einzelnen Punkte: Nicht «Wurden die Kursziele erreicht»; sondern «Wurden die Kursziele gemäss Kursausschreibung erreicht» und geben Sie sich bitte nicht zufrieden mit Smileys, Sonnenschein, Zahlen u.s.w.. Fragen Sie nach: «Wie kommen Sie zu Ihrer Einschätzung?» oder «Aus welchem Grund?» oder «Erzählen Sie uns bitte, aus welchem Grund». So gewinnen Sie die benötigten Einsichten, um die Qualität zu steigern.

·       Binden Sie bitte – gegeben falls – auch die Führungsstufe ein und fragen Sie zum Beispiel: «Wie wurden Sie auf den Kurs durch Ihre Führungsperson vorbereitet?» Die Führungsstufe ist massgebend beteiligt nicht nur an der Führung des Teilnehmenden, sondern auch auf die Entwicklung und die Einforderung (Lerntransfer) des Unterrichtes.

·       Fragen Sie bitte nur nach, was Sie als Organisation und Institution auch verändern können oder verändern wollen. Aus welchem Grund wird – zum Beispiel im Sommer, bei brühender Hitze – gefragt ob die Räumlichkeiten lernfördernd waren, wenn man kein Budget hat, um klimatisierte Räumlichkeiten zu buchen? Die Teilnehmenden fühlen sich zu recht nicht ernst genommen, wenn sie jedes Jahr Punkte beanstanden, welche nicht verändert werden können.

·       Weniger ist mehr. Haben Sie den Mut wenige Fragen zu stellen, jedoch stichhaltige Punkte, welche Sie als Organisation und als Lehrperson im Sinne der Unterrichtsqualität weiterbringen können.

·       Bedanken Sie sich wertschätzend für die Rückmeldung bei jedem Teilnehmenden, denn es ist nicht ausschliesslich Aufgabe Ihrer Teilnehmenden (und schlussendlich zahlenden Kunden) für Ihre Qualitätssicherung und Ihre Weiterentwicklung zu sorgen.

Überprüfen Sie die Aussagekraft Ihrer Fragebogen. Stellen Sie sich die Fragen, ob die Teilnehmenden die Fragen überhaupt beantworten können, ob sie die verwendeten Fachbegriffe überhaupt verstehen («Wie haben Sie den Methodenmix erlebt? zum Beispiel).

Wegen nicht durchdachten Fragen könnten Sie durch nicht aussagekräftige Topresultate sich in der Illusion wägen, dass Sie ausgezeichnete Qualität im Unterricht anbieten, nur weil Ihre Lehrperson aus Angst von einer schlechten Qualifikation, jegliche Konfrontation auf fachlicher und persönlicher Ebene vermeidet, um bei den Teilnehmenden beliebt zu sein … und schlussendlich in den Evaluationsbogen von ihnen als «überdurchschnittlich gut» (was das immer im Unterricht für eine Bedeutung hat …) bewertet wird.

Viel Erfolg! 

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