Die Kunst der "agilen Transformation"​

Die Kunst der "agilen Transformation"

Damit sich IT-Organisationen vom Unterstützer zum Treiber der Fachabteilungen und des Business entwickeln können, müssen sie die Kunst der "agilen Transformation" beherrschen.

Die "agile Transformation" ist das Zusammenspiel aus Beweglichkeit und Veränderungsbereitschaft. Eine Organisation ist dann agil und beweglich, wenn sie wirklich dazu in der Lage ist, sich verändern können. Zudem muss sie aber auch bereit sein, sich verändern zu wollen.

IT-Organisationen kämpfen mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen, wenn sie agiler werden wollen.

Ausrichtung am Geschäftsprozess

IT-Organisation werden in der Regel so strukturiert, dass sie sich an den Geschäftsprozessen ausrichten. Diese Vorgehensweise geht auf das Gesetz von Conway zurück: "Das Gesetz von Conway basiert auf der Überlegung, dass für die Definition der Schnittstellen zwischen getrennten Softwaremodulen zwischenmenschliche Kommunikation notwendig ist. Daher haben die Kommunikationsstrukturen der Organisationen einen großen Einfluss auf die Strukturen dieser Schnittstellen."

IT-Organisationen deren Struktur an den Geschäftsprozessen ausgerichtet ist, sollten somit auch IT-Systeme hervorbringen, die die Geschäftsprozessen optimal unterstützen. Die etablierten und auch in den Systemen manifestierten Strukturen, sind jedoch alles andere als beweglich: Sie sind auf Stabilität ausgelegt.

In Zeiten, in denen sich Geschäftsprozesse aufgrund neuer Geschäftsmodelle rasant verändern, kann die Ausrichtung der IT-Organisation am Geschäftsprozess eine Hürde darstellen. Beziehungsweise sollte sich die Struktur der IT-Organisation immer im Gleichklang mit dem Geschäftsprozess verändern lassen und das erfordert IT-Systeme, die sich bezüglich ihrer Verantwortung ebenso einfach neu schneiden lassen.

Hohe Komplexität durch monolithische Systeme und gewachsene IT-Landschaften

Seit Ashby wissen wir, dass die Komplexität von IT-System und IT-Landschaften mindestens immer so groß sein muss, wie die zugrunde liegende fachliche Komplexität. Diese können wir nicht verringern, ohne wesentliche Steuerungsfunktionen zu verlieren. Über die Jahre hinweg neigen aber IT-Systeme zusätzlich künstliche Komplexität anzusammeln. Es entstehen Monolithen, die sich fast nicht mehr aufbrechen lassen und das vor allem nicht schnell.

Es werden aktuell unterschiedliche Ansätze und Paradigmen diskutiert, wie Systeme entworfen werden müssen, damit sie einen höheren Grand an Beweglichkeit und schnelle Anpassbarkeit an verändernde Rahmenbedingungen aufweisen.

Paradigma: Denken in Ökosystemen

Um Komplexität für den Menschen beherrschbar zu machen, hilft das Prinzip der Dezentralisierung und das damit verbundene Ausblenden des Ganzen für die Konzentration auf das Wesentliche. Ein Ökosystem konzentriert sich auf einen spezifischen Teil einer Wertschöpfungskette oder ein dediziertes Geschäftsmodell. Es zieht eine klare Grenze und blendet damit Komplexität aus. Innerhalb des Ökosystems wird eine zentrale Autorität etabliert, die Governance über die Architektur übernimmt. Über offene Schnittstellen kann mit dem Ökosystem kommuniziert werden. Innerhalb des Ökosystems gelten klare Regeln für die Erweiterbarkeit und das Zusammenspiel der einzelnen Module und Komponenten. Diese Herangehensweise geht davon aus, dass der Kern eines Ökosystems, wie z.B. die Grundfunktionalität eines ERP beständig sind und einem Produktkonzept folgen können. Aus meiner Sicht orientiert sich das neue SAP S/4HANA basierend auf der SAP HANA Plattform sehr stark an obigem Paradigma und gibt ein gutes Beispiel für die Beherrschbarkeit von Komplexität.

Paradigma: Denken in Re-Buildable-Systemen

Einen radikaleren Ansatz stellt das Denken in Re-Buildable-Systemen dar. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Systeme immer so entworfen werden sollen, dass sie jederzeit in ihre Bestandteile zerlegt und neu zusammengesetzt werden können. Das ist eine Revolution der Paradigmen der Wartbarkeit und Weiterentwickelbarkeit. Man geht nicht mehr davon aus, dass es einen stabilen Kern gibt, der mit wenig Aufwand anpassbar gehalten wird, sondern dass das gesamte System grundlegend verändert werden kann, wenn es notwendig erscheint. Dieses Paradigma unterstützt das Denken in Geschäftsmodell-Innovationen und ist dann erforderlich, wenn Unternehmen davon ausgehen, dass disruptive Kräfte die etablierten Geschäftsprozesse jederzeit verändern können und ein Zerlegen und Neu-Zusammensetzen des Geschäftsprozesses erforderlich machen. Ein prominentes Beispiel ist Amazon. Aufgrund seiner Systemarchitektur ist Amazon in der Lage kontinuierlich neue Geschäftsmodelle zu schaffen und dabei bestehende IT-Funktionalität neu zu kombinieren. Und damit ist Amazon, frei nach Schumpeter, ständig in der Lage in "schöpferischer Zerstörung" durch Rekonfiguration seiner Produktionsfaktoren "IT-Funktionalität" Neues zu schaffen.

Structure follows Strategy

Letztendlich hängt es von der Geschäftsstrategie ab, welche Freiräume zur Veränderung notwendig sind und welche Rahmenbedingungen für mehr Beweglichkeit basierend auf den obigen Paradigmen hierfür zu setzen sind.

Neben der optimalen Ausrichtung der IT-Organisation ist aber auch der Wille zu stetiger Veränderung entscheidend.

Netzwerk als Duales Betriebssystem

Wenn starre Hierarchien und eingefahrene Ablaufstrukturen, mangelnde Bereitschaft zur Veränderung im mittleren Management, sowie eine archaische Führungskultur Veränderungswillen im Keim ersticken, dann kann ein Netzwerk als Beschleuniger bei der Veränderung helfen. Diesen Ansatz hat Kotter in seinem Artikel Accelerate! im HBR vorgestellt. Das duale Betriebssystem besteht einerseits aus der etablierten hierarchischen Aufbauorganisation, ohne die im Unternehmen Chaos ausbrechen würde, und zusätzlich aus einem Beschleunigungsnetzwerk, um Innovationen und Veränderungen durchzusetzen. Kotter formuliert einfache Prinzipien, wie das Netzwerk funktionieren kann, wie z.B.

  • Verankerung einer Koalition der Willigen aus dem Führungszirkel und dem mittleren Management im Netzwerk,
  • Entwicklung einer anschlussfähigen Vision durch das Netzwerk
  • schnelle Erfolge bei der Umsetzung und darauf aufbauend eine wirksame Kommunikation,
  • Nachhaltige Verankerung von Ergebnisse und Ver­än­de­run­gen in den Prozessen und Systemen der Hierarchie.

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Und dieser Weg ist für jedes Unternehmen einzigartig, er beruht immer auf "Emerging Practices", die es selbst zu entdecken und entwickeln gilt. Sie basieren immer auf der Kultur, der Historie und der zukünftigen Ausrichtung. Das bedeutet die "agile Transformation" bedarf einer auf das Unternehmen und die IT-Organisation abgestimmte Strategie und einer Roadmap, die die Ablauf- und Aufbauorganisation, die Einstellung der Manager und Mitarbeiter, sowie die IT-Systeme und IT-Architektur in Einklang mit den zu erwartenden Geschäftsmodell-innovationen bringt.




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