Die Macht der Narrative

Warum erhält der Begriff #Narrative eigentlich zurzeit eine so große Aufmerksamkeit? Kaum ein Interview oder ein Vortrag, in dem nicht von Narrativen die Rede ist. Mir hat das Buch “Das narrative Gehirn” (bei Suhrkamp Verlag AG erschienen) von Fritz Breithaupt vieles klar gemacht. Breithaupt ist Professor für Kognitionswissenschaften an der Indiana University Bloomington . 

Warum sind viele Menschen zurzeit so wütend, wenn es um die Klimakrise und Nachhaltigkeit geht? Breithaupt schildert, dass wir Menschen ein gutes Ende bei jeder Geschichte erhoffen. Wenn nicht? Dann Wut und Ärger. Fußball-EM-Finale in England. Umstrittene Entscheidung der Schiedsrichterin, England gewinnt den Titel. Ärger und Wut bei den deutschen Fans. In Filmen ist es genauso. Die meisten Zuschauer wünschen, dass der Film so ausgeht, wie sie es sich erhoffen. Ansonsten: Enttäuschung. Und so ist es auch bei den großen politischen und gesellschaftlichen Themen wie Nachhaltigkeit und Klimakrise. Ärger, Wut und das Gefühl von Machtlosigkeit, wenn es nicht schnell genug geht oder anders abgebogen wird als erhofft. Breithaupt erinnert in seinem Buch an die Redewendung “im falschen Film zu sein”. 

Statt Ohnmacht kommt so das Gefühl von Hoffnung auf Veränderbarkeit auf.

Wie lassen sich dann neue Wege einschlagen? Auch da ist der Wunsch nach einem guten Ende einer Geschichte wichtig. Es kann bei Change-Prozessen nur darum gehen, große Projekte in kleine Häppchen zu unterteilen, die erfolgreich umgesetzt werden können. Statt Ohnmacht kommt so das Gefühl von Hoffnung auf Veränderbarkeit auf (“Aha-Effekt”). So etwas ist wichtig, wenn es um Megathemen wie Mobilitätswende oder erneuerbare Energie geht. Kleine Erfolge müssen gefeiert und diese Erfolgsgeschichten weitererzählt werden. Emotionen wecken, Menschen staunen lassen. Dann werden die Erkenntnisse weitergetragen und im Alltag überprüft und dann wieder weitergetragen … - bis sie zu einem weitverbreiteten Narrativ werden. 

Chefsache? Je glaubwürdiger die erzählenden Personen, desto schneller und größer der Erfolg. In dem Sachbuch werden die Gebrüder Grimm genannt und ihre Leistung bei der Verbreitung der Volksmärchen. 

Ein Zitat aus dem Buch zum Schluss: “In jeder Geschichte liegt das Potential des Auszugs aus einer als zu eng wahrgenommenen Welt. Wenn wir dieses Potential nutzen, eröffnet sich uns ein intensiveres, reicheres Leben.”

Das Buch: "Das narrative Gehirn", Suhrkamp, 28 Euro, 368 Seiten, erschienen 06/22

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