Die Teilzeitillusion: Mütter zwischen vermeintlicher Freiheit und finanzieller Abhängigkeit
Foto: Bülent Teztiker

Die Teilzeitillusion: Mütter zwischen vermeintlicher Freiheit und finanzieller Abhängigkeit

"Ich werde nie wieder Vollzeit arbeiten, wenn ich nicht muss", habe ich jahrelang zu meinen Kolleg*innen gesagt. Und ganz ehrlich: mit vier Kindern konnte ich mir das auch nicht anders vorstellen. Ganz abgesehen davon, dass nicht mein Gehalt, sondern das meines Mannes entscheidend für unsere Familie war. Und so wie es mir ging, geht es Millionen Frauen in Deutschland.

Doch dann kam Covid und alles änderte sich. Da mein Ehefreund als DJ arbeitet und mit Beginn der Pandemie alle Clubs geschlossen wurden, war von einem Tag auf den anderen mein Einkommen das Maßgebliche, auf das wir in dieser Zeit zählen konnten. Allerdings traf mich die Erkenntnis hart, dass wir mit meinem Vollzeitgehalt - welches durch meine jahrelange Teilzeittätigkeit deutlich niedriger ausfiel - nicht einmal unsere Fixkosten decken konnten. Was ich in all den Jahren offensichtlich ausgeblendet hatte, waren die Schattenseiten einer jahrelangen Teilzeitbeschäftigung. Menschen, die in Teilzeit arbeiten, werden in der Regel beruflich kaum weiterentwickelt und bekommen wesentlich geringere Gehaltssteigerungen.

Heute sage ich deshalb:

Arbeiten in Teilzeit mag verheißungsvoll klingen. Faktisch zwingt es Mütter aber in die finanzielle Abhängigkeit ihrer Partner.

Denn: die gleiche Tätigkeit in Teilzeit wird deutlich schlechter bezahlt als in Vollzeit. Der Part-Time-Wage-Gap beträgt rund 17 Prozent. Das mag auf den ersten Blick nach nicht viel Geld klingen. Aber bei einem Gehalt von 3.000 Euro fehlen Frau hier jeden Monat 500 Euro. Aufs Jahr hoch gerechnet sind das bereits 6.000 Euro, nach 30 Berufsjahren kommen somit 184.000 Euro zusammen (die sich verzinst zu noch mehr entwickeln). Jahrelange Teilzeittätigkeit wirkt sich also immens negativ auf das Erwerbseinkommen von Frauen aus. Wer jedoch weiterhin in Vollzeit arbeitet – wie 94% aller Männer in Deutschland – dem treiben Schlagzeilen vor einer drohenden Altersarmut nur wenig Schweißperlen auf die Stirn.   

Die viel gepriesene Teilzeit ist kein Nischenphänomen, die Zahlen sprechen eine klare Sprache, leider: Mittlerweile arbeitet fast die Hälfte der Frauen in Teilzeit, so viel wie in kaum einem anderen europäischen Land. Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr steigt die Teilzeitquote weiter an, weil sich Frauen verstärkt um Kinder kümmern.

Als Grund für die Teilzeitarbeit wird oft die „Work-Family-Balance“ genannt. Auch ich habe jahrelang geglaubt, nur mit Teilzeitarbeit Familie und Beruf unter einen Hut bringen zu können. Letztlich ist das jedoch ein Trugschluss, der für Mütter mit erheblichen finanziellen Einbußen verbunden ist.

Diese Situation muss dringend geändert werden. Dazu sollten Unternehmen und Politik folgende Rahmenbedingungen anpassen, damit Mütter ihre finanzielle Unabhängigkeit bewahren können:

  1. Flexible Arbeitszeitmodelle fördern: Unternehmen müssen verstärkt flexible Arbeitszeitmodelle einführen, die es Müttern ermöglichen, ihre Tätigkeit vollzeitnah an die jeweiligen Bedürfnisse der Familie anzupassen. Home-Office-Möglichkeiten, Gleitzeit und Job-Sharing sind nur einige Beispiele. Dies schafft nicht nur mehr Chancengleichheit, sondern trägt auch zur langfristigen beruflichen Entwicklung bei.
  2. Lebensphasenorientierte Personalpolitik: Unterschiedliche Lebensphasen erfordern unterschiedliche Angebote. Ob für Singles, Familienmitglieder, pflegende Angehörige, ältere Menschen oder Kranke: Für jede Lebensphase der Mitarbeiter*innen sollte es Angebote geben. Dies ist ein starkes Zeichen der Wertschätzung seitens des Unternehmens und steigert dadurch die Mitarbeiter*innen-Zufriedenheit.
  3. Unterstützung des Partners: die gleichberechtigte Aufteilung der Care-Arbeit, trägt dazu bei, dass Frauen mehr Zeit und Energie in ihre beruflichen Ziele investieren können. Dadurch können Mütter kontinuierlich im Arbeitsmarkt präsent bleiben, ihre Fähigkeiten weiterentwickeln und berufliche Aufstiegschancen nutzen.
  4. Erschwingliche und stabile Kinderbetreuung: Staatliche Programme und betriebseigene Kindergärten sollten Frauen mit Kindern aktiv unterstützen, indem sie eine erschwingliche und qualitativ hochwertige Betreuung ermöglichen. So können Mütter ihre Karriere nah an Vollzeit fortsetzen, ohne sich um die Betreuung ihrer Kinder sorgen zu müssen. Eine solche Infrastruktur stärkt nicht nur Frauen, sondern die gesamte Gesellschaft. Politik und Wirtschaft dürfen und müssen hier wesentlich enger zusammenarbeiten.

Die Entscheidung für Teilzeit ist oft der direkte Weg in die finanzielle Abhängigkeit. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, brauchen wir endlich Chancengleichheit für alle, die parallel zum Beruf Kinder auf ihrem Lebensweg begleiten.

Mir schwebt eine Arbeitswelt vor, in der Mütter ihre beruflichen Träume verwirklichen können, ohne Monat für Monat auf Geld verzichten zu müssen. In der sie finanziell unabhängig von ihrem Partner sind. Eine Welt, in der Frauen mit Kindern ihr ganzes Potenzial im Unternehmen entfalten können - ohne die Aussicht, im Alter auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein. 


Caroline-Lucie Ulbrich

Organizational growth & transformation | strategic project execution for senior leaders | innovation & impact | international experience (EU, Southeast Asia, UAE, US)

6 Monate

Sabine Rath Bravo, Frau Rath. Machen Sie eine Kampagne daraus. Ich würde mit dem Artikel an alle großen Medien gehen - von Spiegel hin zu Focus hin zu Brigitte. Meiner Meinung nach werden genauso solche Themen - finanzielle Benachteiligung aufgrund von unentgeltlicher Familienarbeit - in der BRD viel zu wenig thematisiert. Es braucht "aggressives" Lobbying, damit sich die Verhältnisse ändern. Vor kurzem erschien hier auf LinkedIn ein Post zu dem Buch "Um CARE - wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert". Vielleicht sinnvoll, sich auch mal mit den Autorinnen des Buches zu vernetzen bzw mit der Dame, die den Post hierzu abgesetzt hat. Ich habe Sie in dem Post von Christina Gleinser getaggt.

Monika Knaus

Strategische Marketingexpertin mit Leidenschaft für Innovation und Kundenbindung

6 Monate

Starke Worte 👏 ich stieg (fast ein wenig ungewollt) 19 Monate nach der Geburt meiner Tochter wieder Vollzeit in einem neuen Job ein. Ich war damals fast ein wenig überrascht "was die wollen eine frischgebackene Mama einstellen?". Aber dank tollen Role-Models bei uns im Unternehmen und auch in vielen anderen (vorwiegend IT) Unternehmen, hab ich das Vertrauen und das Selbstbewusstsein erlangt, dass ich keine Schuldgefühle haben muss, bloß weil ich als Mama Vollzeit arbeite. Leider wird das einem, gerade am Land, häufig eingeredet. Ich finde es toll, dass es Vorbilder, wie auch dich, gibt, damit das Thema sichtbarer gemacht wird.

Cordula Vis-Paulus

➡️ Großartige Benefits-Konzepte für Unternehmen, die den Unterschied bewirken wollen. Betriebliche Altersvorsorge & Gesundheitsbenefits für familienorientierte Unternehmen

7 Monate

Sehr gut geschrieben! 👏🏻👏🏻👏🏻 Nach der Teilzeit kommt dann das Gender Pension Gap. Kaum eine sieht es kommen, fast niemand gleich es aus. Deshalb fordere ich: Mit jedem Teilzeitvertrag muss ein Rentenausgleich in der betrieblichen Altersvorsorge einhergehen!

Herwig Brinkmann

Leckstromzange - auch Strom kann tropfen…

8 Monate

Ja, Teilzeit ist weniger im Portemonnaie und dafür mehr private Zeit. Das muss jedem bewusst sein. Es kommt auf die Möglichkeiten im Unternehmen an, auch die TZ Mitarbeiter zu fördern. Hier ist immer ein Geben und Nehmen im Vordergrund sowie ein vertrauensvolles Miteinander. Denn zum Schluss stellt sich Jeder die Frage: „Was kostet es mich/uns“. „Fortbildung“ kostet gleich viel, egal ob Teil- oder Vollzeit-MA. Es bleibt unbenommen, dass „Kinderbetreuung“ noch besser in den Arbeitsalltag integriert werden muss. Es müssen Flexibilitäten auf beiden Seiten zur Verfügung stehen. Viel mehr Verständnis und Vertrauen sind die entscheidende Basis. Den nur mit mehr Nachwuchs HEUTE können wir später unsere (Personal)LÜCKEN kleiner machen. Wie wäre es, wenn Familien mit Kindern in den ersten Jahren weniger (deutlich) und je nach Anzahl der Nachkömmlinge vielleicht keine Lohnsteuer zahlen müssen. Dies würde in verschiedenen Richtungen Anreize realisieren- oder?

Christina Hildebrandt

Kommunikation neu denken 🟰 Unternehmen und Menschen mit moderner Kommunikation sichtbar machen #NeuePR #LinkedInComms #Agediversity #KI #Freelancer

9 Monate

Danke für diesen Realitätscheck

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