Die Verführung von Netflix, Minecraft, LinkedIn & Co. damit wir die Gestaltung unseres Lebens freiwillig abgeben
Matrix
Morpheus: „Du weißt es Dein ganzes Leben. Es stimmt was nicht mit der Welt.“
Neo schweigt.
Morpheus: „Du bist von einer Scheinwelt umgeben, um Dich von der Wahrheit abzulenken.“
Neo: „Welche Wahrheit?“
Morpheus: „Dass Du ein Sklave bist. Du lebst in einem Gefängnis für Deinen Verstand.“
Gerade habe ich mir wieder die legendäre Szene aus der Matrix (1999) bei YouTube angeschaut, bevor sich Neo für den roten Kapsel entscheidet. Die Menschheit lebt in einer künstlichen Welt, die sie von einem selbstbestimmten Leben abhält.
Ich wecke mein iPhone aus dem Flugmodus auf
In der Früh wecke ich mein iPhone aus dem Flugmodus auf. Nun gilt es, 60 Sekunden den Bildschirm anzuschauen und zu behalten, welche Apps sich alle gemeldet haben. E-Mail, LinkedIn, Threema, Signal, bedeutende Artikel, Reaktionen bei Instagram, Anfragen über Facebook… Dann fängt das Abarbeiten an. Auch nach dem Einschalten poppen weitere Meldungen auf und wollen mich durch den Tag steuern.
Ich bin überrascht, wie bereitwillig ich folge. Schon längst ist ein Smartphone mehr als eine Arbeitsunterstützung, ein Computer in Taschenformat oder gar ein Telefon. Eine Auswertung vor Corona zeigte, dass wir 80-mal am Tag nach unserem Handy greifen. Wenn jeder Buchstabe, der eingegeben wird, mitgezählt wird, kommen wir auf 2.500 Eingaben am Tag.
Die notwendige Arbeit ist schnell erledigt. Dann blinken aber LinkedIn, Facebook, Instagram, Twitter und YouTube mit neuen Nachrichten von unseren „Freunden“ aus unserem Netzwerk. Jede App buhlt um Aufmerksamkeit, am besten mit der Anzahl der Meldungen, rot umkreist, die wir uns noch nicht angeschaut haben. Wer nicht aufpasst, sieht die Appelle im Sperrbildschirm – oder schlimmer noch: mit einem akustischen Signal.
Agieren oder reagieren?
Wir wechseln immer mehr von einem pro-aktiven in einen re-aktiven Modus. Können manche sich noch an Zeiten des Leerlaufs erinnern, ist es jetzt kaum noch möglich, sich der Angebote zu wehren. Denn, haben wir alle Apps zufriedengestellt, gibt es immer eine spannende Serie auf Netflix. Amazon oder Disney+, die gar in überaus überzeugendem Ton und visueller Qualität mobil dargestellt wird. Am Ende des Tages wundern wir uns, dass wir zwar sehr beschäftigt waren, aber wenig Kreatives zu Geburt gebracht haben.
Der Griff zum Smartphone ist zum Automatismus geworden. Ein gewisses Suchtpotenzial ist unverkennbar. War es früher die Zigarette, so erleben wir nun fast körperliche und seelische Schmerzen, wenn wir damit experimentieren, unser Mobiltelefon mal einen Tag ausgeschaltet zu lassen.
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Schatzgräber im eigenen Leben
Wenn wir das aber machen, erfahren wir den Zugang in eine andere Dimension. Wie die Archäologen erschließen wir Schicht um Schicht den Anblick auf die Schätze in unserem Inneren, die vom Verzichtbaren zugedeckt waren.
Im Mai verbrachte ich einige Tage mit guten Freunden auf Zypern. Die Flugzeit: 4,5 Stunden. Während des Rückflugs hatte ich nach zwei Stunden das Gefühl, dass wir nun landen könnten. Was tun mit der restlichen Zeit? Ich hatte keinen Film heruntergeladen, wollte keine Zeitung lesen, kein Buch, nicht schlafen.
Ich kratzte an der Schicht, die wichtige Themen überlagerte. Flüchtige Gedanken. Appelle von außen. Als alles zu Ruhe kam und ich nicht von frischem Input gestört werden konnte, war ich in der Lage, zwei Stunden substanziell und fokussiert zu arbeiten. Die Gedanken im Flugzeug steuern mich noch heute.
Learnings für mich – ich will:
· Raum geben für kreative Ideen, Gedanken zu Ende denken, Potenzial entfalten
· Eindrücke von außen begrenzen, die mich steuern und welche die Kontrolle übernehmen wollen
· Herr bleiben über meinen Terminkalender
· öfters über längere Zeiten mein Mobiltelefon ausschalten
· bei möglichst vielen Apps den Benachrichtigungston ausschalten und Aktualisierungen nicht im Sperrbildschirm anzeigen lassen
· bewusst entscheiden, welche Filme, Serien, Zeitungen, Zeitschriften und Aktualitätsrubriken ich anschauen möchte – und in regelmäßigen Abständen auswerten, ob meine vorherigen Entscheidungen noch Bestand haben
· Zeit nehmen in Selbstreflexion, tiefere Überzeugungen, Sinn gebende Überlegungen und Energie spendende Vorstellungen an die Oberfläche kommen zu lassen und sie mit konkreten Aktivitäten zu verbinden
Der Weg für Neo in der Matrix war steinig. Ein anhaltender Kampf gegen die Fremdbestimmung und für die Unabhängigkeit war die Konsequenz seiner Entscheidung für den roten Kapsel. Morpheus meinte „Die Matrix ist überall“. In übertragendem Sinne stimme ich zu. Sie ist nicht nur außerhalb. Sie ist in mir. Der größte Kampf für die Freiheit ist wohl der Sieg über das eigene Ich.
Transferberaterin bei PEAG Transfer GmbH Personaldienstleistungen
1 JahrInteressanter Artikel und stimmt nachdenklich. Für mich gehört mein Smartphone zum Arbeitsalltag. Wenn es nach meinem Smartphone gehen würde,würde dieser kein Ende nehmen. Daher habe ich mir angewöhnt, auf Reisen lieber ein Buch in die Hand zu nehmen.