Digital-Health im klinischen Bereich: Wenig Innovation trotz satter Budgets!
Alle sprechen davon wie die digitale Transformation das Gesundheitswesen revolutionieren wird. Es soll demokratischer werden, die Behandlungen effektiver und die Kommunikation zwischen behandelnden Ärzten und Patienten einfacher und direkter. (Lesedauer 5min)
In der Praxis ist bisher kaum etwas zu spüren
Und es ist ja nicht so, dass nicht viele Kliniken oder Industrieunternehmen an digitalen Lösungen arbeiten oder diese bereits implementiert haben. Vom elektronischen Patientenmanagement über Tools, die Ärzte bei der Diagnose und Therapie unterstützen, bis hin zur Patienten-Informations-App.
Alles existiert bereits in mehrfacher Ausführung und doch geben sowohl Ärzte als auch Patienten in Umfragen an, dass die digitale Transformation sozusagen an ihnen vorbei stattfindet. Das belegen zum Bsp. der Report von Kienbaum oder auch die BearingPoint Studie zur Digitalisierung im Krankenhaus.
Mehr Aufwand als Nutzen
Bisher existierende Innovationen im Bereich Therapieunterstützung und Patientenkommunikation konzentrieren sich fast ausschließlich auf Lösungen für sehr spezifische Fragestellungen. Für den User (Den Arzt oder Patienten) bedeutet dies letzten Endes, dass er eine Vielzahl von Portalen und Tools hat, die zwar jedes für sich einen Mehrwert bieten aber insgesamt im Alltag völlig unpraktikabel sind, da sie zum einen schlecht aufeinander abgestimmt sind, zum anderen allein die Verwaltung der einzelnen Accounts jede Menge Zeit in Anspruch nimmt.
Am Ende sind alle frustriert, die Anwender weil ihnen nicht wirklich geholfen ist und die Verantwortlichen in der Industrie, weil die Lösungen bei den Nutzern nicht den gewünschten Anklang finden. Schnell lautet dann das Fazit: "Diese Apps und dergleichen braucht niemand denn Sie werden ja ohnehin nicht genutzt."
"Was sind die Ursachen?" fragt man sich da. Die Antwort ist vielschichtig:
Veraltete Strukturen und starre Budgets bremsen die Innovation
Obwohl viele Entscheider in den Kliniken die Notwendigkeit und die Möglichkeiten der digitalen Transformation erkannt haben und auch gewillt sind etwas zu bewegen, sind sie oft handlungsunfähig. Dies hat viel damit zu tun, wer über welche Entscheidungsgewalt verfügt und wer auf die entsprechenden Budgets Zugriff hat.
Leitende und behandelnde Ärzte oder Pflegekräfte in einzelnen Bereichen, haben oft einen guten Einblick in die Bedürfnisse von Kollegen und Patienten und wissen oft genau was helfen würde um Behandlung und Patienten-kommunikation zu verbessern. Doch in der Regel fehlt dort sowohl die Zeit als das Budget um echte Innovation voranzutreiben. Von der mangelnden Personaldecke in manchen Bereichen ganz zu schweigen.
Die vorhandenen Budgets sind meist in der IT verortet und werden dort auch für große Infrastrukturprojekte dringend benötigt. Doch davon merkt der Arzt oder der Patient kaum etwas. Ein funktionierendes W-LAN oder ein elektronisches Patientenmanagement sind zwar wichtig, und bieten auch einen Mehrwert, aber hier von einer bahnbrechenden Innovation zu sprechen die Behandlung oder Patientenkommunikation maßgeblich verbessern ist doch etwas weit hergeholt. Vielmehr geht es in vielen Fälle eher darum sich an Standards anzupassen die in anderen Teilen der Gesellschaft und der Wirtschaft längst Gang und gebe sind. Und auch Patienten sind kaum gewillt (oder nicht in der Lage) zusätzlich Geld für digitale Innovationen aufzubringen.
Bisherige Kooperationen greifen kaum
Nun ist diese Problematik vom Kern her nicht neu. Die Budgets waren schon früher knapp und die Kliniken können nicht alle Probleme im Alleingang lösen. In der Vergangenheit war die Pharma- und Medical Device- Industrie deshalb ein wichtiger Partner wenn es z.B. um die Unterstützung und Mitfinanzierung von Forschungs- und Ausbildungsprogrammen ging. Auch wenn diese Praxis teilweise kritisiert wurde, sind dadurch funktionierende und tragfähige Systeme entstanden, ohne die viele Neuerungen und Entwicklungen im klinischen Bereich nicht möglich gewesen wären (z.B. Minimal Invasive Chirurgie).
Dieses Modell sollte sich doch auch auf digitale Projekte in der Forschung, Behandlung und Patientenkommunikation übertragen lassen, sollte man meinen. Doch genau hier liegt das Problem. Die alten Strukturen passen nicht zu den neuen Herausforderungen. Währende in der analogen Welt Kooperationen zwischen der Industrie und der Medizin oft einen starken Bezug zu den Produkten und Dienstleistungen der Industrie haben (Entwicklung von Medikamenten, Aus- und Weiterbildung mit Bezug zu bestimmten Behandlungsmethoden und Instrumenten), geht es bei digitalen Lösungen oft um das große Ganze und die kleinen Hürden im Alltag.
Einige Beispiel sind:
- Informationsplattformen und elektronische Guidelines für Ärzte
- Lösungen zur Nachsorge von Patienten
- Informations- und Kommunikationsplattformen für Patienten
All diese Tools umfassen meist mehrere Behandlungskonzepte & Therapieformen und sind schwierig einzelnen Industrien oder Unternehmen zuzuordnen. Auch wenn es natürlich Branchenbezug gibt, es besteht meist kein direkter Bezug zu einem bestimmten Produkt oder einer einzelnen Therapieform. Zudem muss aufgrund rechtlicher Aspekte eine gewisse Neutralität bei solchen Projekten gewahrt werden, da die Wahl der Behandlung letztlich allein dem Arzt obliegen muss.
Silodenken in der Industrie verhindert holistische Lösungen
Nun sind die meisten Budgets der Industrie nun aber mal einzelnen Geschäftsbereichen und Produktpaletten zugeordnet. Und solange man Schulungs- oder Forschungsprojekte injiziert die einen direkten Bezug zu diesen Geschäftsbereichen aufweisen, werden dafür auch entsprechende Budgets zur Verfügung gestellt. Sobald es aber darum geht Geld für ein Projekt zu investieren, das im Umkehrschluss nicht wieder (zumindest langfristig) auf den eigenen Profit einzahlt wird kaum ein Budgetverantwortlicher hier ins Risiko gehen.
Stakeholder Allianzen und Cross Broarder Thinking als Lösung
Um diese Herausforderung zu bewältigen gilt es zunächst einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Bestimmte Lösungen können nur in Kooperation mit unterschiedlichen Stakeholdern erfolgreich umgesetzt werden. Dazu müssen unterschiedliche Akteure aus der Industrie und dem Klinikbereich zusammenfinden und über den eignen Tellerrand hinausschauen. Und es müssen entsprechende Töpfe für Budgets eingerichtet werden die unabhängig von bisherigen Produkt- und Infrastrukturbudgets für innovative Projekte verwendet werden können.
Die Erfahrung aus anderen Branchen zeigt, wenn es die etablierten Player nicht schaffen über das eigene Geschäftsmodell hinaus zu denken und auch in Projekte zu investieren, die keinen direkten ROI bringen, nutzt das früher oder später ein neuer Konkurrent mit einem disruptiven Geschäftsmodell aus. Dann schreien wieder alle ganz laut, warum haben wir das nicht kommen sehen.